Dom Lou Tseng-Tsiang – Verschmelzung zwischen Ost und West

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Dom Lou Tseng-Tsiang himmel licht taube lightDom Lou Tseng-Tsiang – Verschmelzung zwischen Ost und West

Am 4. Februar 2022 beginnen in Peking (Beijing) die XXIV. Olympischen Winterspiele unter extrem verschärften CORONA-Sicherheitsbedingungen. Mögen die sportlichen Wettkämpfe einen Beitrag zu dem dringend notwendigen Frieden in der Welt beitragen. 

„Verschmelzung zwischen Ost und West“
Dom Lou Tseng-Tsiang
(1871 – 1949)

Vom Premierminister Chinas zum Benediktinermönch

„Wir verdanken unseren Eltern alles, was uns gestattet hat, durch den Schöpfungsakt Gottes mit der Fähigkeit der Erkenntnis, des Urteils und der Liebe sowie mit Freiheit begabte menschliche Persönlichkeiten zu werden. Die erste und beständigste unserer Pflichten ist demnach die Dankbarkeit unseren Eltern gegenüber. Durch eine gütige Fügung Gottes hat das ganze chinesische Volk die kindliche Ehrerbietung gekannt, geübt und gefeiert, noch vor jener weit zurückliegenden Zeit, als Abraham, Isaak und Jakob das Volk gründeten, dessen Gesetzgeber einige Jahrhunderte später Moses wurde und aus dem Jesus geboren werden sollte. Unter den von Moses verkündeten Geboten Gottes steht bei denen, die unsere Pflichten unseren Mitmenschen gegenüber betreffen, das Gebot der kindlichen Ehrerbietung an erster Stelle. An die Befolgung dieses Gebotes knüpft der hebräische Gesetzgeber das Versprechen des Fortbestandes auf Erden: Fortbestand der Familien, der Gesellschaft, der Rasse.“

Lou Tseng-Tsiang kam am 12. Juni 1871 in Shanghai zur Welt.

Sein Vater, Lou Yong-Fong, stammte aus einer wohlhabenden Familie. 1854 hatte er Ou Kin-Ling geheiratet. Bei der Geburt von Tseng-Tsiang zog sich die Mutter eine Wassersucht zu, an der sie acht Jahre später starb. Lou Yong-Fong, ein religiöser und ehrbarer Mann, war protestantischer Katechet. Sein Sohn wurde in diesem protestantischen Milieu getauft, in dem er zum ersten Mal die christliche Nächstenliebe zu spüren bekam. Nachdem er erst Privatunterricht über die chinesischen Klassiker erhalten hatte, wurde Lou Tseng-Tsiang mit dreizehneinhalb Jahren in die Fremdsprachenschule von Schanghai eingeschult. Er lernte vor allem französisch.

Mit 21 Jahren kam er auf eine dem Außenministerium angeschlossene Dolmetscherschule. 1893 wurde er als Dolmetscher in die chinesische Gesandtschaft nach Sankt Petersburg (Russland) entsandt; dort begegnete er einem Lehrer, der ihn überredete, die diplomatische Laufbahn einzuschlagen. Dieser Mann, Shu King-Shen, war ganz von konfuzianistischer Weisheit durchdrungen.

Lou Tseng-Tsiang erinnert sich:

„Die konfuzianische Lehre ist im Wesentlichen die traditionelle Weisheit der alten Könige zu Beginn der chinesischen Geschichte im dritten Jahrtausend vor Jesus Christus. Die Zeugnisse dieser Weisheit wurden im 6. Jh. vor Chr. von Konfuzius überarbeitet und publiziert; sie stellen unsere chinesischen Klassiker dar. China lebte von dieser Philosophie und dieser Bildung; ihnen verdankt es die Ausgeglichenheit seines politischen Geistes und seiner Regierungstraditionen, die sich unmittelbar auf das Prinzip des Familienlebens stützen…“ Konfuzius glaubte an die Existenz Gottes, des höchsten Wesens, ebenso wie an eine Vorsehung und an das Weiterleben der Seele, wenngleich er über deren Bestimmung nach dem Tode absolut nichts sagte. Er beschränkte sich darauf, seinen Schülern praktische Regeln sozialer und politischer Ethik zu vermitteln.

Die Macht der Mandschu-Dynastie verfiel zu Beginn des 20. Jh. in Peking als Auswirkung ihrer Günstlingswirtschaft und ihrer Inkompetenz. Shu, der Lehrer von Lou Tseng-Tsiang, wollte sein Land im Geiste der Begründer der chinesischen Kultur verjüngen. Das Christentum und insbesondere die katholische Kirche betrachtete er dabei mit respektvoller Aufmerksamkeit. Der Himmel schickte dem jungen Diplomaten eine Liebe zum Trost. Er lernte in Sankt-Peterburg Berthe Bovy kennen, deren Vater und Großvater belgische Offiziere waren. Sie hatte bei den Ordensschwestern der Vorsehung eine ausgezeichnete Ausbildung erhalten und unterrichtete in der russischen High Society Französisch. Die anfängliche Sympathie der beiden jungen Menschen entfaltete sich zu einer tiefen Liebe und mündete in die Ehe.

Die Familie Bovy in Brüssel konnte es nicht verstehen: „Ein Chinese!“

In der chinesischen Gesandtschaft konnte es ebenso niemand verstehen: „Sie richten Ihre Karriere zugrunde! Wenn Sie Ihre Pläne weiterverfolgen, werden Sie nicht länger an der Gesandtschaft bleiben können.“ Lou sah weiter. Er hatte eine französischsprachige Europäerin getroffen und erwählt, eine Katholikin, eine Frau von wachem Sinn, von hohem moralischen Anspruch und vollkommenem Takt; sie war nicht Angehörige einer Großmacht, sondern eines kleinen Landes, was für einen Diplomaten etwas ganz Anderes war. Die Hochzeit fand in Sankt-Petersburg im Februar 1899 statt. Die Neuvermählten lebten in vollkommener Eintracht; doch sehr zu ihrem Leidwesen schenkte ihnen Gott kein Kind. Im tröstlichen Rahmen seines Heims dachte Lou darüber nach, worin die Kraft Europas bestand, nämlich im christlichen Glauben.

Anfang 1911 eröffnete Lou seiner Frau: „Ich habe versprochen, dass unsere Kinder katholisch sein werden; da wir keine Kinder haben, was würdest du sagen, wenn ich katholisch würde?“ Berthe war entzückt. Am 25. Oktober 1911 nahm Pfarrer Lagrange, der zwölf Jahre zuvor ihre Ehe gesegnet hatte, offiziell das katholische Glaubensbekenntnis des Diplomaten entgegen. Gleichzeitig nahm in China die von Dr. Sun Yat-Sen angeführte Revolution rasch ihren Lauf.

Anfang 1912 dankte der Kaiser auf persönliches Anraten Lous ab. Das provisorische Parlament bot dem Diplomaten das Amt des Außenministers an. Von diesem Zeitpunkt an übte er acht Jahre lang in Peking die höchsten Regierungsämter aus, darunter auch das Amt des Premierministers. Er nutzte die Gelegenheit, um zwischen China und dem Heiligen Stuhl offizielle diplomatische Beziehungen zu knüpfen. Im Dezember 1920 zog sich Lou endgültig von der politischen Bühne zurück. Zwei Jahre später machte der Gesundheitszustand seiner Frau eine Rückkehr nach Europa notwendig; sie ließen sich in Locarno in der Schweiz nieder, wo Frau Lou kurz danach einen Schlaganfall erlitt und am 16. April 1926 starb.

Lou begab sich in die Abtei Saint-André in Brügge (Belgien), wo er vom Abt den Rat bekam, richtiger Mönch und dann Priester zu werden;

 so legte er am 4. Oktober 1927 unter dem Namen Bruder Pierre-Célestin die Ordenstracht der Benediktiner an. 1932 sprach er sein feierliches Gelübde aus; er wurde am 29. Juni 1935 mit 64 Jahren zum Priester geweiht. Allerdings schreckte ihn der Gedanke, jeden Tag das heilige Messopfer zu feiern: „Wie soll ich es wagen, mich jeden Tag dem Allmächtigen zu nähern!… Ich werde daran sterben…“ Doch nach einer Krankheit, die ihn nachdenklich machte, bekannte er: „Unser Vater, der heilige Benedikt, sagt in seiner Regel, dass Gott ein Meister und ein Vater ist. Ich habe gemerkt, dass er Meister ist; ich habe vergessen, dass er Vater ist. Während dieser Krankheit war der Herr so gnädig, mich zu erleuchten. Weil ich die Messe Gott, unserem Vater, darbringe, werde ich keine Angst mehr haben, sie zu feiern!“

Zum Anlass seiner Priesterweihe wurde Lou von seinen Freunden unter den chinesischen Diplomaten mit folgenden Worten geehrt: „Herr Lou kennt die chinesische Moral und wird nun Priester im Westen. Er wird auf moralischem Gebiet die Verschmelzung zwischen Ost und West in sich selbst vollziehen. Er wird beweisen, dass im Abendland ebenso wenig wie in China die materielle Kultur Vorrang vor der geistlichen Kultur hat. Dadurch wird er auch für die Verbreitung von Gerechtigkeit und Frieden in seinem Lande wirken.“

Die besondere Bedeutung seines Lebenslaufs und seiner Berufung veranlasste Papst Pius XII. (1876 – 1958), ihm am 19. Mai 1946 die Abtwürde ehrenhalber zu verleihen. Ende 1948 geriet Dom Lou durch eine schwere Krankheit an den Rand des Todes. Kurz vor seinem Ende sagte er: „Nur noch wenige Stunden… um den Herrn zu sehen! Unseren Herrn sehen! Welches Glück!“

Am 15. Januar 1949, dem Jahrestag seines Ordensgelübdes hauchte er im Alter von 78 Jahren seine Seele aus; doch für die, die Gott lieben, gibt es keinen Tod: Es gibt nur einen Übergang aus dem Leben hier auf Erden in das ewige Leben.

03.02.2022
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist

 


Roland-Ropers-Portrait-2021Über Roland R. Ropers

Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
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Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu

Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.

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