Wirklichkeit und Wissen

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Wirklichkeit und Wissen

Der unbegrenzte geistige Zusammenhang unserer Welt

Scio nescio!“
„Ich weiß, dass ich nichts weiß.“
(Sokrates)

„Conscio scio“
Ich erkenne gemeinsam und weiß.“
(Roland R. Ropers)

 Wirklichkeit und Wissen im Sinne des lat. Verbums „scire“ und des lat. Substantivs „scientia“ (engl.: science) ist nicht ausreichend, um zur Erkenntnis, zur Weisheit und zum Bewusstsein zu kommen. Darum hinterließ uns Sokrates den klugen Ausspruch: „scio nescio“ – ich weiß, dass ich nichts weiß.

Ayurveda ist nicht die Wissenschaft vom Leben, sondern das Wissen vom Leben – das ist ein riesiger Unterschied. Wissen (Sanskrit: Vidya) ist ein tief-inneres Sehen/Schauen – aus Vidya entwickelte sich das lat. Verb: videre (schauen, eine Vision haben).

Ohne Kontakt, ohne Berührung, ohne Berührung mit dem in mir vorhandenen tiefinnersten Wesensgrund, bleibt mir auf der Ego-Ebene der Zugang zur Weisheit, zur Erkenntnis, zum Bewusstsein versperrt. Darum spreche ich nicht von einem „Höheren Selbst“, sondern von einem „Tieferen Selbst“.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Doppelbedeutung des lateinischen Adjektivs „altus“, das mit hoch oder tief übersetzt wird und aus dem Textzusammenhang erkannt werden muss.

Die Verbundenheit wird durch das lateinische Präfix „cum“ = mit) ausgedrückt, das in entsprechenden Wortverbindungen als „co“ „com“ oder „con“ in Erscheinung tritt.

  • conscientia  Erkenntnis, Bewusstsein, Gewissen
  • cognoscere  erkennen (wörtl. gemeinsam geboren werden)
  • communio  gemeinsam Eins-Sein
  • contangere  gemeinsam berühren (kontaktieren)
  • continentia  Zusammenhalt
  • conspiratio   gemeinsames Atmen
  • convincere  überzeugen (wörtl.: gemeinsam siegen)
  • concurrere  zusammenlaufen (Konkurrenz)
Wissen und Erkenntnis sind stets eine gemeinsame Geburt (frz.: connaissance = Wissen, bedeutet wörtl.: connaître = gemeinsam geboren werden).

Orientierung: Lebens-Reise

„Ohne aus der Tür zu treten,
kannst du die Wege der Welt kennen.
Ohne aus dem Fenster zu schauen,
kannst du die Wege des Himmels kennen.
Je weiter du gehst, desto weniger weißt du.
Die Weisen wissen, ohne zu reisen,
Benennen, ohne zu sehen,
Wirken, ohne zu handeln.“
(Lao Tse „TAO TE KING“, Kapitel 47)

Der Mensch selbst, sein wahres Wesen, sollte stets Grund und Ziel jeder Reise sein. Das Wort Reise hat etymologisch mit engl.: to rise (aufstehen, sich erheben, von unten nach oben bewegen; sunrise = Sonnenaufgang) zu tun. Reise und Orientierung sind absolut identisch (lat.: sol oriens = der Sonnenaufgang). Die Lebensorientierung des Menschen sollte immer ein Emporstreben, der Weg zum Licht und nicht umgekehrt sein. Die Überwindung von Dunkelheit, Untergang und Tod  gehört zu den Übungsaufgaben aller nach Gott oder nach dem Urgrund suchenden Menschen.

Wirklichkeit ist nicht Realität

Der Atom- und Kernphysiker und 49. Ehrenbürger der Stadt München, Hans-Peter Dürr (1929 – 2014) , war der engste Schüler und Mitarbeiter des Physik-Nobelpreisträgers Werner Heisenberg  (1901 – 1976) und war sehr besorgt, wie leichtfertig und auch unwissend mit der Kernenergie umgegangen wird. Im Dezember 1995 wurde die „Pugwash Conferences on Science and World Affairs“, zu deren  aktiven Mitgliedern Hans-Peter Dürr zählte, in Oslo mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Seit dem ersten Treffen in dem kleinen Fischerdorf Pugwash in Nova Scotia/ Kanada kamen auf internationalen Konferenzen und Workshops renommierte und einflussreiche Wissenschaftler zusammen, um Beiträge zu Fragen der atomaren Bedrohung, zu bewaffneten Konflikten und Problemen der globalen Sicherheit zu leisten. „Pugwash International“ veranstaltet neben Jahrestagungen Workshops zu Themen wie nukleare Abrüstung, biologische und chemische Waffen und Weiterverbreitung von Waffentechnologien sowie zu Themen nachhaltiger Entwicklung und der Verantwortung der Naturwissenschaftler.

Hans-Peter Dürr ist vom Wissenschaftler zum Wissenden und Weisen geworden; er fühlte die Verantwortung, sich einzumischen, so lange er dazu in der Lage war. Er war ein Meister des liebenden Dialogs; für ihn bedeutete ein persönliches, wertschätzendes Gespräch: „Kommunion“.

Immer wieder sprach er von der notwendigen Kooperation anstelle eines vernichtenden Wettbewerbs.

Seine allerletzten Worte vor seinem Tod am Sonntag, 18. Mai 2014 in München:

„Ich will den Krieg noch abschaffen!“

Viele Jahre lang hatten wir in sehr intensiven Gesprächen die Unterscheidung von Realität und Wirklichkeit diskutiert und differenziert interpretiert. Er hatte meine Deutung des wichtigen Begriffs „Wirklichkeit“ übernommen. Der deutsche Dominikanermönch & Mystiker Meister Eckhart (1260 – 1328) hatte das Wort „Wirklichkeit“ (lat. actualitas, engl. actuality) geprägt.

Als Ergebnis unserer jahrelangen Gespräche formulierte Hans-Peter Dürr folgende Gedanken:

Duerr und Roland Tavertet Juni 2003
Die Freunde Hans-Peter Dürr und Roland R. Ropers ©Roland R. Ropers

„Die Wirklichkeit ist nicht zu verwechseln mit Realität. Unter Realität verstehen wir eine Welt der Dinge, der isolierten Objekte und deren Anordnung. Jene Welt, welche die alte, überholte Physik mit ihrem mechanistischen Weltbild beschreibt, mag für unseren Alltag ausreichen, trifft aber nicht das Ganze.

Die Felder in der Quantenphysik wirken in ganz andere, größere Räume hinein, die nichts mit unserem vertrauten dreidimensionalen Raum zu tun haben. Es ist ein reines Informationsfeld und hat nichts mit Masse und Energie zu tun. Dieses Feld ist nicht nur innerhalb von mir, sondern erstreckt sich über das ganze Universum. Der Kosmos ist ein Ganzes ohne jegliche Begrenzung. Die Quantenphysik sagt uns, dass die Wirklichkeit ein großer geistiger Zusammenhang und unsere Welt voller Möglichkeiten ist.

Wir leben in einer viel größeren Welt, als uns im Allgemeinen bewusst ist. Leben ist ein erstaunliches Phänomen. Mit seinem Bewusstsein und seiner Fähigkeit zum absichtsvollen Handeln hat der Mensch eine neue Stufe des Lebendigen erklommen. Sie ermöglicht ihm, die Welt auf doppelte und recht unterschiedliche Weise wahrzunehmen. Er erlebt sie zunächst ganz unmittelbar innerlich, weil er, wie alles andere Teil dieser Welt ist;

und er erfährt sie dann nochmals anders über seine Sinne in seinem hellen Bewusstsein als etwas Äußeres, von sich Abgetrenntes. Es ist die Betonung der äußeren Welt, die von der Trennung ausgeht, durch die der Mensch sich selbst als Lebewesen in Frage stellt und mit sich selbst auch ein Großteil des höher entwickelten Lebens auf der Erde in Gefahr bringt.

Es ist die Negierung der inneren Wahrnehmung der Wirklichkeit als einer Ganzheit, welche den

Menschen zu seiner Naturvergessenheit führt und ihn dazu verleitet, sich im Wettstreit mit anderen den Ast abzusägen, auf dem er sitzt. Die Quantenphysik entspricht der Logik der Natur: Teilchen verhalten sich wie Wellen und Wellen wie Teilchen. Und genau diese Unschärfe verweist auf den Ursprung alles Lebendigen – auf einen zugrunde liegenden universellen Code, der eben nichts anderes ist als Information.

Die neue Physik bezieht auf diese Weise auch unsere Alltagserfahrungen mit ein und damit die Lebendigkeit. Es gibt nur ein Beziehungsgefüge, ständigen Wandel, nur einen Zusammenhang ohne materielle Grundlage, etwas, was wir nur spontan erleben und nicht greifen können. Materie und Energie treten erst sekundär in Erscheinung – gewissermaßen als etwas Geronnenes, Erstarrtes. Wenn wir über die Quantenphysik sprechen, sollten wir besser eine Sprache verwenden, die nur aus Verben besteht. Das Substantiv ‚Liebe“ kann ich nicht definieren; lieben muss erlebt werden.

In der subatomaren Quantenwelt gibt es keine Gegenstände, keine Materie, keine Substantive, also keine Dinge, die wir anfassen und begreifen können. Es gibt nur Bewegungen, Prozesse, Verbindungen und Informationen. Da die Zukunft im Wesentlichen offen ist, wird die Welt in jedem Augenblick neu erschaffen, aber wohlgemerkt vor dem Hintergrund, wie sie vorher war. Der Bruch, den die neue Physik fordert, ist tief.

Er bezeichnet nicht nur einen Paradigmenwechsel, sondern deutet darauf hin, dass die Wirklichkeit im Grunde keine Realität im Sinne einer dinghaften Wirklichkeit ist. Wirklichkeit ist reine Verbundenheit oder Potenzialität. Soll die Menschheit eine Zukunft haben, so haben wir als Mitglieder der menschlichen Gesellschaft keine andere Wahl, als unser gemeinsames Schicksal mit heißem Herzen und kühlem Verstand in beide Hände zu nehmen und mitzuwirken, es entschlossen und sanft zugleich durch die gefährlichen Klippen und Stromschnellen der nächsten Jahrzehnte zu steuern.“

10.08.2023
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist

www.KARDIOSOPHIE-NETWORK.de


Über Roland R. Ropers

Wirklichkeit und Wissen Roland Ropers

Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.

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Buch Tipp:

cover kardiosophie Roland RopersKardiosophie
Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle

von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu

Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.

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