Spannungsfeld zwischen Weltenflucht und Materialismus

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Der Mensch im Spannungsfeld zwischen Weltenflucht und Materialismus – wie kann eine sinnvolle Synthese gelingen?

Der Mensch ist ein vielschichtiges Wesen. Er kann sich hohe Ideale und Vorsätze setzen, jedoch auch kläglich daran scheitern und letztendlich sogar das Gegenteil erschaffen. Bei Goethe findet sich eine treffliche Beschreibung dieses Widerspruchs. Er lässt Faust ausrufen:

„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, Die eine will sich von der andern trennen; Die eine hält, in derber Liebeslust, Sich an die Welt mit klammernden Organen; Die andere hebt gewaltsam sich vom Dust, Zu den Gefilden hoher Ahnen“. (1)

Dieser Ausruf zeigt die große Spannung auf, in der wir Menschen uns befinden. Zum Einen leben wir auf der Erde und möchten hier Ideen verwirklichen und einen Aufbau leisten. Hierbei erleben wir nicht selten Widerstände und Herausforderungen, die uns auffordern, uns tiefer in ein Thema, in eine bestimmte Materie einzuarbeiten, um kreative Lösungen zu finden. Andererseits lebt in uns die Sehnsucht nach einer Welt, die unsichtbar hinter dem Sinnenschein verborgen liegt. Platon sprach von der sogenannten Ideenwelt, die jeder Erscheinung der Welt zugrunde liegt.

Beide Richtungen, die hin zur Erde, zur Materie, zum physisch Sichtbaren und jene hin zum Geistigen, über-sinnlichen haben ihre Berechtigung.

Oftmals jedoch erleben wir uns hin und hergerissen zwischen diesen beiden Polen.

Zum einen verlieren wir uns im Materiellen, definieren uns über bestimmte Statussymbole und benötigen dieses oder jenes „Mittelchen“, um glücklich zu sein. Die scheinbare Berechtigung auf ein angenehmes, erfülltes Leben führt zu der fordernden Haltung, dass man sich nimmt, was einem vermeintlich zusteht und ist mit den Worten Goethes der „derben Liebeslust“ treffend beschrieben.

Auf der anderen Seite kann die Sehnsucht zum Geistigen zu einer Art Weltenflucht führen, indem wir uns in eine Art Scheinwelt flüchten und von der harten, problembehafteten Welt draußen nichts mehr wissen möchten. Dies ist jedoch ein Teufelskreis, denn je mehr wir uns in unsere Traumwelt verschließen, umso unsanfter wird hinterher die Konfrontation mit der Realität, in die wir völlig unvorbereitet und naiv eintreten. Und je mehr wir denken, wir müssen in der fordernden Leistungsgesellschaft mithalten, um einem bestimmten Bild gerecht zu werden, umso stärker wächst auf der anderen Seite der Wunsch, endlich etwas für sich zu tun, indem man sich eine Art Inselsituation erschafft, die die Sehnsucht nach Geborgenheit im Menschen entspricht.

Nun stellt sich die Frage: Wie kann dieses Dilemma, dieser starke Pendelschlag zwischen den Polen überwunden werden? Wie kann der Mensch eine harmonische Einheit mit dem Weltenganzen erschaffen?

Verschiedene spirituelle Ansätze: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Auf dem Gebiet der Spiritualität wird im Grunde von allen führenden Lehrern festgestellt, dass die Art, wie der heutige Mensch denkt, dazu führt, dass er ständig zu einer Trennung zwischen sich und der Welt beiträgt. Der durch den Darwinschen Grundsatz „Survival of the fittest“ geprägte Konkurrenzkampf in der heutigen Leistungsgesellschaft hat dazu geführt, dass der Mensch gelernt hat, schnelle Urteile zu fällen, um mithalten zu können.

Dies dient im Grunde immer nur dem Erhalt oder dem Verbessern der eigenen Position und wird der eigentlichen Sache nicht gerecht. Diese Ich-Bezogenheit, und sei es nur, als „guter Mensch“ zu gelten, führt dazu, dass die Wahrnehmung des Menschen auch dementsprechend gelenkt ist. Er nimmt die Welt aus einem egozentrischen Blickwinkel wahr. Auf diese Weise ist ein tieferes Verständnis der Mitmenschen, der Natur und generell der Erscheinungen der Welt nicht möglich. Wie er jedoch diese Art des Denkens überwindet und welche Schritte für eine erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit und dadurch Erkenntnis notwendig sind, darüber gibt es nun unterschiedliche Ansichten.

Kurt Tepperwein, spiritueller Lehrer beschreibt das Denken als etwas,

das überwunden werden muss, um zu einer wirklichen Wahrnehmung und letztendlich zu sich selbst zu kommen. Denn durch den Verstand schaffe sich der Mensch eine Art Ich-Identifikation, eine Illusion, die eigentlich gar nicht er selbst ist. Indem der Mensch nun das Denken loslasse, komme er zu seinem wirklichen Selbst (2).

Ähnlich formuliert es Eckart Tolle. Er beschreibt den Zustand, den er räumliches Bewusstsein nennt wie folgt:
„Es ist immer wie ein Erwachen, wenn man von der gedanklichen Identifikation mit dem gegenständlichen Bewusstsein plötzlich eintritt in das räumliche (zum Beispiel nur durch sinnliche Wahrnehmung…) und man denkt nichts mehr. Und plötzlich öffnet sich eine Weite, innerlich, das Räumliche“ (3).

Das gegenständliche Bewusstsein haftet an der Oberfläche der Dinge und dringt noch nicht in deren Tiefe, in deren Seinszustand ein. Indem das Denken nun losgelassen wird, tritt ein Zustand ein, den Eckart Tolle mit Weite oder dem Räumlichen beschreibt.

Welcher Raum ist hierbei gemeint?

Neben dem physisch messbaren Raum kann man von einer Art seelischem Raum sprechen, der sich mehr auf der Gefühlsebene ausdrückt, beispielsweise können wir uns in einem Raum aufgenommen fühlen oder aber eine Begrenzung und ein Zurückgeworfen sein auf uns selbst erleben. Es ist eine Bewegung zwischen einem Außenraum, der uns umgibt und einem persönlichen Innenraum.

Auch der Sinnesprozess beschreibt diesen Pendelschlag zwischen innen und außen: über die Sinne nehmen wir etwas im Außenraum wahr und bringen es in Beziehung zum Innenraum. Dieser wiederum tritt durch entsprechende Handlungen, durch (Re-) Aktionen in Kontakt mit dem Außenraum. Der Mensch wirkt durch diese beständige Bewegung auf die Welt und diese auf ihn.

Das von Eckart Tolle so genannte Raumbewusstsein scheint eine Gegenbewegung zum gegenständlichen Bewusstsein, zum Intellekt zu sein. Der Mensch leidet unter dem ständig kreisenden Gedankenleben und möchte diesem nun entfliehen, indem er die belastenden Gedanken loslässt und in eine Art Innenwelt flüchtet. Dies kann als innere Weite empfunden werden, da der permanente und störende Gedankenstrom nicht mehr dominiert. Dieser Zustand zeigt sich wie ein Pendelschlag zum Verstandesdenken, das auf die Erscheinungen der Welt gerichtet ist.

Da sich im intellektuellen Denken gleichzeitig ein starker Selbstbezug offenbart wie oben ausgeführt, meint Eckart Tolle, dass mit dem Loslassen dieses Denkens auch das Leid verursachende Ego verschwindet.

Die Form als Ausdruck des Dualismus

„Wenn du dich nicht länger total mit der Form identifizierst, wird das Bewusstsein, das du bist,
aus seiner Gefangenschaft in der Form befreit.
Diese Freiheit schafft den inneren Raum (…).“

Eckart Tolle (4)

Die Erscheinungen der Welt besitzen klare Formen, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen und mit unserem Verstand erfassen und benennen können. Sie zeigen sich in ihren jeweiligen charakteristischen und einzigartigen Formen. Jede Schneeflocke unterscheidet sich von den anderen und ist dennoch nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten geformt. Diese Einmaligkeit offenbart auch einen Dualismus, jede Form existiert getrennt von der anderen und lässt sich unter-scheiden. Würde man bei der Form stehen bleiben, so würde das Bewusstsein tatsächlich eine Art Gefangenschaft erleben, da die Form etwas Gewordenes, also das Ende eines vorausgegangenen Prozesses darstellt und am Ende ihrer Entwicklung steht.

Eckart Tolle sieht nun die Lösung darin, sich nicht mehr mit der Form zu identifizieren, also das eigene Verstandesdenken davon zu lösen. Das Eintauchen in einen Raum, in dem keine Formen mehr existieren, kann als etwas Friedliches wahrgenommen werden, da der Widerstand, den uns die Form bietet, verschwindet. Doch ist auf diesem Wege eine wirkliche Einheit zu erlangen? Was vereint uns Menschen mit der Welt und dem Kosmos? Wo liegen die Gemeinsamkeiten und wie können wir diese kennenlernen und beschreiben?

Die Ideenwelt als übergeordnete Einheit

Wenn man wie Platon von einer Ideenwelt ausgeht, die den irdischen Erscheinungsformen zugrunde liegt, so ist die sichtbare Form nur eine von unendlichen Möglichkeiten. Auch wenn jede Schneeflocke einzigartig ist, liegt ihr eine allgemein gültige Idee zugrunde, aus der die verschiedenen Formen abgeleitet sind. Die Welt der Ideen kann man also als die Ebene verstehen, in der keine Dualität existiert, in der die verschiedenen Ideen letztendlich den gleichen Ursprung besitzen.

Ähnlich beschreibt es Rudolf Steiner, Begründer der Anthroposophie: „Denn, sehen Sie, der Mensch ist tatsächlich wie ein Extrakt des ganzen Kosmos. Im Menschen findet man – irgendwie verändert, irgendwie extrahiert, kompensiert oder dergleichen – das, was im Kosmos als Gesetz vorhanden ist (…)“ (5)

Gehen wir von dem Gedanken aus, dass der Mensch ein Extrakt des ganzen Kosmos ist, so ist der weitere Gedanke zur Selbsterkenntnis besser verständlich, in dem Steiner ausdrückt:

„Willst du dich selbst erkennen, so suche in den Weltenweiten dich selbst;
willst du die Welt erkennen, so dringe in deine eigenen Tiefen“. (6)

So wie der Spiegel uns unsere eigene Gestalt bewusst machen kann,

so kann uns die Welt mit ihren Reaktionen auf unser Handeln ein deutliches Gegenüber bilden, an dem wir wach werden und lernen können. Ebenso können wir immer mehr die Welt mit ihren Erscheinungen erfassen, indem wir diese wahrnehmen und in uns selbst reflektieren lassen. Beides erfordert allerdings das Schulen einer guten Unterscheidungsfähigkeit, damit wir Eigenes, beispielsweise die persönliche Sympathie oder Antipathie von dem Gegenüber differenzieren können und nicht das Persönliche auf die Welt projizieren.

Ähnlich wie die Oberfläche eines Sees ruhig und glatt und das Wasser von einer Klarheit und Reinheit sein muss, damit man ungetrübt den Grund erblicken kann, ebenso dürfen keine Emotionen oder schnelle intellektuelle Schlussfolgerungen diesen Erkenntnisprozess stören, möchte man das wirkliche Wesen einer Sache erfassen.

Dieser Erkenntnisprozess beschreibt ebenfalls eine lebendige Pendelbewegung zwischen Innen- und Außenraum. Jedoch führt diese Art der Pendelbewegung nicht zur weiteren Spaltung zwischen den Extremen, sondern sie sucht den gemeinsamen Nenner, die Verbindung der unterschiedlichen Erscheinungen (das, „was die Welt im Innersten zusammenhält“) (7).

Heinz Grill, geistiger Lehrer und Begründer des Neuen Yogawillens beschreibt den Übergang zu einem höheren Bewusstseinszustand folgendermaßen:

„Um die Schwelle zwischen der irdischen und der geistigen Welt mit eigener Kraft sinnvoll zu passieren, bedarf es einer exakten Unterscheidung zwischen dem, was vergänglich und unbedeutend ist, und dem, was höhere Werte mit bleibendem Charakter sind.“ (8)

Die Formen, in die sich die Erscheinungen der Welt kleiden, sind vergänglich.

Sie entstehen und vergehen und zeigen sich in ihrer Einzigartigkeit. In der östlichen Philosophie wird die äußere Welt auch mit Maya, der großen Illusion bezeichnet (9). Die Idee, aus der die Form entspringt, hat Ewigkeitscharakter. Die Form ist die Umkleidung für den Inhalt, der der ersten Wahrnehmung noch verborgen bleibt. Dieser Schleier kann jedoch gelüftet werden, wenn sich der Mensch übt, die Erscheinungen konkret wahrzunehmen durch eine gegenständliche, beschreibende und charakterisierende Anschauung. Aus dieser regelmäßigen, ausdauernden Praxis kann eine Empfindung für die feinstoffliche Ebene der Erscheinung erwachsen.

Es ist also nicht wie beispielsweise im alten Indien ein Rückzug aus der irdischen Welt der Maya (10), der den Menschen wieder zu einer Wahrnehmung der Wirklichkeit und damit einer Einheit mit der Welt führen kann, sondern ein Erkenntnisprozess, der sich den Erscheinungen der Welt zuwendet und durch die Übung einer konkreten und möglichst objektiven Anschauung durch die Form der Erscheinung hindurch an dessen Kern, an dessen Seinszustand gelangt.

Folgen der verschiedenen Ansätze

Eckart Tolle und Kurt Tepperwein gehen beide davon aus, dass das Denken die Illusion bringt und dementsprechend formulieren sie die Wege zur Erlangung eines wacheren, bewussteren Zustandes.
Was bewirkt das Loslassen des Denkens und dadurch der konkreten Außenwahrnehmung?

Das, was man vielleicht selbst als eine Art glückseligen Zustand wahrnimmt, da die Problem behafteten Gedanken nicht mehr dominieren, kann ein Abtauchen in die eigene Innenwelt mit gleichzeitigem Verlust einer gesunden Beziehungsaufnahme zur Umgebung und zur gesamten Weltenlage bedeuten. Man selbst fühlt sich geschützt, während die Mitmenschen einen nicht mehr wirklich erreichen können.

Eine eigenartige Empfindungslosigkeit und Gleichgültigkeit kann entstehen. Die Mitmenschen wiederum können dadurch eine Art Kraftverlust erleben, da ein natürliches in Beziehung treten nicht mehr möglich ist. Die Kraft, die jeder Mensch zur Verwandlung der gegebenen Verhältnisse und Bedingungen als zu entwickelndes Potential in sich trägt kommt nicht zum Einsatz, sondern wird an das eigene Innere rückgebunden.

Setzt sich der Mensch jedoch mit den Umständen des Daseins auseinander,

bemüht er sich um eine möglichst objektive, beschreibende Anschauung der Gegebenheiten und entwickelt er anhand dessen die Idee eines idealeren, erstrebenswerten Zustandes, so kann die Gestaltungskraft des Menschen in die Welt einfließen und Erstaunliches bewirken. Er wird auf seine Mitmenschen erkraftend und mutmachend wirken und die gesamte Entwicklung seines Umfeldes und darüber hinaus der Gesellschaft und schließlich der Weltensituation positiv beeinflussen.

Fußnoten und Quellenangaben:



Fußnoten und Quellenangaben:



1) J.W. von Goethe: Faust I, Vers 1112 1117, Reclam-Verlag Stuttgart, durchgesehene Auflage von 2000

2) Kurt Tepperwein (04.06.21): „So kommen Sie vom Denken zur Wahrnehmung“, YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=3mMud8OL56c;

3) Eckart Tolle (08.03.20): „Erfolg in Beziehungen und Liebe“, YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=Ge9vw2Jgt94

4) Eckart Tolle, zitiert von: https://www.freiheit-des-jetzt.de/eckhart-tolle-vom-objektbewusstsein-zum-raumbewusstsein-teil-1/, zuletzt gesichtet am 26.02.2023

5) Rudolf Steiner (2005), „Fachwissenschaften und Anthroposophie“ GA 73a, S. 425, Dornach, Schweiz: Rudolf Steiner Verlag

6) Rudolf Steiner (1981): „Westliche und östliche Weltgegensätzlichkeit“ GA 83, S. 164, Dornach, Schweiz: Rudolf Steiner Verlag

7) J.W. von Goethe: Faust I, Vers 380, Reclam-Verlag Stuttgart, durchgesehene Auflage von 2000

8) Heinz Grill (Januar 2023): „Jahresausblick auf 2023 – Teil 3 Für die Zukunft wird nur das wirklich Geschaffene in seine Bedeutung eintreten“, Verfügbar unter: https://heinz-grill.de/2023-menschliche-schoepferkraft/, zuletzt gesichtet am 26.02.2023

9) Um sich von dieser Illusion zu befreien, müsse der Mensch laut Buddha den Durst nach Dasein in sich bezwingen, dann müsse er sich nicht mehr verkörpern und wäre von allem Leiden befreit. Steiner beschreibt, dass es der Mensch selbst ist, der sich beim Herunterstieg auf die Erde die äußere Welt zur Illusion umgeschaffen hat. „Der Mensch ist es selbst, der die äußere Welt durch seine Tat zur Illusion gemacht hat! Nennen Sie es nun mit der Bibel «Sündenfall» oder sonst wie, was bewirkt, dass ihm die äußere Welt jetzt als eine Illusion erscheint. Den «Göttern» gibt die orientalische Religionslehre die Schuld, dass dem Menschen die Welt als Maja erscheint. Schlag an deine eigene Brust! – so sagt Paulus -, du bist heruntergestiegen und hast deine eigene Anschauung so getrübt, dass Farbe und Ton nicht wirklich als ein Geistiges erscheinen.

Du glaubst, dass Farbe und Ton etwas ist, was materiell für sich da ist? Maja ist es! Du hast es selbst zur Maja gemacht. Du Mensch, du musst dich selbst davon wieder erlösen. Du musst dir das, was du verwirkt hast, wieder aneignen! Du bist heruntergestiegen in die Materie, und jetzt musst du dich selbst wieder davon erlösen, davon befreien, aber nicht in der Weise, wie es Buddha sagt: Bezwinge den Drang nach Dasein! Nein! du musst das Dasein der Erde in ihrer Wirklichkeit sehen“.
Rudolf Steiner (1982): „Der Christus-Impuls und die Entwickelung des Ich-Bewusstseins“ GA 116, S. 164, Dornach, Schweiz: Rudolf Steiner Verlag

10) Wenn man berücksichtigt, dass die ganze Menschheit sich in einem ständigen Entwicklungsprozess befindet, so sieht man auch, dass gewisse Impulse für einen Zeitraum ihre Berechtigung hatten, jedoch immer in Bezug auf den aktuellen Entwicklungsstand der Menschen betrachtet werden müssen.


28.03.2023
Lisa Quispe Ureta


Lisa Quispe Ureta
© Lisa Quispe Ureta

Lisa Quispe Ureta

Heilpädagogin und Waldorflehrerin Lisa Quispe Ureta, Jahrgang 1987 strebt danach, durch universell gültige Gesetzmäßigkeiten und Ideen in eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Leben und den oftmals herausfordernden Umständen zu gehen und dadurch die bisher bestehenden Situationen Stück für Stück zu verwandeln und zu erheben. Ihre jahrelange Erfahrung in der Pädagogik und Heilpädagogik und sowohl das Studium der Anthroposophie Rudolf Steiners als auch des von Heinz Grill entwickelten Neuen Yogawillens und dessen Hintergründe regten sie an, vor knapp zwei Jahren gemeinsam mit anderen Menschen ein Kulturprojekt in Italien, Piemont zu gründen, die sogenannte „Villa Angela“ und dort Menschen einen Ort zu bieten, an welchem sie neue Perspektiven und Kulturbausteine für die Zukunft entwickeln können.

Die pädagogisch-therapeutische Arbeit richtet sich an zum Teil traumatisierte, depressiv gestimmte oder psychisch erkrankte Menschen, die im Moment keinen Sinn mehr im Leben entdecken können. Um aus dem Teufelskreis des um-sich-selbst-Kreisens auszubrechen ist es notwendig, eine gute Außenwahrnehmung zu entwickeln. Der eigene Lebensauftrag steht immer in Zusammenhang mit einem größeren Ganzen, mit der gesamten Weltensituation, die erforscht werden möchte, um im Folgenden den eigenen Platz darin zu finden. Das eigene Tun einem Gesamten zu widmen vermittelt einen höheren Sinn und auf diese Weise erleben beide Bereiche, derjenige der individuellen Entwicklung und jener der Gemeinschaftsbildung eine sinnvolle Einordnung.

Neben der Begleitung pädagogisch-therapeutischer Aufenthalte in der Villa Angela richtet sie gemeinsam mit ihrem Mann Lorenzo Quispe Ureta Kurse zu verschiedenen Themen aus. Im Sinne des Ausspruches von Rudolf Steiner „Jede Erziehung ist Selbsterziehung“ geht es in allen Kursen darum, wie der einzelne Mensch so an sich arbeiten kann, dass er aufbauend und erkraftend auf sein Umfeld wirken kann, sei es im Thema der Pädagogik, der Ernährung oder allgemein in der Begegnung und dem Zusammenwirken mit anderen Menschen.

4 Kommentare

  1. Sehr schöner Artikel, den ich gut verinnerlichen kann. Danke sehr. Hilfreich wäre noch ein Verweis auf die Erlernung der “objektiven, beschreibende Anschauung der Gegebenheiten”. Dieses Erlernen wurde im Artikel nur angedeutet.

    • Guten Tag Herr Ramos-Jimenez,
      Schön, dass Ihnen der Artikel gefallen hat und danke für Ihre Frage bezüglich des Erlernens einer objektiven Anschauung. Hierzu möchte ich gerne auf verschiedene sogenannte Seelenübungen verweisen, die von Rudolf Steiner und Heinz Grill entwickelt wurden, um die Bewusstseinskraft des Menschen zu stärken und einen Aufbau für die Umgebung zu leisten.
      Um zu vermeiden, dass der Mensch zu sehr in die eigene subjektive Welt versinkt, benötigt es ein konkretes Objekt im Außen, zu dem der Mensch sich mit seiner Aufmerksamkeit ausrichten kann. Dies kann eine Naturerscheinung sein, eine Textstelle, ein Gebäude o.ä. Wählt man beispielsweise eine Pflanze als Studienobjekt, kann man diese nun nach bestimmten Kriterien wie Farbe oder Form studieren. Dabei sollte streng darauf geachtet werden, alle subjektiven Gefühle wie Sympathie und Antipathie beiseite zu lassen und rein nach den gewählten Kriterien das Objekt zu charakterisieren. Der entstandene Eindruck kann nun im Gedächtnis nachwirken und sollte immer wieder über den Tag hinweg in die Erinnerung gerufen und gedanklich neu aufgebaut werden. Durch wiederholtes Betrachten entwickelt sich eine vertiefte Beziehung zwischen dem Betrachter und dem zu betrachtenden Objekt und es können erste feinere Empfindungen entstehen. Hilfreich empfinde ich es auch, hin und wieder mit anderen Menschen Übungen dieser Art auszuführen, um ein Gefühl für den Unterschied von Objektivität und Subjektivität zu bekommen, denn gerade zu Beginn bestehen meist große Unsicherheiten: Ist dies eine Wahrnehmung, die durch das Objekt entsteht oder projiziere ich selbst etwas nach außen? Vermische ich einen äußeren Eindruck mit bereits vorhandenem abgespeichertem Wissen oder anderen Erinnerungen? Im Idealfall entstehen beim gemeinsamen Üben ähnliche Wahrnehmungen, die sich gegenseitig ergänzen und weiterhelfen können.

      Hier sind Literaturhinweise mit entsprechenden Übungen:
      „Übungen für die Seele – Die Entwicklung eines reichhaltigen Gefühlslebens und das Erlangen erster übersinnlicher Erkenntnisse“ von Heinz Grill
      und
      „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ von Rudolf Steiner

  2. Spirituelles Leben, ein Leben ohne Fragen und ohne Raum und Zeit.

    Keine Macht der Welt ist mächtiger als die Macht in uns. Davor fürchten sich die Menschen.

    Wir sind alle Geschöpfe mit gleichen Werten.

    Es wird Zeit, dass es alle wissen. Helfen und handeln ist das Thema.

    Drei Buchstaben sind alles was sinnvoll und zweckmäßig ist: TUN

    Dieter Müller

    BiKuNa

    • Guten Tag Herr Müller,
      es ist richtig, dass der Mensch im Grunde durch sein geistbegabtes Wesen ein großes Kraftpotential in sich trägt und dass er sich oftmals davor fürchtet. Denn mit dem Ausüben von dieser Kraft wächst auch die Verantwortung für die Konsequenzen des eigenen Handelns. Und diese Verantwortung, die Mündigkeit muss der Mensch erst Schritt für Schritt erlernen. Im Sinne von Kant benötigt es den Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und nicht allein die Meinungen anderer Personen zu übernehmen ohne sie selbst durchgerungen zu haben. Denn um etwas zu tun, benötigt es meines Erachtens eine gute Urteilsfähigkeit, um das eigene Tun im Sinne einer höheren Ordnung in einen Zusammenhang mit der Weltensituation zu bringen. Andernfalls kann es schnell passieren, dass es jemand „gut meint“, jedoch kontraproduktiv handelt.
      Deshalb lautet meine Ergänzung zum Tun: erst ein bewusstes, gedankliches Erfassen der Situation und ein Ringen um ein der Situation entsprechendes angemessenes Verhalten, damit ein kraftvolles und zielgerichtetes Handeln an die richtige Stelle gelangt.

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