Wie das 1% die Demokratie untergräbt

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demokratie freiheit freedomWie das 1% die Demokratie untergräbt

Leseprobe aus dem Buch: Eine Erde für alle! – Aufstehen gegen die Monokultur von Wirtschaft und Weltsicht von Vandana Shiva

Die Menschheit steht an einem Scheideweg ihrer Evolution. Entweder entscheiden wir uns dafür, uns auf dem vom 1% in den letzten 500 Jahren vorgezeichneten Weg weiter auf unser Aussterben zuzubewegen, oder wir entscheiden uns dafür, als Mitglieder der Erdengemeinschaft die Samen der Zukunft zu säen. Wir tun es im Bewusstsein und in der Überzeugung, dass unser Aussterben nicht unvermeidlich ist, dass wir das Potential haben, einen anderen Weg zu gehen, der von unserem Engagement für eine friedliche Ko-Evolution mit anderen Arten und Kulturen geprägt ist. Entweder werden wir Frieden mit der Erde schließen und unser zukünftiges Überleben sichern, indem wir uns bewusstwerden, dass wir auf der Erde und Teil von ihr sind, oder wir stehen als Menschheit vor unserem Aussterben, wobei wir Millionen anderer Arten ebenfalls ausrotten. Entweder werden wir Frieden mit der Vielfalt schließen oder das von der Vielfalt gewebte gemeinsame Gefüge zerstören und damit die Bedingungen für unsere weitere Existenz zunichte machen.

Dass das Reale wieder Geltung bekommt, ist zu einer Voraussetzung für das weitere Überleben und die Entwicklung unserer Spezies geworden. In Illusionen zu leben, ist ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können. Wir müssen uns bewusstwerden, dass die Regenerierung des Planeten und die Rückgewinnung der Menschlichkeit nicht zwei verschiedene Ziele sind, die auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden: Denn die Erde und die menschliche Gesellschaft sind in einem untrennbaren, lebendigen, farbenfrohen Gewebe des Lebens miteinander verwoben.

Befreiung ist notwendig

Sich von dem 1% und seinen Konstrukten zu befreien, ist nicht nur möglich, sondern notwendig. Es ist eine ökologische Notwendigkeit, weil uns die Weltanschauung der Trennung in Verbindung mit der Illusion einer grenzenlosen Ausbeutung der Natur an einen ökologischen Abgrund drängt. Es ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit, weil die Welt des 1% die 99 Prozent gefügig macht und unsere vielfältigen Schöpfungen, Potentiale und Möglichkeiten auslöscht. Es ist eine demokratische Notwendigkeit, weil die Herrschaft des 1 % eine gewalttätige Diktatur ist. Sie zerstört unsere Grundfreiheiten und die Freiheit aller Wesen, sich in einer miteinander verbundenen Welt, in einer Erdenfamilie zu entwickeln. Sie ist eine soziale Notwendigkeit, weil die Welt des 1% unser soziales Wesen, unsere Gemeinschaften und unser Gemeingut zerstört, indem sie alles privatisiert und das Gemeingut einhegt, indem sie uns auf Konsumenten reduziert und uns auf der Grundlage von Geschlecht, Rasse und Religion spaltet. Es ist eine menschliche Notwendigkeit, weil die Teilhabe an einer Welt grenzenloser Gier, Gewalt und Macht und grenzenlosen Profits uns unserer Menschlichkeit beraubt. Sowohl die 1%-Herrscher als auch die 99 Prozent entbehrlicher Menschen verlieren ihre Menschlichkeit. Gier, Angst und Hass gehen Hand in Hand und verstärken sich gegenseitig.

Wir leben in einer globalen Kolonie

Auch wenn sich die Zeiten geändert haben, bleiben die Muster der Kolonialisierung gleich: Gewalt, Zerstörung der Freiheiten und Wirtschaft der Menschen, Übernahme von Dingen, die ihnen nicht gehören, Eintreiben ungerechter Abgaben, Schaffung von Konstrukten des Teilens und Herrschens. Auch die Muster von Befreiung und Freiheit sind beständig, sie säumen den Weg zum Wiedererstehen des Realen.
Die Ketten der Unfreiheit sind heute global. Sie kontrollieren jede Dimension unseres Lebens durch ein gefestigtes System, das vom mechanistischen Verstand und der Geldmaschine entworfen wurde. Die Kontrolle wird durch die Konstruktion von Illusionen ausgeübt, durch Konvergenz und Konzentration, durch das Auferlegen von Gesetzen, die das freie Funktionieren der Geldmaschine ermöglichen, weil Alternativen, die auf wirklicher Freiheit beruhen, verboten sind.

Zeit für Befreiung und Rückbesinnung

Die drei Prinzipien Gandhis, die der Mahatma im Laufe der Geschichte seiner Kämpfe und für die Durchsetzung von Freiheitsrechten herauskristallisierte, waren Vandana Shivas Inspiration.
Swaraj: Selbstorganisation, Selbstbestimmung, Freiheit als Autopoiesis;
Swadeshi: Selbstversorgung und Schaffung lokaler Ökonomien;
und Satyagraha: die Kraft der Wahrheit, des kreativen zivilen Ungehorsams.

Swaraj – das Wiedererstehen der wirklichen Freiheit für alle Wesen

Weil wir keine isolierten, atomisierten Teilchen, sondern miteinander verbundene Wesen sind, ist Freiheit unteilbar. Sie beruht auf Beziehung und ist mit allem verbunden. Die menschliche Freiheit ist untrennbar mit der Freiheit der Erde und den Rechten aller ihrer Wesen verbunden. Der Mensch ist weniger frei, wenn er die Natur und ihre Rechte missachtet. Die menschliche Freiheit ist unteilbar, sie schließt die Freiheit aller Hautfarben, Glaubensrichtungen, Geschlechter und Kulturen ein. Freiheit ist Selbstorganisation, Autopoiesis (= Prozess der Selbsterneuerung und -erhaltung eines Systems). Der Mangel an Freiheit äußert sich in einer von außen aufgezwungenen Uniformität: Allopoiesis (Fremdbestimmung und -steuerung).

Swadeshi – das Wiedererstehen von echtem Wohlstand, echter Arbeit und Wohlbefinden

„Swadeshi“ ist das indische Wort für lebendige lokale Wirtschaft, für wirtschaftliche Souveränität und wirtschaftliche Demokratie. Swadeshi beruht auf lokalen Ökonomien, die in nationale Ökonomien und schließlich in eine planetare Wirtschaft hineinwachsen, in Übereinstimmung mit der Natur und den wirklichen Freiheiten der Menschen, zur Schaffung von realem Wohlstand und Wohlbefinden auf allen Ebenen. Volkswirtschaften zu schaffen, die für die 99 Prozent und nicht nur für das 1% arbeiten, ist ein ethischer, ökologischer, wirtschaftlicher und menschlicher Imperativ.

Satyagraha: das Wiedererstehen von echtem Widerstand, echter Demokratie

Satyagraha, die Kraft der Wahrheit, war Gandhis Wort für Nicht-Kooperation mit und Nicht-Teilhabe an Systemen, Strukturen, Gesetzen, Paradigmen und einer Politik, die die Erde zerstören und uns unserer Menschlichkeit und unserer Freiheiten berauben. Satyagraha ist die tiefste Praxis der Demokratie, ein „Nein“ des höchsten Bewusstseins, die moralische Pflicht, nicht mit ungerechter und brachialer Rechtsprechung und ausbeuterischen und undemokratischen Prozessen zu kooperieren. Höhere moralische Gesetze zwingen die Bürger dazu, niedere Gesetze, die Ungerechtigkeit und Gewalt institutionalisieren, nicht zu befolgen.

Wahre Freiheit und die Schaffung von wahrem Reichtum erfordern die Ausübung von Satyagraha, Swaraj und Swadeshi mit Integrität und in Vernetzung. Widerstand ohne eine im Realen verwurzelte Vorstellungskraft, die mit konstruktivem Handeln verbunden ist, wird keine andere Welt erschaffen. Die Saat der Freiheit zu säen, ist keine Einbildung. Es ist ein bewusster Akt, ein Akt, in dem wir eins mit der Erde werden. Einssein ist unser Sein, unsere Quelle der Kraft, unsere Kraft, uns gewaltlos zu widersetzen – ist unsere Macht, gewaltlos zu erschaffen.


Über die Autorin Vandana Shiva

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Vandana Shiva ©Drona Chetri

Vandana Shiva (* 5. November 1952 in Dehradun) ist eine indische Wissenschaftlerin, soziale Aktivistin und Globalisierungskritikerin.

Für ihr Engagement in den Bereichen Naturschutz, biologische Vielfalt, Frauenrechte und Nachhaltigkeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet.

Ihr wurde 1993 der Right Livelihood Award – inoffiziell auch Alternativer Nobelpreis genannt – verliehen, weil sie die Themen Frauen und Ökologie in den Mittelpunkt des Diskurses um moderne Entwicklungspolitik gestellt hat.

Sie ist unter anderem Mitglied der Internationalen Organisation für eine Partizipatorische Gesellschaft (IOPS). Des weiteren ist sie Gründungsmitglied beim World Future Council.
Quelle: Amazon


Video Oneness vs. The 1%: #Vandana Shiva at the United Nations Office at Geneva


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Buchtipp: Vandana Shiva-cover-eine-erde-fuer-alle

Eine Erde für alle! – Einssein versus das 1 % – Aufstehen gegen die Monokultur von Wirtschaft und Weltsicht

In diesem klug auf Fakten aufgebauten Buch zeigt Vandana Shiva, wie eine kleine Gruppe superreicher Einzelpersonen, Stiftungen und Investmentfirmen die Kontrolle über unsere Lebensmittelversorgung, unser Informationssystem, unser Gesundheitswesen und unsere Demokratien immer weiter ausbaut. Die Autorin macht sehr deutlich, dass unser Überleben von der Vielfalt unseres Saatgutes und dass unsere Demokratien von einer aufgeklärten Öffentlichkeit abhängen. Es ist ein sehr leidenschaftlicher, weiblicher wissenschaftlicher Diskurs, der eine globale Leserschaft verdient….

Zum Buch

01.10.2021
Vandana Shiva
indische Wissenschaftlerin, soziale Aktivistin und Globalisierungskritikerin

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