Wenn die Ehrfurcht stirbt!
Wenn schlechthin alles vom Menschen her manipulier.bar ist und wenn nachgerade alles durch den Menschen mach.bar und von ihm beherrsch.bar wird, dann stirbt jegliche Ehrfurcht. Diese Grund.aussage ist gleich um eine andere ergänzen, nämlich um jene, dass gerade heute in einer Zeit rüder Egozentrik und in einer Gesellschaft mit eskalierender und nahezu un.ersättlicher Da-seins.gier und kaum überbietbarer Selbst.überschätzung des Menschen, dass gerade heute Wort und Wirklichkeit von Ehrfurcht zu gründlich vergessenen Ladenhütern verkommen sind und ins ethische Antiquariat eingemottet wurden.
Dies braucht eigentlich gar nicht zu verwundern, wenn erinnert werden muss, dass ja in der Ehrfurcht etwas eingefordert wird, was der Mensch gerade heute kaum mehr zu leisten imstande und bereit ist, nämlich: VERZICHT:
In der Furcht, die einem anderen Menschen Ehre erweist, und in der Ehrung, die von Furcht und Scheu durch.weht ist, in der Ehrfurcht also, verzichtet der Mensch auf das, was er sonst so gerne tut, nämlich: in Besitz nehmen, an sich raffen, alles sich zu eigen machen und für die eigenen Zwecke gebrauchen.
Statt dessen tritt der Mensch in der Ehrfurcht zurück, er schafft und hält Abstand, er nimmt die Hände weg, statt gierig zuzugreifen, alles an sich zu reißen und gegebenenfalls zu zerstören. Dadurch entsteht ein freier geistiger Raum, in welchem das, was Ehrfurcht verdient, sich unberührt erheben, frei dastehen und un.verletzt leuchten kann:
Etwa die Person mit ihrer Würde, der Embryo im Mutterleib ebenso wie der Mensch in hohem Alter, das Kunstwerk mit seiner Schönheit, die Natur mit ihrer erhabenen Symbol.macht oder die Gottheit in ihrem hehren Glanz von Ferne und gleichzeitiger Nähe.
Wenn Ehrfurcht auch im Alltag aufscheinen soll, dann nennen wir sie ACHTUNG.
Und solche Achtung als Ehr.erbietung und Wert.schätzung ist das Elementarste, was fühl.bar werden muss, dass Menschen als Menschen mit.einander verkehren können, und zwar nicht etwa deshalb, weil da einer aufgrund seiner Begabungen und Leistungen und wegen seiner gesellschaftlich gehobenen Stellung als besonders wert.voll und achtens.wert anzusehen sei, sondern einfach deshalb, weil der andere eben auch Mensch ist und damit in gleicher Weise wie ich Würde und Freiheit und Verantwortung besitzt. Solche Achtung, die dem un.geborenen Fötus ebenso zugebilligt wird wie dem vielleicht debilen Greis, solche Achtung ist die Gewähr dafür, dass die Beziehung von Mensch zu Mensch ihre Würde behält.
Mensch.sein ist ein sehr hoher Anspruch an den Menschen ist, und Mensch.sein zu verfehlen, sofern der Mensch mehr sein soll als nur ein Konglomerat aus Fleisch und Knochen und Trieben und Bedürfnissen, Mensch.sein zu verfehlen ist eine solche Katastrophe, dass es eigentlich keiner zusätzlichen vergeltenden Bestrafung bedarf.
Leider ist dies im Laufe der Menschheits.geschichte als einer bis in unsere Tage hinein fortwährenden Kriegs. und Macht. und Kriminal.geschichte viel zu wenig bedacht worden. Und vielleicht gerade deshalb konnte der Mensch dazu verkommen, auf sehr unterschiedliche und äußerst widerlich.raffinierte Weise nicht nur seinesgleichen permanent zu quälen und zu malträtieren, zu verletzen und zu vergewaltigen, zu töten und auszurotten, sondern auch noch sich zu erfrechen, seinen ganzen Planeten als seinen Lebens.raum in den Abgrund zu reißen und bereits mittelfristig den Ast, auf dem er derzeit noch satt und fett und selbst.zufrieden sitzt, mut.willig durchzusägen.
Man kann daher ganz un.geniert behaupten:
Der Verlust der Ehrfurcht, insbesondere der Verlust der Ehrfurcht vor dem Leben, ist die TODSÜNDE der zivilisatorischen Gesellschaft.
Wer aus dem Religionsunterricht noch weiß, dass einer jeden Tod.sünde ewige Höllen.strafe folgt, der mag erahnen, was analog hierzu geschehen könnte, wenn das Leben in seinen vielfältigsten Ausformungen permanent mit Füßen getreten, wenn unser Lebens.raum weiterhin vergiftet und kontinuierlich vernichtet, wenn menschen.würdiges Leben für zukünftige Generationen verunmöglicht wird. Indem nämlich die zivilisierte Menschheit die lebende Natur, die sie umgibt und erhält, in blinder und van-dalischer und ausbeuterischer Weise verwüstet, bedroht sie sich selbst mit ökologischem Ruin, und wenn sie diesen erst mal ökonomisch zu fühlen bekommt, wird die Erkenntnis ihres Fehlers wohl zu spät kommen.
Der Elsässer Arzt und Theologe Albert Schweitzer hat bereits vor vielen Jahrzehnten gegenüber der großen Maschinerie des acht.losen und destruktiven Umgangs mit der Natur als GRUND.GESETZ ALLER SITTLICH.KEIT die Ehrfurcht vor dem Leben propagiert und er hat eindringlich von der „Nötigung“ gesprochen,
„allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen“.
„Gut ist“, schrieb er, „Leben zu erhalten, Leben zu fördern und zu seinem höchsten Wert zu steigern; böse ist, Leben zu vernichten, zu schädigen, zu hemmen und an seiner Entwicklung zu hindern“.
Für Schweitzer war daher oberstes Gebot und Inbegriff von Ethik „die ins Grenzen.lose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt“, und „die Ehrfurcht vor dem Willen zum Leben in mir und außer mir“.
Einem wahrhaft ethisch gesinnten Menschen ist das Leben als solches heilig, das Leben der Menschen ebenso wie das Leben aller Kreatur.
Wer hier sich anmaßt, werten zu wollen, d.h. eine gestufte Wert.rang.folge für das Leben oder für verschiedene Lebens.formen aufzustellen, der läuft sehr schnell Gefahr, sich zum selbst.gerechten Richter aufzuschwingen für – nach seinem ei-genen Dünkel und Dafürhalten – wert.loses oder minder.wertiges oder un.wertes und damit vernichtens.würdiges Leben. Und solches Tun ist verwerflich, es ist skandalös und vermessen, es ist zutiefst un.moralisch und böse.
Das muss so un.verblümt gesagt werden, da meiner Meinung nach immer wieder neu der Dreistigkeit des Menschen Einhalt geboten werden muss, sich un.gestört und scham.los als den Mittelpunkt und das Nonplusultra in den Kosmos hinein.zu.inszenieren.
Solche Überheblich.keit nennt man ANTHROPO.ZENTRIK, und sie ist die fatale Überzeugung, es drehe sich alles nur um den Menschen und alles sei nur zu seinem Zweck und Nutzen da bzw. die mensch.liche Geschichte habe ihren Sinn nur in einem ständigen, vom Menschen angekurbelten und stets zu forcierenden Fortschritt.
Es war der griechische Philosoph Protagoras, der bereits vor ca. 2 1/2 Jahrtausenden verkündet hat, der Mensch sei das Maß, er sei der Maß.stab und die Mess.latte aller Dinge. Damit wurde leider ein Akkord angeschlagen, der zu einer un.heilvollen Selbst.überschätzung des Menschen geführt hat, die den Menschen allein zum Haupt.thema des Welt.alls macht.
Das bedeutet:
Angeblich nur er und sein Schicksal entscheiden über den gesamten Kosmos – und alles, so wird argumentiert, alles sei nicht nur auf den Menschen hin, also nicht nur um seinet.willen geschaffen, sondern es sei auch von ihm abhängig und daher auch beliebig durch ihn verwert.bar – verwend.bar – verbrauch.bar – miss.brauch.bar – und damit eigentlich auch bedenken.los zerstör.bar.
Dieses Welt.bild – das im jüdischen Denken gleichsam göttlichen Ursprungs ist mit dem Jahwe.Gebot, sich die Erde untertan zu machen, und das im christlichen Erbe voll übernommen und durch die Mensch.werdung Christi geradezu radikalisiert wurde – dieses Welt.bild vom Menschen als der Krone der Schöpfung muss für SEHR bedenklich gehalten werden, und es hat bis heute un.richtiges, un.rechtes und verantwortungs.loses Verhalten begründet.
Frieden mit der Natur schließen, dafür plädiere ich als ökologisch orientierter Verantwortungs.ethiker, und damit müsste auch die un.gebremste und nach wie vor eskalierende Gewalttätig.keit mensch.lichen Herrschafts.anspruchs gegenüber dem Tier.leben eingedämmt und auf eine neue Entscheidungs.grundlage eines wohlwollend.rücksichtsvollen Umgangs mit anderen Lebe.wesen gestellt werden, unter der Prämisse:
JEDES LEBEN IST EIN SCHÜTZENS.WERTES GUT!
Sterben müssen wir schließlich alle – und wer um jeden Preis, auch um den Preis des quälenden Leidens der Tiere und um den Preis einer kaputten Natur zu leben wünscht, gerade dessen Leben ist nicht jeden Preis wert.
Es ist un.begreiflich, warum man bis heute die Rede des Indianerhäuptlings Seattle aus dem Jahre 1855 nur müde hat belächeln können. Und er hatte doch so recht, wenn er dem stolzen weißen Manne seinerzeit – und mustergültig bis in unsere Tage hinein – ins Stammbuch schrieb:
„Die Erde gehört nicht den Menschen – der Mensch gehört zur Erde. … Der weiße Mann, vorübergehend im Besitz der Macht, glaubt, er sei schon Gott, dem (doch) die Erde gehört. … Die Erde verletzen heißt, ihren Schöpfer verachten!“
Ich bin schon sehr lange nicht mehr bereit, unter den in der Regel un.hinterfragten Selbst.verständlichkeiten des abendländischen Menschen.bildes jenes weiterhin noch zu tolerieren, wonach der Mensch als der Mittel.punkt der Welt und als die Krönung der Schöpfung betrachtet werden müsse.
Ich behaupte daher:
Der Mensch ist keineswegs der vornehmste Buchstabe im Buch der Natur!
Denn wer die Wirklich.keit des Menschen in der Geschichte nachzu-zeichnen wagt, der begegnet fortwährend Strömen von Blut und Bos.heit und Verworfen.heit. Er wird nahezu erdrosselt von der Kette, die gefügt ist aus Hass und Neid, aus Rache und Vergeltungs.drang und Gewalt, aus den Bildern von Zerschossenen, Erhängten und Verbrannten, Vergewaltigten, Verhungerten und seelisch und körperlich Verkrüppelten. Im Laufe der Menschheits.geschichte waren die Todes. und Tötungs.arten un.zählig – varianten.reich waren auch die Modalitäten des Quälens und un.begrenzt die Formen, in denen die Menschen sich gegenseitig Böses antun konnten und bis in die jetzige Sekunde hinein einander zufügen.
Seit vielen Jahren plädiere ich daher heftig dafür, dass die geistigen Grundlagen einer Einstellung vehement zu bekämpfen sind, für welche das Gesamt der Natur nur die beliebig benutzens.werte ‘Um.welt’ des Menschen sei, das bloße Roh.material für mensch.liche Ziel.setzungen, ein Waffen.lager, das bedenken.los ausgebeutet werden könne. Das ist sehr weit entfernt von dem Welt.bild der alten Kulturen, wonach die Erde noch allerorten als die Große Mutter galt und man überzeugt war, jeder Eingriff in die Natur würde das vorhandene Gleichgewicht stören und käme einem Frevel gegen die Götter gleich.
Wenn sich der un.gebremst rücksichts.lose und vielfach un.moralische Machbarkeits.wahn des Menschen allenthalben un.geniert breit macht und dann auch noch stets für alles erdenklich Menschen.mögliche bereitwilligst einen moralischen Persilschein ausstellt, dann ist dem entgegen zu halten:
Eine Mensch.heit, die heute aufgrund ihrer rationellen Fähigkeiten und die hinsichtlich ihrer macherischen Möglichkeiten letztlich ihren eigenen Untergang und den ihres eigenen Planeten im Repertoire hat, eine Mensch.heit, die sich mut.willig und bedenken.los anschickt, den Ast, auf dem sie noch selbst.gefällig und satt sitzt, beschleunigt durchzusägen, eine solche Mensch.heit bedarf schon um des eigenen Über.lebens willen, aber auch und vor allem für die Existenz.garantie späterer, nachfolgender Generationen nicht moralischer Ent.hemmung – sie braucht vielmehr deutliche ethische Schranken!!!“
15. Februar 2013
(c) Dr. Bernhard A. Grimm
Autor
Dr. phil. Bernhard A. Grimm
ist Philosoph, Theologe und Althistoriker und beschäftigt sich – nach seiner Tätigkeit in Lehre und Forschung an der Universität München und im Management eines mittelständischen Unternehmens – seit 25 Jahren als selbständiger Dozent in Seminaren, Kolloquien, Vorträgen und Publikationen mit Fragen der Persönlichkeitsbildung, Führungsethik, Sinnfindung, Wertorientierung (Logotheorie) und Spiritualität. Er ist Autor von sieben Sachbüchern (so z.B. „Ethik des Führens“, „Macht und Verantwortung“, „Die Frau – der bessere Mensch“, „Lust auf Leben – Leben braucht Sinn“, „Älter wird man in jedem Alter“).
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