Demenz aus der Sicht einer Tochter
Demenz ist eine Erkrankung die mehr als 115 Millionen Menschen weltweit vor zahlreiche Herausforderungen stellt. Wenn sie, die oft als Alzheimer umgangssprachlich bezeichnet wird, erkannt und zugeordnet ist, dann birgt diese Krankheit auch Chancen und viele Unterstützungsmöglichkeiten.
Im 1. Teil dieses Doppelbeitrages (»Demenz. Wie geht man damit um?«) widmete sich Johanna Constantini der Demenz aus der Perspektive der Psychologin. Sie ordnet Demenz als Krankheitsbild ein, was in der Diagnosephase von hoher Bedeutung ist. Sie berichtet zu Ursachen, zur Diagnose und zu den Behandlungsansätzen.
Im 2. Teil teilt sie ihre persönliche Perspektive als Tochter eines an Demenz erkrankten Vaters. Johanna Constantini lässt die LeserInnen Anteil am Alltag, am Umgang mit dem Erkrankten und der Erkrankung innerhalb von Familie und Gesellschaft haben. Sie zeigt Möglichkeiten auf, wie sie mit ihrer Familie immer wieder Wege findet, ihrem Vater gerecht zu werden. Sie beschreibt, wie es gelang, ihren Vater zu einer Untersuchung zu bewegen, denn Demenz hat einen schlechten gesellschaftlichen Ruf.
Johanna Constantini zeigt die Bedeutung von Familie, von Verantwortung. Sie schreibt auch über die schwierigen Momente und natürlich die freudigen Momente. Denn Demenz ist noch nicht das Ende. Es geht darum, gemeinsam mit der Erkrankung umgehen zu lernen. Das ist möglich.
Demenz. Eine Erkrankung die mehr als 115 Millionen Menschen weltweit vor zahlreiche Herausforderungen stellt. Dass diese Krankheit jedoch auch Chancen und viele Unterstützungsmöglichkeiten birgt, möchte ich sowohl in meiner Rolle als Psychologin, als auch in meiner Rolle als Tochter eines an Demenz erkrankten Papas aufzeigen. Während ich in dem ersten Teil dieses Beitrags von den Ursachen, der Diagnose und den Behandlungsansätzen geschrieben habe, so möchte ich mich im zweiten Teil auf den Umgang innerhalb von Familie und Gesellschaft konzentrieren.
Demenz – eine Familienkrankheit
Demenz ist nicht nur auf den unmittelbar Betroffenen beschränkt. Demenz ist eine Familienkrankheit. Doch wie bringt man einen Menschen, der jahrzehntelang mitten im Leben stand, dazu, sich untersuchen zu lassen? Nichts anderes haben auch wir als Familie versucht, als wir Papa – und das zugegebenermaßen nach mehreren gescheiterten Versuchen – dazu bewegen konnten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das tun wir auch heute noch, wenn wir nach wie vor probieren, ihm Unterstützung zu sichern, um ihm ein weitestgehend normales Alltagsleben auch mit seiner Demenzerkrankung zu ermöglichen. Wir als Familie, wir als Angehörige sind auch jene Personen in Papas Umfeld, die nun viel Verantwortung übernehmen. Schließlich bedeutet eine Demenz nicht nur die bereits aufgezählten Symptome, sondern auch das stetige Verlernen einst erlernter Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Die Betroffenen werden damit zunehmend auf die Unterstützung ihres Umfelds angewiesen. Und diese Unterstützung obliegt meist der Familie.Demenz heißt Verantwortung
Als Familie Verantwortung zu übernehmen – wie sie möglicherweise nie zuvor übernommen werden musste – kann phasenweise sehr fordernd sein. So war und ist es auch für meine Familie, die sich niemals vor dem Rückzug meines Papas um seine Angelegenheiten kümmern musste. Und die Dies müssen wir es bis heute umso intensiver müssen tun. Was uns angeht, Wir haben uns mittlerweile so haben wir uns gut arrangiert und dank dem Vertrauen meines Papas in unsere Entscheidungen für ihn eine sehr gute Basis gefunden. Diese Basis muss in vielen Familien erst geschaffen werden.
Was hier zählt, ist Vorsorge. Und um noch konkreter zu werden, so lautet das Stichwort hierzu: Erwachsenenschutzrecht.Dieses umfangreiche Recht trat erst mit Juli 2018 in Kraft und stellt eine Reform des einstigen Sachwaltschaftsrechts dar. Nicht nur als Tochter, sondern auch als Psychologin empfehle ich daher, sich innerhalb der Familie bereits vor Eintritt einer Erkrankung wie jener der Demenz Gedanken zu potenziellen Vertretungen im Krankheitsfall zu machen. Dies mag von Land zu Land unterschiedlich sein.
Meine Empfehlung ist daher umso nachdrücklicher: Informieren Sie sich zeitgerecht.Was eine Demenz angeht betrifft, so kommt früher oder später der Punkt, an dem Verantwortlichkeiten an Angehörige übergeben werden sollten. Je früher und umso wenig emotional diese Entscheidungen geregelt wurden, desto leichter, wenn sie gefällt werden müssen.
Antworten geben und Freiräume schaffen
Je mehr „Ver-antwortung“ Angehörige mit der Zeit betreffen wird betrifft, umso mehr Antworten müssen jene Menschen auch in Vertretung der Betroffenen geben. Diese Aufgaben können herausfordernd, phasenweise auch ermüdend und zermürbend sein.
Umso wichtiger ist es daher, sich als Angehöriger auch Freiräume zu erhalten und diese zu schaffen, sollten sie über die Dauer der Erkrankung zu sehr in den Hintergrund gerückt sein.Auch wir als Familie, ich in meiner Rolle als Tochter, versuche mir meine Räume zu schaffen. Je ausgeglichener ich meinen Papa unterstütze, umso höher ist der Wert meines Beitrags. Die Unterstützung, die ich meinem Papa umso ausgeglichener entgegenbringen kann, ist auch umso mehr Wert. Und das spürt er auch.
In meiner Rolle als Psychologin gesprochen ist jener dieser Ausgleich ebenso unumgänglich. Schließlich Wir wissen wir heute, dass vor allem primäre Angehörige (Anm.: die wichtigsten Bezugspersonen von Betroffenen) unter einem bis zu zwanzig Prozent erhöhten Risiko leiden, im Laufe der Pflege von Erkrankten selbst zu erkranken. (Leyhe & Lang, 2013)
„Vom Reden kommen die Leute zusammen“,
…sagt man auch bei uns in Österreich. Was Demenzen angeht, so handelt es sich um eine sehr weit verbreitete Erkrankung. Alleine die bestehenden Zahlen legen nahe, dass jeder von uns bereits in seinem eigenen eine oder gar mehrere Personen kennen, die wiederum von einer Demenz in der Familie betroffen sind. Nicht nur aufgrund meiner Rolle als Psychologin, deren Praxis immer wieder von Betroffenen und Angehörigen einer Demenz aufgesucht wird, sondern auch als Tochter weiß ich um die weite Verbreitung.
Als Tochter meines betroffenen Papas weiß ich vor allem deshalb darum, weil wir mit der Erkrankung meines Papas an die Öffentlichkeit gegangen sind.Und nachdem wir Papas Krankheit offen ausgesprochen haben, wurden wir mit Mitgefühl überhäuft. Natürlich nicht zuletzt aufgrund der Beliebtheit und Bekanntheit meines Papas, doch eben auch, weil die Krankheit derart weit verbreitet ist. Weil somit Ssehr viele Menschen können und wollen mitfühlen können und wollen. Weil nNiemand von uns ist mit der Erkrankung alleine ist.
Sowohl als Tochter, als auch als Psychologin empfehle ich daher: Lernen Sie, über das eigene Schicksal zu sprechen. Sie sind nicht alleine!Demenzfreundlichkeit als Muss einer Gesellschaft
Nur, wenn wir beginnen mehr darüber zu sprechen, wird sich auch gesellschaftlich mehr verändern. Und es muss sich mehr verändern. Dass sehen wir nicht nur an den Zahlen Betroffener einer Demenzerkrankung, sondern auch an den psychischen Erkrankungen im Allgemeinen. Tabus und Klischees herrschen vor und wiegen schwer. Sowohl bei Betroffenen, als auch bei Angehörigen. Und das muss nicht sein. Als Familie versuchen wir Vorbild zu sein und Tabus zu brechen. In dem wir über die Erkrankung sprechen und einen möglichst offenen Umgang forcieren. Ohne dabei die Privatsphäre unseres Papas zu verletzen.
Es ist eine gewisse Gratwanderung zwischen Offenheit und dem Schutz der Privatsphäre des Betroffenen. Doch diese Gratwanderung müssen wir gehen, um zu enttabuisieren.Der würdevolle Umgang als Notwenigkeit
Schließlich weiß mein Papa, genauso wie andere Betroffene sehr wohl, dass er an einer Demenz erkrankt ist. Zwar ist ihm seine Krankheit einmal mehr, einmal weniger bewusst, doch bemerkt er seine „”Fehler” und das abweichende Verhalten, das er dadurch manchmal an den Tag legt.
Demenzkranke Menschen wissen in den meisten Fällen sehr lange um die eigene Erkrankung und versuchen diese gar zu vertuschen.Ebenso Menschlich ist dies eine völlig verständlich, oder? e Haltung. Wer will sich die eigenen Einschränkungen schon gerne eingestehen? Geht es uns dabei nicht allen gleich? Umso wichtiger finde ich es, den betroffenen Menschen ihre Würde zu erhalten, in dem sie nicht ständig auf jene “Fehler” hingewiesen werden. Zudem finde ich Flexibilität im Umgang mit den Erkrankten wichtig.
Ein Beispiel: Bei einer Demenz gehen einst erworbene Fähigkeiten nach und nach verloren. So auch der Griff zum richtigen Besteck, beispielsweise beim gemeinsamen Mittagessen. Anstatt dieses Verhalten zu kritisieren, empfehle ich sich sollten wir uns als Angehörige zu vielmehr fragen, ob wir man es nicht ebenfalls vorziehen könnte, die Gabel, statt dem Löffel zu verwenden. Und gar, ob jene „Kleinigkeiten“ denn wichtig genug sind um in Form von geäußerter Kritik die allgemeine Stimmung zu trüben.
Würde und Flexibilität sind nicht abstrakte Konzepte. Sie ermöglichen ein angenehmes Zusammenleben.Normabweichungen akzeptieren – Toleranz üben
In meinem Buch, das ich über den Umgang mit und meine Sicht als Tochter auf die Erkrankung meines Papas geschrieben habe, erzähle ich von jenen “Normabweichungen“. So nenne ich sie in meiner Rolle als Tochter, während ich als Psychologin von den Verhaltensabweichungen spreche. Das Verhalten der Betroffenen weicht schließlich ab. Und Betroffene wissen darum und schämen sich auch vielfach dafür.
Was wir als Angehörige und was wir als Gesellschaft tun sollten, ist daher, uns in Toleranz zu üben.Sowohl, was den Umgang mit Betroffenen angeht, als auch, was unser Verständnis eines funktionierenden Miteinanders betrifft. Ganz egal, ob dement oder nicht.
Demenz ist eine Erkrankung, die das Leben einer Familie grundlegend verändert. Verständnis, Mitgefühl, Toleranz und Würde sind wichtige Aspekte, die laufend zu beachten sind. Wesentlich ist auch, sich als Begleitende Freiräume zu bewahren, um dem Betroffenen auch tatsächlich geben zu können. Insgesamt ist es eine große Gratwanderung. Doch sie ist machbar.Buchtipp:
Abseits– Aus der Sicht einer Tochter
von Johanna Constantini
Johanna Constantini, Tochter des ehemaligen Fußballnationaltrainers Didi Constantini, schreibt offen über das „Demenz-Drama“ ihres Vater.
Sie tritt ein für mehr Einsicht, Toleranz und Empathie angesichts einer grassierenden Krankheit, die unsere Effizienz-Gesellschaft nur zu gerne tabuisiert.
Kasper S, Rainer M, Bacher R, Croy A, Fasching P, Fruhwürth G, Grunze H, Jagsch C, Jelem H, Kapfhammer H-P, Köller M, Lehofer M, Praschak- Rieder N, Psota G, Sachs G-M, Stastka K, Windhager E, Winkler A, Winkler D, Wuschitz A, Zauner K. (2015). Demenzerkrankungen Medikamentöse Therapie. Konsensus-Statement – State of the art 2015. CliniCum neuropsy Sonderausgabe November 2015 Leyhe, T. & Lang, U. (2013). Demenz und Depression – eine schwierige, aber wichtige Differenzialdiagnose. Psychiatrie und Neurologie. 3/2013
17.03.2021
Johanna Constantini, MSc.
Psychologie Constantini
©Fotocredit Bernhard Hörtnagel
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Zur Autorin:
Selbstständige Psychologin in eigener Praxis für Klinische-, Sport- und Arbeitspsychologie in Innsbruck, Tirol. Konzentriert sich in ihrer Arbeit auf die psychologischen Auswirkungen des digitalen Wandels, vor allem in Hinblick auf psychische Erkrankungen, sowie auf Resilienz und individuelle Strategien zum Erhalt der psychischen Widerstandsfähigkeit. Methoden im persönlichen und gesellschaftlichen Umgang mit Demenzerkrankungen widmet sie sich zudem in ihrem Buch Abseits, das im Oktober 2020 im Seifertverlag erschienen ist.
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