Weltschmerz
Wenn wir erleben, dass in unserer Welt Ungerechtigkeit und Missstände vorherrschen, entwickeln wir schmerzhafte Melancholie und Traurigkeit, die oft mit Pessimismus und Resignation einhergehen.
Der deutsche Schriftsteller Jean Paul (Wunsiedel 1763 – Bayreuth 1825) prägte für diesen Zustand am Anfang des 19. Jahrhunderts den Begriff „WELTSCHMERZ“
Er bewunderte den französischen Philosophen und Naturforscher Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1776) und änderte seinen ursprünglichen Namen Johann Paul Friedrich Richter.
Der Verstand besteht aus gelernten, nicht hinterfragten Überzeugungen, mit denen der Mensch identifiziert ist. Die persönliche Identität produziert eine trennende Körper-Identität, den Schmerz-Körper. Vom Verstand kann er nicht als Täuschung erkannt werden, weil dieser die Täuschung selbst ist. Ohne das Infrage-Stellen des Ich-Verstandes ist der Mensch in einem selbst-zerstörerischen Kampf um die Erhaltung der Identität verwickelt.
Das ist, wie es sein soll. Was personifiziert ist, soll wieder verschwinden.
Die menschliche Ur-Angst kann sich als Existenzangst, Wut, Ärger, Verletztsein, Frustration, Traurigkeit bis hin zur Depression äußern. Es sind dringliche Signale zu Überprüfung des Verstandes.
Durch die Selbst-Überprüfung kann die Intelligenz des Friedens und der Liebe im jeweiligen Menschen wirksam werden. Es ist das Bewusstsein selbst, das sich im und durch den Menschen begegnen möchte. Indem der Ich- Verstand hin zum Eins-Sein geführt wird, löst sich der angenommene Schmerz-Körper. Durch diese Auflösung offenbart sich das Wunder der Schöpfung im jeweiligen Menschen.
Der Philosoph Sokrates durchschaute die Welt als Täuschung. Durch die Hinterfragung dessen, was wir glauben zu wissen, was richtig oder was falsch sei, was gut oder böse sei, bis nichts an Wissen mehr übrigbleibt – das ist die Erkenntnis des Nichtwissens. Die Selbstbefragung ist der richtige Dialog, wo die Wahrheit des Nicht-Wissen-Könnens ins Bewusstsein rückt.
„Scio nescio!“
„Ich weiß, dass ich nichts weiß.“
(Sokrates)
***
„Conscio scio“
„Ich erkenne gemeinsam und weiß.“
(Roland R. Ropers)
Wissen im Sinne des lat. Verbums „scire“ und des lat. Substantivs „scientia“ (engl.: science) ist nicht ausreichend, um zur Erkenntnis, zur Weisheit und zum Bewusstsein zu kommen. Darum hinterließ uns Sokrates den klugen Ausspruch: „scio nescio“ – „ich weiß, dass ich nichts weiß“.
Ohne Kontakt, ohne Berührung, ohne Berührung mit dem in mir vorhandenen „Hohen Selbst“ (besser: „tiefinnerster Wesensgrund), bleibt mir auf der Ego-Ebene der Zugang zur Weisheit, zur Erkenntnis, zum Bewusstsein versperrt.
Die notwendige Verbindung wird durch das lateinische Präfix „cum“ = mit) ausgedrückt, das in entsprechenden Wortverbindungen als „co“ „com“ oder „con“ in Erscheinung tritt.
- conscientia Erkenntnis, Bewusstsein, Gewissen
- cognoscere erkennen (wörtl. gemeinsam geboren werden)
- communio gemeinsam Eins-Sein
- contangere gemeinsam berühren (kontaktieren)
- continentia Zusammenhalt
- conspiratio gemeinsames Atmen
- convincere überzeugen (wörtl.: gemeinsam siegen)
- concurrere zusammenlaufen (Konkurrenz)
Wissen und Erkenntnis sind stets eine gemeinsame Geburt
(frz.: connaissance = Wissen, bedeutet wörtl.: connaître = gemeinsam geboren werden).
Sowohl verständliche als auch paradoxe Aussagen sind Bestandteil des menschlichen Wortschatzes. Der Wert der Paradoxa für das Bewusstsein ist enorm. Sie halten den normal denkenden Verstand an, so dass das geheimnisvolle, mystische Sein durchdringen kann. Diese rätselhaften Worte finden wir bei den Mystikern, bei Jesus Christus, Mohammed, in den Worten Buddhas, Ramana Maharshi aber auch bei Heraklit, Hermes Trismegistos u.v.a.m.
Dem Verstand nicht zugängliche Ergebnisse der Quantenphysik entlocken auch den tiefgründigsten Denkern wie Max Planck, Albert Einstein, Werner Heisenberg, Hans-Peter Dürr irrationale Aussagen.
In einer berührend poetischen Sprache betonen Rumi, Rainer Maria Rilke und Laotse den paradoxen Charakter des Lebens. Paradoxa erwecken den Geist einer Wahrheit, die jenseits des Verstandes existiert.
TAO TE KING, Kapitel 14
„Schau hin, du wirst es nicht sehen.
Man nennt es: unsichtbar.
Horche, du wirst es nicht hören.
Man nennt es: unhörbar.
Greif danach, du wirst es nicht fassen.
Man nennt es unfassbar.
Diese drei sind unergründlich.
Deshalb sind sie zu einem Einzigen miteinander verbunden.
Es strahlt nicht von oben,
und doch ist es von unten her nicht dunkel.
Wie ein unendlicher Faden,
und doch nicht zu beschreiben.
Es kehrt zurück ins Nichts.
Man nennt es: die Gestalt des Gestaltlosen,
das Bild des Wesenlosen.
Unvorstellbar und jenseits aller Phantasie.
Du stehst davor, doch du siehst sein Gesicht nicht.
Du folgst ihm, doch du siehst seinen Rücken nicht.
Bleib auf dem uralten Weg,
um das Reich der Gegenwart zu meistern.
Die Fähigkeit, den Anfang allen Seins zu erkennen,
nennt man den Faden, der sich durch den Weg zieht.“
Erwacht der Geist des Bewusstseins im Menschen,
werden unter anderem die rätselhaften Ergebnisse der Quantenphysik zu Selbst-Offenbarungen. Wenn das Wesen der Dinge mit dem Verstand interpretiert wird, erscheint es paradox. Über diesen Schock, dass der Verstand dafür nicht taugt, die Welt zu erklären, schreibt Albert Einstein in seiner Autobiografie:
„Alle meine Versuche, die theoretischen Grundlagen der Physik dieser neuen Art von Wissen anzupassen, haben völlig versagt. Es war, als ob mir der Boden unter den Füßen weggezogen würde, mit keinem festen Fundament irgendwo in Sicht, auf dem man hätte bauen können.“.
An die Vorstellung, dass wir von anderen Menschen und von der Welt getrennt sind, ist grundsätzlich an Angst gekoppelt. Dieser Zustand verursacht den Weltschmerz, der nur durch bedingungslose Liebe aufgelöst werden kann.
Liebe ist nicht das Gegenteil von Hass, sondern von Angst.
Die existenzielle Angst oder Ur-Angst ist ein Schock (Schreck), der an der Wurzel des Menschseins sitzt. Wir sind grundsätzlich in unserem praktischen Leben getrieben, uns auf etwas zu beziehen, was uns Sicherheit und/oder vorübergehende Befriedigung gibt. Dass Sicherheit eine Illusion ist, ist eigentlich leicht zu sehen. Die Angst bleibt.
Wir halten uns sowohl im zwischenmenschlichen Bereich als auch in der Wissenschaft an Illusionen fest. Es wird einfach ignoriert, dass das auf Prüfbarkeit aufgebaute Gedankengebäude grundsätzlich Illusion ist. Wir behaupten, dass wir in der Wirklichkeit leben. Doch dem ist nicht so. Wir vertrauen Menschen und/oder berufen uns auf Autoritäten außerhalb von uns selbst und ignorieren die Fallstricke der Täuschung. Die daran gekoppelten Ent-Täuschungen folgen spontan.
Experimentalphysiker bestätigen in Versuchen eine klein-geistige, gedankliche Welt, in der das Leben scheinbar berechenbar ist. Effekte, die das erschaffene Denkgebäude infrage stellen, werden ignoriert und/oder ihre Lösbarkeit auf die Zukunft verschoben. Sie wissen nicht, dass das, was sie berechnen, in ihrem Verstand bereits feststeht. Es ist das, was sie im Vorfeld denken. Unbewusst wird der Wunsch nach Sicherheit, Festigkeit und Halt auf Menschen und Materie projiziert. So leben wir in einer Welt, die nicht als eine Erscheinung des Verstandes, eine Scheinwelt, erkannt ist.
Der Mensch kann zwar Täuschungen des Verstandes erkennen. Doch wenn er nicht durchschaut, dass die erworbenen Urteile, mit denen er sich identifiziert, zu einer (Selbst-)Täuschung führt, regiert die Angst. Insofern ist die Angst-Identität „Mensch“ der unerkannte Dämon. Angst durchdringt als Zweifel die Gesellschaft, die Religion und die Wissenschaft. Man kann nie sicher sein. Indem der Wissenschaftler den Zweifel zur Methode macht, spaltet er sich von dem ängstlichen Gemütszustand ab. Angst wird als berechtigter Zweifel benutzt, um (weiteres) Wissen zu schaffen.
Wenn die Wahrheit im Verborgenen liegt, wird Wissen zur Macht.
Die Suche nach einem Halt, nach Festigkeit, Verbindlichkeit, nach Schönheit und Vollkommenheit ist endlos. Etwas Beständiges, Vollendetes scheint es nicht zu geben. Sehr gern machen wir uns diesbezüglich etwas vor. Doch die Angst läuft immer mit, was die Verzweiflung und die Suche fortsetzt.
Ohne das Bewusstsein, was wirklich wahr ist, ist sie ein ständiger Begleiter. Sie produziert die Vorstellung einer gegenläufigen Macht und damit den Glauben an das Böse. Sie ist der Nährboden für Verschwörungs-Theoretiker, aber auch ihrer Gegner, die sich in ihrer Angst gegen die Angst wehren. Erst durch Bewusstsein wird klar, die Suche nach Sicherheit und/oder Vollendung ist Wahnsinn und eine dem Menschen nicht bewusste Narretei.
Innerhalb der philosophischen Suche nach der Wahrheit verkündete René Descartes (1596 – 1850):
„Cogito, ergo sum! „Ich denke, also bin Ich.“
Diesen Gedanken habe ich verwandelt in die Aussage:
„Recordor, ergo sum! Ich kehre zum Herzen zurück, also bin ich!“
Nur in unserem innersten Zentrum können wir alle Probleme und Sorgen auflösen –
an der Ur-Heimat von Frieden und Liebe.
Es ist die menschliche Unwissenheit, dass Angst den unaufhaltsamen Fluss des Denkens bewirkt, dass sie in allen Urteilen gebunden ist. Jedes Urteil ist umkehrbar. Was spontan nach außen projiziert wird, kann jeder zu sich selbst umkehren. Dieser Rückzug ist die Ankunft des wahren Genius Mensch.
In der Symbolik von Trennung/Projektion und Umkehr verbirgt sich der geheimnisvolle Kontakt des Geistes mit sich selbst.
Indem die Täuschung durchschaut ist, bleibt nichts als Schönheit und Erleuchtung.
Als erheiternde Lektüre empfehle ich das im März 2024 erschienene Buch:
„DURCHHALTEN – 100 Tipps gegen Weltschmerz und Endzeitgefühle“
20.06.2024
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist
Über Roland R. Ropers
Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
>>> zum Autorenprofil
Buch Tipp:
Kardiosophie
Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle
von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu
Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.
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