Instanz oder Exstanz? Suche nach der Urquelle

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Instanz oder Exstanz?
Wahrheit & Selbst-Verantwortung

Oft ist es so, dass unsere Gefühle, Ideen, Meinungen, Gedanken, Gewohnheiten, Selbstverständlichkeiten unserer mentalen Struktur (lat.: mens, engl.: mind) die Wirklichkeit des Geistes (lat.: spiritus, engl: spirit) verdunkeln, seinen Platz einnehmen, seine Existenz übersehen lassen können.

Der spirituelle Weg ist die Suche nach der Ur-Quelle unseres Seins

Es ist das vom Ego befreite Sein, das in unserem Innersten wohnt. Tief in uns verborgen steckt unser wahres Selbst, das nicht getrennt und verschieden von der Quelle des Seins ist, welche die Christen mit dem inwendigen Königreich Gottes bezeichnen (s. Lukas 17, 21)

Wenn Jesus sagt: „Ich und der Vater sind eins“, dann meint er damit, dass er die Quelle, den Ursprung kennt.

Das Konzil von Toledo im 7. Jahrhundert definierte Gott  als „fons et origo“ (Quelle und Ursprung). Leider hatte sich diese bedeutungsvolle Erkenntnis nicht durchgesetzt, weil man einen lukrativen „Glaubens- und Götzenbetrieb“ installieren wollte.

In den Upanishaden lesen wir vom Eins-Sein von Atman und Brahman.

Der Seinsgrund und der Bewusstseinsgrund, das Ich bin“ (Sanskrit: Aham) aller Wirklichkeit und das Ich bin“ in unserer eigenen Tiefe sind nicht zwei, können nicht voneinander getrennt werden. Wer dies aus unmittelbarer innerer Erfahrung erfährt, weiß, dass er geistig – jenseits der Dualität von Geburt & Tod – unsterblich ist. Auf dieser Ebene findet die Wiedergeburt aus dem Geist statt (3. Kapitel des Johannes-Evangeliums).

Das ist Befreiung (Sanskrit: Moksha). Das ist das, was der spirituelle Meister an seinen Schüler durch Initiation und Transmission weitergibt. In der Nicht-Zweiheit (Sanskrit: Advaita) hört jeder Zweifel, jede Zwiefältigkeit auf und Zweifellosigkeit kommt aus dem eigenen Urgrund zum Vorschein.

Hier vollzieht sich das radikalste Zeugnis für den Ruf in das Jenseitige, besser ausgedrückt: in das Innenseitige,  das Innerste unseres Wesens, die wesentliche Instanz  (lat.: instare = inwendig stehen) unseres Daseins. Wir haben einen völlig falschen Bezug zum Begriff Instanz“ entwickelt. Wir hören auf „Exstanzen, die außerhalb von uns wirkungsmächtig sind und verlieren dabei den Kontakt zu unserer eigenen Instanz

Dieser Ruf nach Befreiung – wie schwach auch immer

– ertönt im Herzen eines jeden.

Es ist das Zeichen für das, was jenseits aller Zeichen liegt, und was alle Möglichkeiten übersteigt, es angemessen mittels Riten, Glaubensbekenntnissen oder Institutionen zu umschreiben. Eine Konfession, die als Religion tatsächlich das Letzte und Unbedingte im Blick hat, muss alle Dogmen und Praktiken hinter sich lassen und sie als nur etwas Vorläufiges betrachten.

In der tiefsten Quelle bekommt das Sehen, die Theorie (griech.: die Wesens-schau) eine neue Qualität. Mein Auge und das Auge Gottes schauen ein und dasselbe. Das Ich bin“ leuchtet uns schließlich als das Licht des reinen Bewusstseins auf, und dieses Licht absorbiert völlig das reflektierte Licht unseres denkenden und wahrnehmenden Geistes. Diese Wirklichkeit des Reinen Bewusstseins ist von Natur aus ewig. Atman und Brahman kann man nicht erreichen. Wer erreicht die Quelle außer der Quelle selbst?

Nicht-Wahrnehmen ist nur eine Ausflucht, die man vorgibt,

weil man versucht, vor dem Wirklichen zu fliehen und mit klarem Bewusstsein ein Schein-Leben des Gebets, der Frömmigkeit und sogar der Askese zu führen.

Das ist zweifellos für das Ego recht befriedigend, aber tatsächlich führt es zu nichts. Geht die Sonne denn schon dadurch unter, dass ich die Fensterläden schließe? Das grundlegendste Hindernis für die Wahrnehmung ist gerade die Vorstellung, dass man auf diese Wahrnehmung noch warten muss.

Die Wahrheit hat keine Kirche.

Die Wahrheit ist die Wahrheit, und ein Mensch kann sie nicht an den anderen weitergeben. Die Wahrheit scheint kraft ihres eigenen Lichts. Für jeden, der die Wirklichkeit geschaut hat, gibt es weder Christen noch Hindus, Buddhisten oder Moslems. Wir müssen Gebete, Gottesdienst, das Nachsinnen über dieses oder jenes zurücklassen und nur wahrnehmen, dass wir sind.

Der bedeutendste Lehrsatz aus der Chandogya-Upanishad, einer der Lieblingstexte meines Meisters Bede Griffiths, heißt: „Tat Tvam Asi“ (Sanskrit: Das bist Du). Das Absolute ist mit Dir wesenseins. Der Schüler muss das Ewige, Unwandelbare erfahren und erkennen, dass er weder Körper noch Denken ist, sondern geburtloses, todloses, absolutes Bewusstsein, jenseits aller Dualität.

Die Bilder, die wir als Persönlichkeit von uns selbst haben, sind uns als Spiegelbilder unserer sozialen Beziehungen zugekommen und sind nichts anderes als wechselnde Vorstellungen unseres Gedankenflusses. Hinter all dem findet der Akt unseres Daseins statt. Ohne ein Objekt im Sinn zu haben, müssen wir unsere innere Quelle aufspüren.

Unser „Ich bin“ steigt auf – nicht als Gegenstand –, sondern als Ursprung allen Seins.

Das Sein meines Seins – die ewige Wirklichkeit.

Es wird so viel vom Höheren Selbst (engl.: higher self) gesprochen, aber nirgendwo wird der Ursprung dieses Wortes reflektiert. Selbst (lat.: ipse) hat mit Identität, mit Wesenseinheit zu tun.

Von Jesus Christus sagt man, er sei eines Wesens mit dem Vater, d.h.. identisch mit dem Urgrund, der Urquelle, dem Ursprung alles Seins. Nach hinduistischem Verständnis ist Atman das wirkliche, unsterbliche Selbst des Menschen, der unbeteiligte Zuschauer jenseits von Körper und Denken und als absolutes Bewusstsein identisch mit Brahman. Von Geburt an bleiben wir stets dieselben, aber niemals die Gleichen. Äußere Dinge mögen sich verändern und sichtbar werden, der Wesenskern, das Selbst bleibt davon unberührt.

 Selbst-Verwirklichung (engl.: self-realization) hat nichts mit einem Ego-Trip zu tun, sondern bedeutet das Aufspüren des innewohnenden Geistes, von Atman, dem Atem aus dem innersten Wesensgrund.

Die Trennung von dieser ewigen Lebensquelle liegt in unserer Ich-Verhaftung begründet. Der Engländer betont das Ich ganz besonders, weil er das „I“ stets mit einem Großbuchstaben schreibt.

Wir brauchen kein Ich-Vertrauen, sondern Selbst-Vertrauen. Das Ich steht dem Urgrund und letztlich auch der Inspiration im Wege.

20.04.2023
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist

www.KARDIOSOPHIE-NETWORK.de


Über Roland R. Ropers

Instanz oder Exstanz? Suche nach der Urquelle Roland Ropers 2021

Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.

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Buch Tipp:

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Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle

von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu

Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.

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