Berührung als Wert im Focus existenzieller Fragen

Berührung als Wert zwischen Menschen

Berührung als Wert im Fokus existenzieller Fragen

In einer Welt, die zunehmend von Digitalisierung und Distanz geprägt ist, gewinnt Berührung als Wert eine neue Bedeutung. Sie ist nicht nur ein physischer Kontakt zwischen Körpern, sondern ein tiefgreifendes existenzielles Phänomen, das unsere Identität, unser Empfinden von Zugehörigkeit und unser Verhältnis zur Welt berührt. Die Frage nach der Bedeutung von Berührung stellt sich besonders in Krisenzeiten, wenn Isolation und Entfremdung den Alltag bestimmen. Gleichzeitig fordert sie eine Auseinandersetzung mit dem Wesen menschlicher Begegnung und der Verantwortung, die damit einhergeht.

Berührung als Grundbedürfnis

Menschen sind soziale Wesen, und Berührung ist ein grundlegendes Mittel, um Verbindung zu schaffen. Sie kann trösten, bestärken, Zuneigung ausdrücken oder einfach nur Sicherheit vermitteln. Studien zeigen, dass körperliche Nähe das Stresshormon Cortisol reduziert und die Ausschüttung von Oxytocin, dem sogenannten “Kuschelhormon”, fördert. Das zeigt, dass Berührung nicht nur eine emotionale, sondern auch eine physiologische Notwendigkeit ist. Sie hat direkten Einfluss auf unser psychisches Wohlbefinden und unsere kognitive Entwicklung. Babys, die in den ersten Lebensmonaten nicht ausreichend berührt werden, entwickeln oft emotionale und soziale Defizite. Auch Erwachsene sind auf Berührung angewiesen, um ein Gefühl der Zugehörigkeit und Verbundenheit zu erleben.

Darüber hinaus spielt Berührung eine entscheidende Rolle in der psychischen Gesundheit. Studien belegen, dass Menschen, die regelmäßig liebevolle Berührung erfahren, ein stärkeres Selbstwertgefühl entwickeln und weniger anfällig für Depressionen und Angststörungen sind. In zwischenmenschlichen Beziehungen dient Berührung als Ausdruck von Vertrauen, Nähe und Intimität. Sie kann Missverständnisse überbrücken und emotionale Spannungen abbauen. Dies zeigt sich insbesondere in therapeutischen Kontexten, wo gezielte Berührungstechniken zur Linderung von psychischen Belastungen und körperlichen Beschwerden eingesetzt werden.

Berührung und Körperbewusstsein

Berührung als Wert zwischen Menschen
KI unterstützt generiert

Berühren spielt eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung eines positiven Körperbewusstseins. Durch Berührung lernen wir unseren eigenen Körper kennen, nehmen seine Grenzen wahr und entwickeln ein Gespür für Wohlbefinden und Selbstachtung. Insbesondere achtsame Berührung – sei es durch Selbstberührung, Massagen oder sanfte physische Interaktionen – kann dazu beitragen, das Körperbewusstsein zu stärken und ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper zu entwickeln. Menschen, die regelmäßig wertschätzende Berührung erfahren, berichten oft von einem gesteigerten Selbstvertrauen und einer besseren Verbindung zu ihrem physischen Selbst. In einer Gesellschaft, in der oft unrealistische Körperbilder propagiert werden, kann bewusste Berührung helfen, ein natürliches und akzeptierendes Körperbild zu fördern.

Berührung im Kontext existenzieller Fragen

Wenn Menschen mit existenziellen Fragen konfrontiert sind – sei es durch Krankheit, Verlust oder Sinnsuche – kann Berührung eine zentrale Rolle spielen. Sie verbindet uns mit anderen und erinnert uns an unsere eigene Verletzlichkeit und Lebendigkeit. In der Palliativmedizin beispielsweise hat Berührung eine besondere Bedeutung: Sie kann Trost spenden, Schmerzen lindern und eine Brücke zu einem würdevollen Abschied bauen. Berührung kann ein letztes Mittel sein, um mit einem geliebten Menschen in Verbindung zu bleiben, wenn Worte nicht mehr ausreichen. Auch in spirituellen Kontexten wird Berührung als heilsam empfunden, sei es in Ritualen oder symbolischen Gesten des Segnens. Sie stellt eine universelle Sprache dar, die jenseits kultureller und sprachlicher Grenzen wirkt und eine Verbindung zwischen Menschen herstellt, die tief im menschlichen Dasein verankert ist.

In der Psychotherapie und alternativen Heilmethoden wird Berührung zunehmend als integraler Bestandteil von Heilungsprozessen anerkannt. Methoden wie Shiatsu, Reiki und achtsame Berührungsübungen bieten eine Möglichkeit, emotionale Blockaden zu lösen und das innere Gleichgewicht wiederherzustellen. Berührung kann auch als Mittel zur Selbstwahrnehmung und Selbstakzeptanz dienen. Menschen, die in ihrem Leben wenig positive Berührung erfahren haben, berichten häufig von einem Gefühl der Entfremdung gegenüber dem eigenen Körper. Durch bewusste und respektvolle Berührung können diese Erfahrungen transformiert werden, sodass Berührung zu einer Quelle des Wohlbefindens und der Selbstverbundenheit wird.

Die Krise der Berührung in modernen Gesellschaften

Die zunehmende Virtualisierung des Lebens hat paradoxerweise dazu geführt, dass Menschen zwar digital vernetzter, aber im realen Leben oft isolierter sind. Besonders in urbanen Gesellschaften, wo Anonymität und Individualisierung vorherrschen, wird körperliche Berührung häufig als übergriffig oder unangemessen empfunden. Die COVID-19-Pandemie hat diese Problematik verstärkt: Soziale Distanz wurde zur Notwendigkeit, und viele Menschen erlebten den Mangel an Berührung als schmerzlich.

Zugleich zeigt sich eine Ambivalenz: Während Berührung in vielen Fällen als wohltuend erlebt wird, gibt es auch Momente, in denen sie Grenzen verletzt. Das Bewusstsein für Consent und individuelle Schutzbedürfnisse hat zugenommen, was zu einer differenzierten Reflexion über die Bedeutung von Berührung geführt hat. Diese Entwicklungen fordern eine Neudefinition von Berührung als freiwillige, respektvolle und gegenseitig gewünschte Interaktion.

Ein weiteres Problem stellt die zunehmende Technologisierung der Pflege dar. In Krankenhäusern und Altenheimen ersetzen automatisierte Prozesse und künstliche Intelligenz teilweise die menschliche Interaktion. Während technologische Fortschritte viele Vorteile mit sich bringen, besteht die Gefahr, dass Berührung als elementarer Bestandteil der Fürsorge und Menschlichkeit verloren geht. Dies stellt eine ernsthafte ethische Frage dar: Wie können wir den technologischen Fortschritt nutzen, ohne die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse nach Nähe und Berührung zu vernachlässigen?

Wiederentdeckung der Berührung

Die Reflexion über Berührung als existenziellen Wert kann dazu beitragen, neue Formen der Nähe und Verbundenheit zu schaffen. Das Bewusstsein für ihre Bedeutung wächst, und es entstehen Bewegungen, die die heilende Kraft der Berührung betonen, sei es in der Pflege, in therapeutischen Berufen oder in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Initiativen wie “Cuddle Therapy”, bewusste Umarmungskonzepte oder Berührungsmeditationen zeigen, dass viele Menschen das Bedürfnis nach Nähe wiederentdecken. In der Altenpflege, in Hospizen und Krankenhäusern wird vermehrt auf die Bedeutung von Berührung hingewiesen. Dabei geht es nicht nur um medizinische oder therapeutische Aspekte, sondern auch um die Wiederherstellung eines tieferen, menschlichen Kontakts, der in unserer modernen Gesellschaft oft zu kurz kommt.

Zudem setzen sich Wissenschaftler und Therapeuten zunehmend mit den positiven Effekten von Berührung auseinander. Forschungen zur Neurowissenschaft der Berührung zeigen, dass sanfte, rhythmische Berührungen das Nervensystem beruhigen und zu einer nachhaltigen Verbesserung des emotionalen Zustands führen können. Auch in der Arbeitswelt gibt es Bestrebungen, zwischenmenschliche Berührung wieder in den beruflichen Alltag zu integrieren – etwa durch bewusste Begrüßungsrituale oder achtsame Körpertherapien, die Stress abbauen und das Teamgefühl stärken.

Fazit

Berührung ist mehr als ein physischer Akt – sie ist Ausdruck von Menschlichkeit, Zuwendung und tiefster Verbundenheit. In einer Welt, die oft von Distanz und Entfremdung geprägt ist, kann die bewusste Wertschätzung der Berührung zu einem Schlüssel für mehr Empathie, Trost und Gemeinschaft werden.

Existenzielle Fragen nach Sinn, Leid und Verbundenheit finden in ihr eine mögliche Antwort: die Bestätigung, dass wir nicht allein sind. Der bewusste Umgang mit Berührung eröffnet uns neue Wege, um Nähe zu schaffen, Menschen in Krisen zu unterstützen und unser Menschsein in seiner Tiefe zu begreifen. In einer zunehmend technisierten Welt könnte die Rückbesinnung auf Berührung als Wert ein entscheidender Schritt hin zu einer mitfühlenderen Gesellschaft sein. Es liegt an uns, Berührung wieder als essenziellen Bestandteil unseres Lebens zu begreifen und achtsam in unser Miteinander zu integrieren.

13.02.2021
Heike Schonert

HP für Psychotherapie und Dipl.-Ök.

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Heike SchonertPerlen Zauber Heike Schonert

Heike Schonert, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Diplom- Ökonom. Als Autorin, Journalistin und Gestalterin dieses Magazins gibt sie ihr ganzes Herz und Wissen in diese Aufgabe.
Der große Erfolg des Magazins ist unermüdlicher Antrieb, dazu beizutragen, dieser Erde und all seinen Lebewesen ein lebens- und liebenswertes Umfeld zu bieten, das der Gemeinschaft und der Verbindung aller Lebewesen dient.

Ihr Motto ist: „Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, uns als Ganzheit begreifen und von dem Wunsch erfüllt sind, uns zu heilen und uns zu lieben, wie wir sind, werden wir diese Liebe an andere Menschen weiter geben und mit ihr wachsen.“

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6 Kommentare

  1. Hoffentlich wird der Artikel von Maha Kama von vielen Menschen gelesen und begriffen. Wir Menschen empfinden Berührung als liebevolle Zuwendung, aber dass sie noch viel mehr ist, wissen wir oft nicht.

  2. „Beim Berühren sind wir empfänglich, werden empfindsamer, menschlicher. „

    Aber auch verletzlicher, oder zumindest haben wir das Gefühl an Sicherheit zu verlieren, Kontrolle abzugeben.
    Ich denke das dürfte einer der Gründe für Berührungsängste sein.

    Ein interessanter Beitrag Frau Maha Kama

    • Ja, das ist ein sehr wichtiger Ansatz, den wir meistens übersehen. Oft werden Berührungsängste verdrängt oder etwas anderes vorgeschoben, wie zum Beispiel „Ich will lieber alleine sein“, oder man hat andere Ausreden. Wie du selbst bemerkst, sind das Thema Berührung und der Begriff selbst schon so weitreichend und komplex, dass es sich lohnt, sich damit auseinanderzusetzen. Ein Experiment von Osho, wo sich fremde Menschen eine begrenzte Zeit gegenübersitzen und nur in die Augen schauen, macht deutlich, dass jeder mehr oder weniger mit Berührungsängsten konfrontiert wird. Was sich dabei zeigt, ist nichts anderes. Nur in einer anderen Form. Diese „Ängste“ zuzulassen, wahrzunehmen und aufzulösen, ist ein Ziel, das mit Berührung erreicht wird.

  3. Ein sehr erkenntnisreicher Artikel! Berührung ist viel mehr als nur das taktile Zusammentreffen zweier Körper, sondern sie hat auch eine spirituelle Dimension im Sinne des persönlichen Wachstums des Individuums, aber auch eine gesellschaftliche. Denn Berührung erscheint essentiell als Kommunikation. Sie verbindet, wo Bindungslosigkeit herrscht und sie stiftet Sinn, wo die Sinnlosigkeit allgegenwärtig ist. So kommt der Berührung eine besondere Rolle zu als etwas, was die Welt zusammenhält. Und dies ist in einer Zeit, wo alles auseinanderzufallen scheint, doch eine sehr wichtige Erkenntnis!

    Dr. Hubert E. Schmidt

    • Mich freut, wenn es so aufgenommen wird und hoffe auch, dass mehr darüber ausgetauscht wird. Denn wo keine Berührung ist, kann auch kein Dialog entstehen. Die Kommunikationsform, die in unserer Gesellschaft weitgehend vorherrscht, ist meistens die eines Monologs. In einem Monolog ist aber die Qualität des „Zuhören Könnens“ nicht erwünscht, sondern es ist eher ein unempfindsamer Ausdruck der Emotionen oder Gefühle, ohne dass der andere Zuhörer miteinbezogen, geschweige wahrgenommen wird. Empathische oder berührende Kommunikation bezieht immer sein Gegenüber ein, ohne den es nie zu einem Austausch kommen würde. Ja, berührende Kommunikation dient eben auch unserer Gesellschaft.

  4. In diesem Artikel findet Maha sehr gute Worte, etwas zu beschreiben, was eigentlich mit Worten nicht zu beschreiben ist. Berührung ist für mich die höchste Form der Kommunikation. Wir begegnen einem Menschen mit einer Berührung immer auf eine Art und Weise, die ihn anspricht. Wir brauchen keine Sprache, müssen unsere Gedanken nicht ablenken. Berührung lässt uns auf die kraftvollste und zugleich verständlichste Weise kommunizieren, auf der Basis von Achtsamkeit und Respekt. Bedingungslosigkeit schafft fühlbares Vertrauen, sich selbst in einer neuen, höheren Qualität des eigenen Seins zu erfahren. Berührung schafft Einklang und Balance, die stärksten Bausteine, auf denen wir ganzheitliche Gesundheit praktizieren können. Demut und Dankbarkeit gegenüber den Kräften, die uns die Natur gegeben hat sind das Potential, aus dem wir lernen können, uns weiter entwickeln und gerade das so unendlich wichtige mentale Wachstum erfahren können.
    Habe Dank Maha, für Deine Worte in diesem Artikel, die so Vieles ausdrücken, was all die spirituellen Menschen verbindet – die Fähigkeit, aus der Tiefe des eigenen Herzens, einen anderen Menschen bis tief in seine Seele hinein zu berühren. Menschen, die sich so begegnen werden diese Welt achten, lieben und verbessern, werden die Kraft finden, Sinn und Unsinn zu unterscheiden und schließlich von dieser Gesellschaft als unverzichtbar verstanden werden, spätestens da, wo die große Kraft der Heilung eine Rolle spielt, in einer Welt, wo wir oft keine symptomatische Behandlung für die sogenannten Zivilisationserkrankungen finden können. Und wir wissen alle, dass dieser Weg des Erkennens ein langer Weg ist…

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