Aberdeen eine gesegnete Reise

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Segen karl franz BlessingsprintAberdeen eine gesegnete Reise

In weiter Ferne verschmolzen die Berge von Schottland’s Cairngorms National Park schon mit der Dämmerung als ich Richtung Norden nach Aberdeen fuhr.
Nur die deutlich kontrastierenden, weissen Gipfel stachen noch hervor und schnitten in den westlichen Horizont eine gezackte Linie. Seit meiner letzten Geschäftsreise war die Schneegrenze erheblich tiefer gerutscht, und es sah ganz danach aus, als würde die kommende Skisaison für Avimore gut werden.

Zum Glück war meine Strecke auf der A90 von Dundee nach Aberdeen an der Ostküste entlang, immer noch frei von Schnee, und solange gehörte die Küste ganz allein dem Nebel, der von den Einheimischen liebevoll Haar genannt wird und einem durch Mark und Bein geht. Ich sah wie er, von der Meeresbrise getragen, in Schwaden über die zweispurige Fahrbahn vor mir zu driften begann. Dort sammelte er sich, um sich auf seinen nächsten schwerfälligen Streifzug ins tiefere Innland vorzubereiten, der ihn weit von seiner Heimat, den grau-grün wogenden Schultern des Atlantik, weg führen würde.

Ich kam an der Abzweigung nach Kirriemuir vorbei, dem Geburtsort von J.M. Barrie, dem Autor von Peter Pan; und ich machte mir eine mentale Notiz, dass ich eines Tages hier anhalten würde.
Als ich an Montrose vorbei fuhr, hatte ich schätzungsweise noch sechzig Meilen vor mir bis ich zuhause war.
Etwas weiter vorne ragte die schiefer-graue Form eines Lastwagens aus dem Nebel. Die doppelt bereiften Räder spritzten ein Gemisch aus nassem Strassendreck, Salz und Splitt nach hinten.
Aus Erfahrung, wusste ich, dass es keine gute Idee war zu dicht aufzufahren. Meine Scheinwerfer und die Windschutzscheibe würden innerhalb kürzester Zeit mit der salzigen Pampe völlig eingesaut sein, wenn ich zu lange hinter ihm hängen blieb.

Die Strasse war völlig frei. Eine zweispurige Strasse und genug Platz zum überholen.
Was wollte man mehr?
Es gab keine Grund noch länger zu warten und zu riskieren, dass einem das Wischwasser ausging.
Dennoch fühlte sich etwas sehr komisch an. Ich schaute noch mal in den Rückspiegel.
Nichts – noch nicht mal der entfernte Schimmer eines Scheinwerfers. Die Strasse blieb weiterhin einladend frei.
Worauf wartete ich noch, um alles in der Welt ?

Das komische Gefühl blieb jedoch hartnäckig. Meine Hände weigerten sich einfach das Überholmanöver zu einzuleiten und hielten das Lenkrad konstant gerade aus.
Ich kannte dieses Gefühl. Es war das selbe Gefühl, dass mir vor vielen Jahren schon mal das Leben gerettet hatte. Ich machte damals eine Elektrikerlehre und war auf einem Routineauftrag im örtlichen Elektrizitätswerk.
Der Leiter des Elektrizitätswerk klopfte mir mit seiner gut gepolsterten Pranke auf die Schulter.
Es war ein grosser, gutmütiger Mann.

„Okay, es ist alles abgeschaltet, rein mit Dir“, sagte er und nickte in Richtung der schmalen Eingangsluke, die in den Kabelschrank führte.

Kein Job für diesen Bär von einem Mann, dessen umfangreicher Bierbauch ihm über den Gürtel hing, aber perfekt für einen mageren jungen Lehrling.
Als ich drin war, wurde mir sofort klar, dass selbst wenn er es ihm gelungen wäre durch die Öffnung zu kommen, er sich niemals an der Anlage hätte vorbei quetschen können, ohne mit dem Bauch an die prekären Muttern und Bolzen zu stossen, mit denen die elektrischen Leiter zusammen geklemmt waren.

Die drei kupfernen Leiter waren jeweils auf ungefähr fünfhundert Volt ausgerichtet. Und als wenn das nicht schon tödlich genug gewesen wäre, waren sie in drei unterschiedlichen Phasen geschaltet. Mit anderen Worten, ich war in einen Käfig getreten, in dem nicht nur ein einzelner gemeiner, hungriger Tiger lauerte, sondern ein grimmiges Trio von Bestien, das nur darauf wartete, dass ich einen Fehler machte.
Meine Aufgabe war nicht jedoch ziemlich einfach. Ich musste nur einen Teil des Leiters abschrauben und ersetzen.

Ich hielt den Schraubenschlüssel in der Hand und es gab überhaupt keinen Grund länger als nötig in dem staubigen, heissen Kabuff herum zu stehen.
Trotzdem stand ich einfach nur da. Meine Hände weigerten sich irgend etwas zu tun. Etwas stimmte hier nicht. Und zwar überhaupt nicht.
Ich ging vorsichtig rückwärts.
Sobald ich draussen war, bestätigte eine kurze Überprüfung mein Bauchgefühl. Die Leiter standen alle voll unter Strom.

Ich lernte an dem Tag eine wichtige Lektion und schätzte mich glücklich. Ich hatte wirklich einfach nur Glück gehabt.
Jetzt hatte ich das selbe Gefühl von hier stimmt was nicht.
Diesmal war es kein Hochspannungs-Käfig, es war nur ein gewöhnliches Überholmanöver, wie ich es schon tausend mal gemacht hatte.
Was also stimmte hier nicht?

Ich war immer noch dabei darüber nachzudenken als es passierte.

Ich musste hilflos mit ansehen, wie der riesige, hintere Anhänger aus unerklärlichen Gründen zur Seite ausschwenkte.
Er schlitterte quer über Gegenfahrbahn und rutschte dann sauber an seinen Platz zurück.
Ich wäre genau in dem Moment als er zur Seite ausschlug auf seiner Höhe gewesen und wäre mit Sicherheit wie eine Fliege von der Strasse geklatscht worden.

Ich vermute, dass der Fahrer einen Gang übersprungen hatte. Obendrein kam noch dazu, dass der unbeladene Anhänger zu wenig Gewicht hatte, um auf der nassen Strasse Halt zu finden und deshalb fast wie ein Taschenmesser umgeklappt worden war.
Ich hatte Glück gehabt.
Nein, es war mehr, ich war gewarnt worden; beschützt.

Als ich auf dem letzten Abschnitt der Reise in Richtung Hügel abbog, lichtete sich der Haar. Die letzten Schwaden wurden schließlich noch von einem leichten Regenschauer weggespült. Ich entspannte mich und öffnete das Fenster um die wunderbar frische Waldluft einzuatmen, und genoss die erfrischenden Regenspritzer auf meinem Gesicht.

Nur noch ein paar Meilen und ich würde bei meinem gemütlichen kleinen Cottage angekommen sein, das geschützt zwischen den Hügeln auf der anderen Seite von Inverurie lag.
Der Regen hörte auf als ich die Kuppe des letzten Hügels erreichte. Ganz unerwartet wurde der Vollmond sichtbar.
Die Nacht war auf einmal durchwoben von seinem atemberaubend hellen Gesicht.

Dann sah ich etwas, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Ich hielt an, unfähig noch weiter zu fahren. Nicht wegen einer lebensrettenden Vorahnung sondern aus schierem, wunderbaren Staunen.
Um die leuchtende Kugel herum rankte sich der Chor der Sieben.

Und mein Leben wurde an diesem Abend noch einmal gesegnet; dieses mal durch einen Mondbogen.

20.05.2018
© Carl Franz
Aus dem Englischen übersetzt von Michaela Wider
www.themindofmishka.weebly.com

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Der Autor und Künstler lebt auf dem Land im wunderschönen Yorkshire, England.
Er ist Reiki Meister und Traumdeuter, liebt Katzen und die Kommunikation mit der Natur.
Seine Werke erscheinen regelmäßig in der lokalen Zeitschrift “Howden Matters” und auch in Online-Zeitschriften.
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