Rosenkreutz und Essener – Das Geheimnis der Essener
Harvey Spencer Lewis, der erste Imperator des Alten und Mystischen Ordens vom Rosenkreuz, AMORC, schrieb die folgende bemerkenswerte Beschreibung über das Geheimnis der Essener im Jahre 1929 als Teil seines Buches „Das mystische Leben Jesu“ etwa 18 Jahre vor der Entdeckung der Schriftrollen am Toten Meer. Das Werk von Lewis war eine der grundlegenden Inspirationen für die moderne Bewegung der Essener.
Während der letzten Jahrhunderte wurden zahlreiche Aufzeichnungen in heiligen Schriften entdeckt, die von der Bruderschaft der Essener und ihrer Tätigkeit in Palästina unmittelbar vor der Geburt und während der Lebenszeit des Meisters Jesus berichten. Viele dieser Aufzeichnungen über die Essener stimmen mit den Aussagen hervorragender Historiker wie Philo und Josephus überein und klären eine ganze Reihe geheimnisvoller Andeutungen in den heiligen Schriften der Hebräer und in der christlichen Bibel auf.
Die Möglichkeit von Beziehungen zwischen der Bruderschaft der Essener und dem Frühchristentum hat nicht nur das Interesse von hervorragenden Geistlichen und Bibelforschern erregt, sondern auch bei vielen Forschern der mystischen Literatur die Frage laut werden lassen: „Warum ist die wahre Geschichte der Essener der Öffentlichkeit vorenthalten worden?“ Die Antwort auf diese Frage ist sehr einfach. Die mit der Geschichte der Bruderschaft der Essener Vertrauten hüllten sie absichtlich ins Dunkel, um ihre Lehre und ihr Werk vor öffentlichen Diskussionen, eventueller Kritik und dem Spott derjenigen Forscher und Bekenner des orthodoxen Christentums zu schützen, die damals so emsig bestrebt waren, Christus und das Christentum noch mehr mit Geheimnissen zu umhüllen.
Die Urkunden der Rosenkreuzer wiesen immer genügende und umfassende Einzelheiten der Geschichte und Tätigkeit der Essener-Bruderschaft auf.
Keinem Eingeweihten des Ordens vom Rosenkreuz, keinem wirklichen Forscher der alten Mysterien, der würdig befunden wurde, diese alten Schriften zu studieren, blieb die Geschichte der Essener verborgen. Es gibt allen Grund, heute den Schleier zu lüften, Verborgenes zu offenbaren und es der Öffentlichkeit bekannt zu geben. Der Fortschritt im Studium okkulter Literatur sowie die freiere Lebens- und Weltanschauung des durchschnittlich gebildeten Anhängers der spirituellen und mystischen Fächer rechtfertigen die Veröffentlichungen.
Es ist zunächst notwendig, einen kurzen Abriss über die Gemeinschaft der Essener zu geben. Die Essener bildeten einen Zweig der „Erleuchteten Bruderschaft“ oder der „Großen Weißen Loge“, welche in Ägypten, wenige Jahre vor der Herrschaft des Echnaton, errichtet wurde. Der Begründer der ersten monotheistischen Religion unterstützte und förderte die Bestrebungen dieser geheimen Bruderschaft zur Ergründung der mystischen Wahrheiten des Lebens aufs eifrigste.
Die verschiedenen geheimen Schulen Ägyptens, welche unter seiner Leitung standen und die „Große Weiße Bruderschaft“ verkörperten, nahmen nach ihrer Verbreitung in die verschiedenen Teile der Welt gemäß der Sprache eines Landes und der Art des allgemeinen religiösen oder geistigen Empfindens der Menschen unterschiedliche Namen an. So finden wir, dass sich die Mitglieder dieser Bruderschaft in Alexandria „Essener“ nannten. Sprachgelehrte haben intensiv nach der Herkunft und der Bedeutung dieses Wortes geforscht. Die zahlreichen unbefriedigenden Erklärungsversuche beweisen, dass beträchtliche Meinungsverschiedenheiten vorhanden sind.
Richtig ist, dass das Wort von dem ägyptischen „kaschai“, d.h. „geheim“, abgeleitet wurde.
Ferner hat das ähnlich klingende „chsahi“ dieselbe Bedeutung, „geheim“ oder „verschwiegen“. Und dieses Wort wurde einfach übersetzt in „essaios“, „Essaier“ oder „Essener“, das heißt „geheim“ oder „mystisch“. Auch Josephus fand, dass das Wort „chosen“ als Ausdruck der ägyptischen Symbole für Licht und Wahrheit, in die griechische Sprache übersetzt, „Essen“ ergibt. Die Priester im alten Tempel zu Ephesus wurden „Essener“ genannt, wie uns die Geschichte des Altertums lehrt.
Ein von den Griechen gegründeter Zweig der Organisation übertrug das aus dem Syrischen übernommene Wort „asaya“, „Arzt“, in das griechische Wort „therapeutes“, das dieselbe Bedeutung hat.
Aus den Urkunden der Rosenkreuzer geht deutlich hervor, dass das ursprüngliche Wort eine geheime Bruderschaft bedeutete, deren Mitglieder vielfach Heilkundige waren. Diese Vereinigung hatte neben der Heilkunde noch andere humanitäre Interessen.
Die Verbreitung der Organisation in den Nachbarländern Ägyptens geschah allmählich und entsprechend der kulturellen Entwicklung dieser Völker. Nach geraumer Zeit entwickelte sich die Bruderschaft der Essener zu einer ganz bestimmten Abteilung der „Großen Weißen Bruderschaft“, die den äußeren Wirkungskreis darstellte und einer Akademie der Wissenschaften und des Unterrichtes entsprach. Auf diese Weise erhielten die Essener einige Jahrhunderte vor dem Entstehen der christlichen Zeitrechnung zwei Hauptsitze, einen in Ägypten an den Ufern des Moeris-Sees, wo der berühmte Meister Moria-El, der Erlauchte, in seiner ersten uns bekannten Reinkarnation geboren, erzogen und für seine bedeutende Mission vorbereitet wurde und später die Prinzipien und Gesetze der Taufe als einen geistigen Schritt der Einweihung schuf. Der andere Hauptsitz der Essener wurde ursprünglich zu Engaddi in Palästina, nahe dem Toten Meer, gegründet. Viele Aufzeichnungen über diese beiden Niederlassungen habe ich in den Urkunden der Rosenkreuzer gefunden und davon die folgenden als die interessantesten und genauesten in ihrer Beziehung zum mystischen Leben Jesu ausgewählt.
Die Bruderschaft in Palästina hatte die Gewaltherrschaft der Regenten und den Argwohn der Priester des Landes zu ertragen. Diese Umstände zwangen die Essener in Palästina zu größerer Verschwiegenheit und Zurückgezogenheit, als sie es in Ägypten gewohnt waren. Vor ihrer Übersiedlung aus ihren kleinen Hütten und den geweihten Stätten zu Engaddi nach den alten Gebäuden auf dem Berge Karmel bestand ihre Hauptbeschäftigung wahrscheinlich in der Übersetzung alter Schriften und in der Aufrechterhaltung der traditionellen Sitten und Gebräuche, die die Grundlage ihrer Lehren bildeten. Es ist überliefert, dass zur Zeit ihrer Übersiedlung von Engaddi nach dem Berge Karmel die geheime Beförderung dieser Schriften und Dokumente ihre größte Sorge war.
Zum Glück gelang es ihnen, diese seltenen, von Ägypten herrührenden Manuskripte für uns zu retten; denn durch sie erhalten wir Kenntnisse über die Essener und die „Große Weiße Bruderschaft“.
Eine Schilderung ihrer Lebensweise, ihres Glaubens und ihrer Lehren ist zweifellos für jeden Geisteswissenschaftler und Forscher spiritueller Literatur von größtem Interesse.
Jedes Mitglied der Essener in Ägypten oder Palästina und der „Therapeutes“, wie sie in anderen Ländern genannt wurden, mussten reiner Abstammung sein. Dieser Punkt ist sehr wesentlich hinsichtlich der Tatsachen, welche über die Geburt und das Leben des Meisters Jesus enthüllt werden. Die Essener forschten in den Avestaschriften, befolgten deren Prinzipien und legten infolgedessen großen Wert auf einen gesunden Körper und gut entwickelte geistige Fähigkeiten.
Damit jemand Adept der Essener-Bruderschaft werden konnte, musste er von Kindheit an von besonderen Lehrern vorbereitet werden, seinen Körper gesund halten und den Nachweis bestimmter geistiger Fähigkeiten erbringen. Jedem erwachsenen Kandidaten, der am täglichen Mahl im Hause der Bruderschaft teilnehmen durfte, wurde bei der Einweihung eine bestimmte Mission für sein Leben übertragen, und diese musste ungeachtet aller Hindernisse und Versuchungen und ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben erfüllt werden.
Einige wurden Ärzte oder Heilkundige, andere Handwerker, Lehrer, Missionare, Übersetzer, Schriftgelehrte, usw. AlIe weltlichen Besitztümer wurden beim Eintritt abgegeben und davon nur die notwendigsten Bedürfnisse bestritten. Die einfache Lebensweise, frei von der Vergnügungssucht des Volkes, hatte zur Folge, dass Geldausgaben kaum nötig waren, und nur in den seltensten Fallen die Mittel der Bruderschaft gebraucht wurden. Sofort nach der Einweihung bekam jedes Mitglied eine weiße, aus einem Stück und gleichem Stoff angefertigte Robe. Man ging barfuß, und nur wenn das Wetter oder andere Umstände es erforderten, trug man Sandalen. Die Kleidung wich von der üblichen Tracht ab und war einzig in ihrer Art, sodass die Essener im Volke als die „Brüder im weißen Gewand“ bekannt waren. Die Bezeichnung Essener war nicht allgemein verbreitet und nur den Gelehrten geläufig. Daher war sowohl im Alltagsleben als auch in den Schriften dieser Zeit von den Essenern wenig die Rede.
Die Essener wohnten in gepflegten Häusern, gewöhnlich innerhalb einer ruhigen, geschützten Anlage, in einer Gemeinschaft beieinander.
Ihre gesamten Angelegenheiten wurden von einem Richterausschuss oder einer Ratsversammlung geregelt. Diese zählte hundert Mitglieder und kam wöchentlich ein Mal zusammen, um die Tätigkeit der Organisation zu ordnen und Tätigkeitsberichte der Mitglieder entgegenzunehmen.
Alle Meinungsverschiedenheiten, alle Klagen, alle Prüfungen und Untersuchungen wurden diesem Senat vorgebracht. Eine seiner Vorschriften deutet an, dass sie immer vorsichtig im Meinungsaustausch waren, sowohl untereinander als auch besonders denjenigen gegenüber, die nicht zur Vereinigung gehörten. Nie kritisierten sie die Lebensweise und die Handlungen der Menschen, sondern versuchten, zu bessern und zu helfen. Auch hielten sie fest an ihrem Gesetz: „Richte nicht, auf dass du nicht gerichtet werdest!“
Wir führen im nachfolgenden einige Artikel ihres Glaubensbekenntnisses an, wie es in altüberlieferten Schriften aufgezeichnet ist. Wenn auch der Wortlaut dieser Abschnitte des Bekenntnisses in den verschiedenen Zweigen der Essener-Organisation etwas von einander abweicht, so beruhen die Artikel doch zweifellos auf dem Bekenntnis, das die „Große Weiße Bruderschaft“ zur Zeit der Errichtung der Essener-Vereinigung angenommen hat.
- Der Körper des Menschen ist der Tempel der Seele, durch den uns die Schöpfungen und Entwicklungen Gottes offenbar werden.
- Die Formen von Mann und Frau sind Kundgebungen des Wesens Gottes, aber Gott offenbart sich nicht in Menschengestalt.
- Das „Ich“ im Menschen ist von Gott und ist eins mit Gott ‒ demzufolge unsterblich und ewig.
- Macht und Ruhm der Herrschaft Gottes werden weder erhöht noch erniedrigt durch den Glauben oder Unglauben der Menschen; Gott hebt seine Gesetze der Menschheit zuliebe nicht auf.
- Gott ist das Urprinzip. Sein Wesen offenbart sich dem äußeren Menschen nur durch die Materie. Gott ist keine Person, noch erscheint ER dem äußeren Menschen in Form einer Wolke oder Lichtgestalt.
- Zur Zeit des Todes, der Trennung von Seele und Körper, tritt die Seele in den geheimnisvollen Zustand ein, wo irdische Dinge keinen Reiz mehr ausüben, sondern der sanfte Hauch und die Allmacht des Heiligen Geistes den Müden und Sorgenvollen, die einer ungewissen Zukunft entgegensehen, Erquickung und Trost bringen. Diejenigen aber, die es unterlassen haben, Gottes Gaben und Wohltaten zu erkennen und die den Befehlen des Versuchers, der falschen Propheten und den verführerischen Lehren der Gottlosen folgen, verbleiben im Schoße der Erde, bis sie sich von den Banden irdischer Mächte befreit haben und geläutert dem verborgenen Himmelreich zugeführt werden.
- Halte heilig den geweihten Tag der Woche, ruhe von aller Arbeit, wisse, was zu tun und zu lassen ist, damit deine Seele aufsteige zu Gott und sich mit ihm im Geist verbinde!
- Schweige still in Streitigkeiten, verachte das Böse und verschließe deine Ohren vor den Gotteslästerern.
- Halte die heiligen Lehren von Ruchlosen fern, sprich niemals über sie zu denen, die nicht bereit oder fähig sind, sie zu verstehen. Sei immer gewillt, der Welt jene Kenntnisse zu offenbaren, die sie befähigt, Höheres zu erreichen.
- Bleibe in aller Freundschaft und in allen brüderlichen Beziehungen bis zum Tode standhaft und missbrauche niemals Macht und Vorrecht, welche zu Vertrauensstellungen bewilligt wurden. Sei freundlich und versöhnlich in allen menschlichen Beziehungen, sogar zu den Feinden deines Glaubens.
Jede Abteilung der Organisation wurde von Verwaltern beaufsichtigt, welche die geschäftlichen Angelegenheiten zu erledigen und die Einkünfte eines jeden Mitgliedes dem allgemeinen Fonds zuzuführen hatten.
Dieser allgemeine Fonds wurde „Armen-Fonds“ genannt und diente zur Milderung der Not der Bedürftigen in jedem Lande. Dies erinnert uns an das Wort in Matthäus XIX, 21: „Verkaufe, was du hast und gib den Erlös den Armen. […] Dann komm und folge mir nach!”
Hospize wurden von den Essenern in den verschiedensten Gemeinden errichtet, um besonders bei Hungersnot und Krankheiten für Arme und Kranke Sorge tragen zu können. Man nannte diese Plätze „Bethsaida“. In dieser Seite ihrer Arbeit finden wir den Ursprung der Hospize und Hospitäler, welche einige Jahrhunderte später sehr bekannt wurden. Ein besonderer Stab von Arbeitern, Pfleger genannt, arbeitete dort.
Hier entstand ein anderer Zweig der Bruderschaft, der später eine mehr oder weniger eigenständige Vereinigung darstellte. Ferner errichteten die Essener in den verschiedenen Gemeinden Obdachlosenasyle. Am Eingang der meisten Städte hatten sie eine Unterkunftsstätte, genannt Pforte, wo Fremde, Hungrige oder Rat Suchende vorübergehend aufgenommen wurden. Bei Ausgrabungen in Jerusalem stieß man vor kurzem auf ein Tor, das als „Essener-Tor“ oder „Essener-Pforte“ bekannt war.
Die Essener lebten nicht gern in den Städten und gründeten daher für sich kleine Ortschaften außerhalb der Mauern oder der Grenze der Stadt, in der sie zu wirken pflegten.
Jedes Mitglied hatte sein eigenes kleines Haus mit einem Garten. Die Unverheirateten lebten in einem Gemeinschaftshaus. Es war den Essenern nicht verboten, zu heiraten, wie man allgemein annahm, aber ihre Anschauungen über die Ehe waren sehr ideal. Nur jene, die einander wirkliche Freundschaft und aufrichtige Liebe entgegenbrachten, durften mit der Billigung der höheren Ordensbrüder heiraten.
Frauen konnten außerordentliche Mitglieder der Bruderschaft werden, jedoch nur wenige durften an den Studien der hohen Grade teilnehmen; nicht etwa, weil die Essener glaubten, die Frau sei dem Manne in religiösen oder geistigen Fähigkeiten untergeordnet, sondern weil dieser Zweig der „Großen Bruderschaft“ im Prinzip eine Organisation von Männern war, die die Arbeiten in der ganzen Gemeinde verrichteten. Die Schwestern, Mütter und Töchter der Männer in der Essener-Bruderschaft wirkten in der Gemeinde mit. Die nicht verheirateten Frauen und solche, die nicht heiraten wollten, adoptierten sehr häufig Waisenkinder, pflegten sie, als wären es ihre eigenen und vertraten auf diese Art humanitäre Belange der Vereinigung.
In ihrem Privatleben finden wir keine Dienerschaft, denn dies galt als ungesetzlich. Jeder Haushalt musste von den jeweiligen Familienmitgliedern selbst versorgt werden. Einige Regeln und Anordnungen, wie wir sie in den überlieferten Rosenkreuzer-Urkunden finden, zeigen uns, dass ihre Anschauungen über Diener und Dienerschaft mit unseren modernen Ansichten übereinstimmen. Wir müssen bedenken, dass in den Tagen, da diese Vorschrift eingeführt wurde, die meisten Diener in wohlhabenden Häusern, bei Königen und Machthabern wie Sklaven gehalten wurden.
Bei den Essenern dagegen waren Männer und Frauen absolut frei und Sklaverei und Leibeigenschaft aller Art war streng verboten.
In der Gemeinde nahmen alle an dem Gemeinschaftswerk teil, und alle hatten von Zeit zu Zeit Gesindearbeit zu verrichten. Die Neuaufgenommenen hatten auf den Feldern zu arbeiten, mitunter auch bei Mahlzeiten der Gemeinschaft oder in Obdachlosenasylen bei Tische zu bedienen.
Wie viele andere Zweige der „Großen Weißen Bruderschaft“ willigten auch die Essener niemals in einen Vertrag oder ein Abkommen ein, mit dem man durch einen Eid oder eine Urkunde gebunden war. Man wusste allgemein, dass ihr Wort keines besonderen Abkommens und keines schriftlichen Vertrages bedurfte. Sie hatten für ihr Leben bestimmte Gesetze und Vorschriften, die denjenigen, die mit ihnen in Berührung kamen, wohl bekannt waren.
Auch die Machthaber des Landes wussten, dass die Essener nicht zur Abgabe eines Eides zu bewegen waren, aber stets die volle Verantwortung für ihr Wort oder Versprechen trugen. Auch Josephus gab in seiner Schrift über die Essener um 146 v.Chr. an, dass dieselben von dem Zwang zum Untertaneneid durch Herodes befreit waren. Unter keinen Umständen gaben sie ein Versprechen oder schworen irgendetwas im Namen Gottes, denn bei ihnen wie beim jüdischen Volk, das diese Regel von ihnen annahm, wurde der Name Gottes nur in heiliger Weise in den Tempeln genannt und durfte sonst niemals ausgesprochen werden. Bei Meinungsverschiedenheiten mit Fremden hätten die Essener alles aufgeboten und lieber jedes Opfer gebracht, als zu streiten oder Spannungen hervorzurufen. Aus diesem Grunde waren die Essener bei den Pharisäern und anderen religiösen Gemeinschaften in Palästina beliebt, obgleich diese deren religiöse Bräuche heftig kritisierten.
Um die damalige Art des Eides zu kennzeichnen, sei der von den Initianden abzulegende offizielle Eid, der einzige, der von den Essenern geleistet wurde, hier angeführt. Sie schworen beim Eintritt in den entscheidenden vierten Grad der Einweihung, auf ihre Ehre folgenden Eid:
„Ich verspreche hiermit im Beisein meiner Ältesten und der Brüder des Ordens, immer demütig vor Gott und gerecht zu meinen Mitmenschen zu sein, keinem Geschöpf aus eigenem Willen oder auf Befehl anderer ein Leid zuzufügen, Gotteslästerung immer zu verabscheuen und Recht und Gerechtigkeit zu unterstützen, allen Menschen Treue zu bezeugen, ganz besonders meinen Vorgesetzten, niemals die Vorrechte oder die Macht, welche mir bewilligt wurden, zu missbrauchen, noch zu versuchen, durch weltliche Prahlerei und Hervorhebung der eigenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten andere herabzusetzen. Die Wahrheit soll immer meine Verehrung finden, und ich werde die meiden, die der Unwahrheit dienen. Ich will meine Hände von Diebstahl rein halten und niemals zornige oder unfreundliche Gefühlsausbrüche zulassen. Ich werde niemandem ‒ Würdige ausgenommen ‒ die Geheimlehren unserer Bruderschaft offenbaren, selbst auf die Gefahr hin, mein Leben zu verlieren. Ich werde niemals die Lehren in anderer Form weitergeben, als sie mir gegeben wurden; ich werde zu den Lehren weder Teile hinzufügen noch etwas von ihnen weglassen, sondern werde immer bereit sein, sie in ihrer ursprünglichen Form und Reinheit zu erhalten. Ich will für die Bücher und Urkunden unseres Ordens, für den Ruf der Meister, Gesetzgeber und Älteren eintreten.“
Nachdem der Eingeweihte den vierten Grad erreicht und die vorausgegangenen Verpflichtungen erfüllt hatte, durfte er an der gemeinsamen Tafel, dem erhabenen und symbolischen Tagesmahl teilnehmen, bei dem Meditation und Kontemplation sowie Diskussionen über die Probleme der Tätigkeit einen Teil der Zeit in Anspruch nahmen.
Es ist interessant, dass alle Speisen der Essener gemäß den in den alten Dokumenten angegebenen Regeln und Bestimmungen zubereitet wurden.
Neben Gemüse und Rohkostnahrung wurde auch Fleisch geboten. Eine Regel war Mäßigung in allen Dingen, so auch im Essen und Trinken. Man kannte keine Üppigkeit und keine Völlerei; Unersättlichkeit und Trunksucht waren ihnen fremd.
Die Essener beteiligten sich selten an öffentlichen Erörterungen, und niemals nahmen sie an religiösen oder politischen Diskussionen teil. Wenn andere sprachen, waren sie meistens schweigsam, und Schweigen schien ihr Motto gewesen zu sein.
Im Gebrauch der Stimme waren sie wohlgeübt und gebrauchten die tönenden Laute so geschickt, dass sie durch Übung eine sehr sanfte Aussprache erlangten, sogar in gewöhnlicher Unterhaltung. Aus diesem Grunde wurden sie oft die „sanft sprechenden Männer“ genannt.
Es war ganz natürlich, dass die Essener infolge ihres gepflegten Körpers, ihrer sauberen Kleidung und ihres ruhigen Auftretens anziehende Persönlichkeiten darstellten. Sie entwickelten eine so prächtige Aura, dass diese bei manchen Gelegenheiten auch Uneingeweihten sichtbar wurde und besonders die Juden verwirrte. Denn diesen war die Entwicklung des mystischen Wesens fremd, obwohl ihre eigene Religion und ihre Bräuche viele wunderbare mystische Gesetze enthielten, die allerdings nicht praktisch ausgewertet wurden. Es war bei den Essenern üblich, dass sie sich, bevor sie ein Haus betraten, die Hände und Füße wuschen. Desgleichen reinigten sie sich auch vor einer Feier und vor ihrem täglichen Gebet. In ihren eigenen Häusern weilten sie oft vor dem Altar ihres Heiligtums oder verbrachten die Zeit mit dem Studium seltener Manuskripte und Bücher, welche unter ihnen gemäß dem Grade ihres Fortschrittes zirkulierten. Sie waren außergewöhnlich erfahren in der Astrologie, der elementaren Astronomie, den Naturwissenschaften, der Geometrie, der elementaren Chemie und Alchymie, der vergleichenden Religionswissenschaft, der Mystik und den Naturgesetzen.
Das Auftreten eines Arztes der Essener erregte meist großes Aufsehen unter dem Volke.
Die Bewohner von Palästina waren an Heilmethoden gewöhnt, die mit Zauberübungen und Beschwörungen in äußerst hoher Stimme, mit dem Vortrag seltsamer Formeln, mit Schlagen auf rohe Musikinstrumente und dem Gebrauch starker Arzneien ausgeführt wurden. Die Essener hingegen sprachen in aller Ruhe zu ihren Patienten, benutzten bestimmte tönende Laute ohne irgendeine Formel und führten durch bloßes Auflegen der Hand die schwierigsten Heilungen aus. Oft forderten sie ihre Patienten auf, sich in die Stille ihres Heimes zurückzuziehen und zu schlafen, währenddessen die Heilung auf psychische Weise zu Stande gebracht wurde.
Alle Essener-Brüder und die an der Vereinigung beteiligten Schwestern versprachen, ihre Kinder nach den Lehren und Grundsätzen des Essener-Glaubens zu erziehen und sie für die Organisation innerlich anzuregen und zu interessieren, bis sie das 12. Lebensjahr erreicht hatten. Dann mussten sie eine Probezeit bestehen, die bis zum 21. Lebensjahr dauerte. Die Frauen bekamen an ihrem 21. Geburtstag die außerordentliche Mitgliedschaft und behielten diese für ihr ganzes Leben, wenn sie sich durch entsprechende Führung würdig erwiesen. Am 21. Geburtstag wurden die Jünglinge zum ersten Ordensgrad zugelassen und erreichten den vierten Grad durchschnittlich im 30. Lebensjahr. Nur selten durfte ein Essener dem Volke predigen oder öffentlich Wunder tun. Wurde diese Erlaubnis einmal erteilt, dann nur, um dem Wohle der Menschen zu dienen. Diejenigen unter der Essener-Bruderschaft, die die meisten Reinkarnationen durchlaufen hatten und daher die Fähigsten waren, wurden zu Führern gewählt. Von Zeit zu Zeit wurde einer von diesen auserkoren, in die Welt hinauszuziehen und in einem anderen Land im Geiste der Bruderschaft zu wirken.
Die Essener erwarteten die Ankunft eines mächtigen Heilands, der in der Gemeinschaft ihrer Organisation geboren werden und die Reinkarnation des hervorragendsten ihrer früheren Führer sein sollte. Durch ihr höchstentfaltetes Wissen und ihre innige psychische Fühlung mit dem Kosmos waren sie über kommende Ereignisse gut unterrichtet. Sowohl die Literatur der Essener-Bruderschaft als auch die vieler anderer Länder enthält Hinweise auf die Propheten der Essener. Besonders einer namens Menahim wurde dadurch berühmt, dass er die Herrschaft des Herodes voraussagte.
Bei den Essenern war nur eine aufbauende und fördernde berufliche Tätigkeit erlaubt. wir finden unter ihnen hervorragende Weber, Zimmerleute, Landwirte, Weingärtner, Kaufleute und andere Vertreter von Berufen, die zum Nutzen und zum Wohle des Volkes beitrugen. Niemals aber waren in dieser Vereinigung Handwerker, die sich mit der Herstellung von Waffen befassten.
Der Leser könnte den Eindruck gewinnen, als ob die Bruderschaft der Essener eine der Sekten Palästinas gewesen sei, weil sie von den Juden und von der Obrigkeit als Sekte bezeichnet wurde.
Wir fanden die Essener in kürzlich entdeckten Urkunden häufig als eine der Sekten Palästinas charakterisiert. Es ist kennzeichnend, dass die Essener von den Juden mehr als religiöse denn als brüderliche oder mystische Vereinigung betrachtet wurden. Jedenfalls galten sie als eine Gruppierung, die im Gegensatz zu jüdischen Lehren und Bräuchen stand. Unter diesen Umständen war es verständlich, dass die Essener ihre Heimstätten in Gemeinden errichteten, wo andere Anhänger ihrer Organisation lebten und wo sie die ihre Interessen fördernde nachbarschaftliche Freundschaft fanden. Die Essener waren keine Juden von Geburt, waren auch nicht blutsverwandt mit ihnen oder Anhänger der jüdischen Religion. Man betrachtete sie als Ungläubige. AIs solche finden wir sie in vielen heiligen Schriften, sogar in der christlichen Bibel, bezeichnet.
07.09.2023
Bild und Text (c) AMORC
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Dankeschön, für diese wundervollen Erläuterungen über die Essener Bruderschaft, ich bin total begeistert davon! Habe einige Bücher von Dr. E. B. Sz’ekely gelesen. Sehr gut geschrieben und berührend zu lesen.
Mit freundlichen Grüßen
Marion Markert ?