Alles ist Leben

Christiane Singer Raimon Panikkar copyright roland ropers
Christiane Singer Raimon Panikkar copyright roland ropers

Alles ist Leben!

Im März 2008 erschien die deutsche Ausgabe des bewegenden Buchs einer Frau, die sich mutig und angstfrei ihrem Tod stellt. Die französische Autorin Christiane Singer – Christiane Singer Thurn-Valsassina (1943 – 2007) – erfährt, dass sie unheilbar krank ist und ihr vermutlich nur noch sechs Monate zum Leben bleiben.

Sie beginnt ein Tagebuch, in dem sie ihren Abschied dokumentiert: cover alles ist leben Christiane Singer
schonungslos offen, poetisch, vor allem jedoch geprägt durch eine beeindruckende innere Kraft und Stärke, mit der sie den Tod als Teil ihres Lebens angstfrei annehmen kann.

Die Zeitung „Le Figaro“ schrieb über die nur 140-seitige Originalausgabe von „Alles ist Leben“ (Bertelsmann-Verlag): „Eine glänzende, französische Schriftstellerin, nüchtern und dennoch voller Leidenschaft“.

Christiane Singer kommt als jüngere Tochter österreichisch-ungarischer, jüdisch-christlicher Eltern am 23. März 1943 in Marseille zur Welt. Sie studiert Literaturwissenschaften in Aix-en-Provence, wird dann Dozentin an den Universitäten von Basel und Fribourg. In der Schweiz lernt sie ihren Mann Giorgio Thurn-Valsassina kennen, der ein begabter Architekt ist.  Nach der Heirat 1967 zieht sie mit ihm auf das Stammschloss der Familie in Rastenberg im Waldviertel. Zwei wunderbare Söhne werden dort geboren.

Christiane Singer hat mehrere bedeutende französische Literaturpreise erhalten,

Christiane Singer 2001 copyright roland ropers
Christiane Singer 2001 copyright Roland Ropers

u.a. der von der Académie Française vergebene „Prix de la langue française“ für ihren Roman Seul ce qui brûle“ („Nur was brennt“) im Jahre 2006. 1989 wird ein spirituelles Seminarhaus eröffnet. Ehemann Giorgio konstruierte im Wald hinter der Burg Rastenberg „Die Lichtung“: Auf einer Lichtung, die radiästhetisch ausgependelt wurde und in ihrer durch einen überdimensionalen Diamanten gekennzeichneten Mitte über 16.000 Bovis anzeigt (zum Vergleich: in einer gotischen Kathedrale misst man an die 25.000 Bovis), errichtete er nach uralten, feinenergetischen Erkenntnissen ein Meditationshaus mit einem angrenzenden, halbmondförmigen Teich.

Der Ort sollte zum Prototyp eines Kraftortes für die Aufnahme von kosmischen und terrestrischen Schwingungen werden, an dem Menschen an ihrem Bewusstsein arbeiten. In ihrem Buch „Rastenberg – Geschichte einer Liebe“ schildert die gelernte Therapeutin in Initiatischer Leibtherapie und langjährige Schülerin von Karlfried Graf Dürckheim (1896 – 1988) den Facettenreichtum ihres österreichischen Domizils, wo sie kostenlose Stunden gab für alle, die kommen mochten.

Daneben widmete sich Christiane Singer fast drei Jahrzehnte selber einer unermüdlichen Vortragstätigkeit, die sie durch ganz Europa und darüber hinausführte. Sie war Gründungsmitglied, später eine der Präsidentinnen der über religiösen Vereinigung Terre du Ciel“ in der Nähe von Lyon, die ein Festpunkt in ihrem Jahresablauf wurde. Zwischen 1990 und 1998 übernahm sie auch das Generalsekretariat des österreichischen PEN-Clubs.

Jede Seite ihres letzten Buches kündet von einer mystischen Sichtweise:

„Bitte glaubt nicht, dass ich gestorben bin. Ich bin vollkommen lebendig von einem Leben in das andere gewandert.“ Diese Letzten Fragmente einer langen Reise“, sind ein gnadenloses Werk, das dem Leser bei der Lektüre viel abverlangt. Vor allem Hingabe. Ist er bereit, alle inneren Fenster und Türen zu öffnen, wird er mit Juwelen der Erkenntnis überhäuft.  Sie erfährt in sich zugleich das Mysterium von Leere und Fülle. Nicht jedem gelingt es, ihre Worte gleich zu verstehen.

„Das Christentum ist in mir wie eine brennende Leere, die ich nicht füllen wollte. Eine, die ewig offenbleibt und die sich jeden Tag neu erfindet“. Kryptische Worte, festgehalten von einer Globetrotterin zwischen den Religionen und den Welten, deren Achtung und Dankbarkeit nichts entging. Nicht „die kosmische Fülle und Strenge des Hinduismus, und nicht die unglaubliche Güte, mit welcher der Buddhismus das menschliche Bewusstsein klärt und schärft“. Nicht „die harte Schale und die zärtliche Feinheit des Judaismus und nicht die rauschende Pracht und Würde des (humanistischen) Islam“. Nicht einmal die „diversen Formen des Schamanismus, die seit unvordenklichen Zeiten den Dialog zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, zwischen der offenbarten Welt und ihrem Schöpfer“ gewährleisten.

„Meine Kollegen und ich stellen uns Fragen über das Rätsel, das Sie uns aufgeben. Durch die Art, wie Sie mit Ihrer Krankheit umgehen, lernen wir eine andere Beziehung zur Krankheit und zum Leben. Das ist zutiefst verwirrend für uns.“ Das stellt ein Arzt in jenem Krankenhaus fest, in dem Christiane Singer  am 4. April 2007 in Wien gestorben war. Am Tag zuvor war der Quantenphysiker, Friedensnobelpreisträger und langjährige Freund Hans-Peter Dürr (1929 – 2014) an ihrem Sterbebett. Angesichts von Sätzen wie „Von nun an stehe ich unter Palliativbehandlung. Angeschlossen an eine wundervolle Pumpe, die mich von den Schmerzen befreit. Ich habe die Waffen gestreckt. Dankbarkeit, Dankbarkeit!“ oder „Unbeschreiblich, diese Seelentiefe, in die ich getaucht bin! Heute Nacht wurde ich gekrönt – mit der Dornenkrone“  kann man die Tiefe der Gefühle nachempfinden.

Warum muss eine mit einer derart positiven Ausstrahlung gesegnete,

von einem so großzügigen Bewusstsein erfüllte Person, die wie ein Tornado durch die Welt wehte und alle entflammte, zu einem vergleichsweise so frühen Zeitpunkt abberufen werden? Und wenn das schon unabänderlich gewesen sein soll, wozu war es ihr dann auferlegt worden, den Kelch der physischen Leiden derart bis zur Neige auszuschöpfen?

Mit Christiane Singers Buch bewegen wir uns weit über „Literatur“ hinaus. Auch jenseits von Lebens- oder Sterbehilfe oder von religiöser oder spiritueller Bekenntnisarbeit. Die Autorin, die Berichterstatterin hütet sich, uns die sechs Monate ihres Sterbens als den unbeirrbaren Weg der Mystikerin darzustellen, an dessen Ende diese von Posaunen begleitet durch das weiße Tor des unerschütterlichen Glaubens in die Ewigkeit einzieht.

Sie schreibt in ihr Tagebuch: „Diese Nacht ein schmerzhaftes Gefühl von Marter und Verlassenheit: diese dicke Sonde pfählte mich bei lebendigem Leib. Meine Körperlichkeit hat etwas Erschreckendes, Zerstörerisches. In der Tiefe meines Herzens habe ich geschrien, gebettelt in meiner Not, Christus um Hilfe angerufen: rette mich, lass ein Wunder geschehen!“ Die einzige Dimension, die ich nicht mit kühler Distanz betrachten kann, ist der Abgrund der physischen Qualen. Ich dachte zu wissen, wovon ich spreche, wenn ich von Schmerz sprach. Heute weiß ich, dass ich nichts wusste.“ Aber daran schließen sich auch wieder Hymnen der Dankbarkeit an: „Wie hätte ich ahnen können, dass ich noch einmal so glücklich sein kann? Durchdrungen von einem Glück ohne Ende, ohne Grenzen, das nichts wünscht, nichts erwartet außer der Verzückung über jede Begegnung, über jede Sekunde!“ Sie feierte ihr Sterben, sie jubelte ihm fast zu: „Ins Leben einsteigen, das ist das Gebot der Stunde . . . es kann jetzt geerntet werden!“ Sie erwiderte auf die Frage, wie sie sich das Jenseits vorstellen würde, einige Wochen vor ihrem Tod erstaunt: „Darüber mache ich mir doch keine Gedanken… Jetzt ist Jetzt – das ist schon unendlich reichhaltig genug! Es gibt keinen Tod, es gibt nur das Leben.“

In einem unserer letzten Telefongespräche sagte sie mir:

„Du brauchst keine Angst zu haben, was immer auch geschehen mag!“ Beim Kongress „Geist & Natur“ in Hannover im Mai 1988 sind Hans-Peter Dürr und ich der französischen Mystikerin Christiane Singer zum ersten Mal begegnet – sie war die unvergesslich charmante Moderatorin dieser einzigartigen Veranstaltung. Zuletzt haben wir uns zusammen mit unserer Familie, Hans-Peter Dürr und Raimon Panikkar am Pfingstsonntag 3. Juni 2001 in Salzburg gesehen.

Danach waren wir nur noch telefonisch in Verbindung. Sie war eine große Verehrerin von Dom Bede Griffiths (1906 – 1993) und Raimon Panikkar (1918 – 2010)

11.08.2022
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist

www.KARDIOSOPHIE-NETWORK.de


Über Roland R. Ropers

Woher kommen wir Ropers Portrait 2021

Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.

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Buch Tipp:

cover kardiosophie Roland RopersKardiosophie
Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle

von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu

Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.

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