Gaia ist die Liebe meines Lebens

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fred hageneder Gaia fern Romolo Tavani sh1944566047“Gaia ist die Liebe meines Lebens”

Der Ökozentrist Fred Hageneder erzählt freimütig, wie bereichernd sich das Bewusstsein von Gaia, dem lebendigen Planeten von dem wir ein Teil sind, auf sein Leben und seine Arbeit auswirkt. In der Verbundenheit mit allem Leben gibt es keine Einsamkeit.

Meine bewusste Beziehung zu Gaia begann, als ich sechzehn war. Irgendwo in den Büchern von Carlos Castaneda über den Schamanismus der Yaqui-Indianer spricht Don Juan über den Weg des spirituellen Kriegers. Und er sagt: Die Erde ist die Liebe ihres Lebens. Es gibt kein anderes Band, das so stark ist wie dieses.

Zwei Jahre später begab ich mich auf meine persönliche Visionssuche nach indianischer Art.

Ich hatte vor, Sun Bear und seinen Bear Tribe im Staat Washington zu besuchen, aber mir wurde klar, dass der Großteil meiner Ersparnisse allein für die Überquerung des Atlantiks aufgebraucht sein würde. Und da ich genug Vertrauen in mich selbst und in die Natur hatte, begab ich mich unbegleitet auf eine spirituelle Reise. Zunächst in die weiten Wälder Schwedens, dann in ein abgelegenes Bergtal in der Schweiz und schließlich nach Nordwales.

Jeden Tag widmete ich einen guten Teil meiner Zeit dem Yoga und der Meditation. Die Wochen, die ich meditierend auf einem riesigen Felsblock am Fuße einer sechshundert Jahre alten Lärche saß, veränderten mein Leben. Ich spürte, dass ich auf dem richtigen Weg war. Aber es gab keinerlei Anzeichen für die Art von bahnbrechender Erleuchtung, auf die ich hoffte, eine innere Erfahrung, die mir über alle Zweifel erhaben sagen würde, was der Sinn meines Lebens war und wie ich es leben sollte.

Als es an der Zeit war, weiterzuziehen, verließ ich die Schweiz in Richtung Großbritannien. Und mit den Alpen und meinem geliebten Lärchenbaum ließ ich auch die festgefahrene Absicht, “eine Vision” zu erlangen, hinter mir. Vielleicht ging es im Leben ja mehr um das Dao, darum, dem Fluss zu folgen, sich den Energiemustern nicht zu widersetzen, die um uns herum und in uns weben und alles im Netz des Lebens miteinander verbinden.

Ich hatte vor, nach Findhorn zu fahren. Die berühmten Devas des Findhorn-Gartens waren so etwas wie meine letzte Hoffnung, etwas Außergewöhnliches zu erleben. Aber ich sollte nie dort ankommen. Ein Schweizer Freund hatte mich gebeten, einem Freundespaar auf Anglesey (Ynys Môn, einstmals die Insel der Druiden, wie ich später erfuhr) seine herzlichen Grüße zu bringen, und so fuhr ich dorthin. Ich war auf Anhieb so verzaubert von der Insel, dass ich die Nacht damit verbrachte, im Vollmond über die Hügel zu streifen.

In der Morgendämmerung veränderte sich plötzlich meine ganze Wahrnehmung.

Mein physischer Körper war nur noch ein winziger Teil von mir, ich spürte, wie mein Bewusstsein die Felder und den Himmel um mich herum durchdrang, bis hin zum Horizont. Und ich fühlte Liebe für alles. Mein Bewusstsein dehnte sich tiefer und tiefer in die Erde aus, so weit, so tief, dass die Grenzen in der Unendlichkeit verschwammen. Dann wurde mir wieder dieses winzigen Menschen bewusst, der im Gras stand, und ich sagte zu ihm: “Alles okay. Ich bin die Erde, und ein Teil von mir wird wieder zu dir werden. Ich werde dich nie verlassen und du wirst ein Leben im Dienste des Ganzen führen. Ich liebe dich, und das werde ich immer tun.”

Inzwischen war der menschliche Körper, der einst mir gehörte, auf die Knie gefallen, krümmte sich und schluchzte. Vielleicht eine Stunde lang musste ich diesen Körper schaukeln, wimmernd und heulend, schreiend und stöhnend, mich wälzend, um Luft zu schnappen. Denn das Maß an Liebe war fast unerträglich. Zurück in meinem Körper spürte ich immer noch die unendliche Tiefe und Weite der Erde, die mich in ihrer Liebe badete. Als ich endlich wieder “ganz” ich selbst war, summte jede Zelle in mir. Ich war wiedergeboren. Oder vielleicht nur: geboren. Ich fühlte ein unbeschreibliches Glück in mir, weil ich wusste, dass ich mich nie wieder allein oder ungeliebt fühlen können würde.

Jahrzehnte später, als ich die Baum-Engel-Orakelkarten entwarf, erschien eine Zeile für die Birke (einer meiner persönlichen Schutzbäume), die es wunderbar zusammenfasst: “Nackt im Lichte Gottes”.

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Abbildung der Karte “Birke” aus dem Baum-Engel-Orakel

So begann mein Erwachsenenleben. In den nächsten Jahrzehnten konzentrierte ich mich darauf, Bücher über Bäume zu schreiben und den Bäumen gewidmete Gemälde und Musik zu schaffen. In den letzten Jahren brachte mich meine Arbeit mit Bäumen zurück zu Gaia. Der Kreis schloss sich, wurde ganz. Denn je mehr ich von und über Bäume lernte, desto mehr verstand ich, dass man Bäume nicht vom “Rest” der Schöpfung, d. h. der Biosphäre, trennen kann – oder besser gesagt, da biologisches Leben eine Einheit mit seinem Lebensraum bildet: der Ökosphäre. Ich driftete von der Mythologie zur Ökologie.

Die Sprache der Naturwissenschaften kann eine Quelle unendlichen Staunens, der Verzauberung und der Ehrfurcht vor dem Leben sein.

In den 1970er Jahren stellten Lynn Margulis und James Lovelock die Gaia-Hypothese auf. Sie bezeichnet ein sich selbst regulierendes Planetensystem, in dem biologische Wesen (Biota) und ihre nicht-biologische Umgebung bzw. Lebensräume (Abiota) eine Einheit bilden und sich als solche entwickeln. Die Namenswahl – Gaia, nach der altgriechischen Göttin der Erde – traf sofort den Nerv der Hippie-Generation und aller späteren Neuheiden, Schamanen, Animisten und gutherzigen, lebensbejahenden Menschen. Menschen mit einem Sinn für Animismus wissen, dass Gaia einfach die Göttin ist und dass in der Art und Weise, wie sie das Leben entfaltet, viel Weisheit steckt. Und indigene Kulturen wissen es sowieso, sie haben es nie vergessen.

Etwa dreißig Jahre lang schienen jedoch die Wissenschaft selbst und damit auch die politischen Entscheidungsträger und Politiker die Gaia-Hypothese überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen. Und die Zerstörung der Erde ging unvermindert weiter. Ich habe mich oft gefragt, warum die wissenschaftliche Gemeinschaft so still ist. Bis ich es schließlich herausfand: Viele ehrlich besorgte Naturwissenschaftler, Ökologen und Naturschützer befürchteten, dass die Botschaft von einem sich selbst regulierenden System, das sich auch selbst heilen kann, von der Rohstoffindustrie und der extraktiven Wirtschaft nur missbraucht werden würde, um ihr Zerstörungswerk fortzusetzen, dann mit der zusätzlichen Ausrede, dass die Erde sich ja selbst heilen kann, wenn sie mit ihr fertig sind. Und ich denke, diese Angst ist berechtigt.

Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die Gaia-Hypothese aber still und leise in vielen akademischen Bereichen verbreitet und ist inzwischen zum Fach “Erdsystemwissenschaften” geworden, das an vielen Universitäten der Welt studiert werden kann. Sie hat sich außerdem zur “Gaia-Theorie” weiterentwickelt, was sie in bestimmten Kreisen sehr viel glaubwürdiger macht. Und wenn wir heutzutage Klimanachrichten hören, sind sie vollständig durchdrungen von Gaia-Begriffen und Konzepten. Das Verständnis von der Vernetzung aller planetarischen Lebenssysteme ist endlich Allgemeingut geworden.

Die Gaia-Spiritualität ist das Nährendste und Haltgebendste in meinem Leben.

Sie gibt mir Kraft und Widerstandsfähigkeit, inneren Frieden und eine tiefe Freude, wo immer ich bin. Und sie erfüllt mich mit einer nie endenden Neugier, mehr über die Lebensformen der Erde und ihr Zusammenspiel zu erfahren. Aber das kann man nicht lehren, wir müssen es selbst erfahren und erleben. Es ist etwas zutiefst individuelles (und doch sind gemeinschaftliche Zeremonien eine wundervolle Sache!).

Die Gaia-Wissenschaft hingegen kann mit der gesamten Menschheit geteilt werden. Auch sie eröffnet eine Welt der Wunder, aber diese sind “objektiv” und können als Fakten nicht negiert werden. Wenn wir das Klima stören, wird das auf uns zurückfallen. Wenn wir die Insekten aushungern, werden auch wir verhungern. Wenn wir die Wälder abholzen, werden auch wir sterben. Man kann nicht mit der Natur verhandeln, sie wird immer das letzte Wort haben. Und dennoch bedroht die Gaia-Wissenschaft keine Religion (außer der des Geldgottes). Sie ist mit allen großen Glaubensrichtungen vereinbar, und tatsächlich erforschen alle von ihnen heutzutage ihre eigenen grünen Wurzeln.

Um die Neugier meiner LeserInnen zu wecken, möchte ich mit drei Fun Facts schließen.

Wussten Sie, dass 99 Prozent der Luft, die wir atmen, aus Molekülen besteht, die von lebenden Organismen freigesetzt werden? Der Sauerstoff (21%) stammt von Bäumen, Pflanzen und Algen, der Stickstoff (78%) von Bakterien. Ohne Leben wäre die Erdatmosphäre ein Gemisch aus giftigen Gasen, und dazu noch kochend heiß.

Wussten Sie, dass auch die Ozeane ein giftiges Gebräu wären, wenn sie nicht (über Hunderte von Millionen von Jahren) von Mikroorganismen gereinigt worden wären? So viel zu dem alten Paradigma, dass “das Leben gastfreundliche Nischen findet”. Nein, das Gegenteil ist der Fall: das Leben schafft sich Lebensräume, die immer vorteilhafter werden (die einzige Ausnahme ist der Home sapiens seit der industriellen Revolution).

Wussten Sie, dass Spitzenbeutegreifer nicht mehr als brutale Terroristen angesehen werden, die an der Spitze ihrer Nahrungskette herrschen? Stattdessen haben sie positive Auswirkungen, die sich abwärts auswirken. Beutegreifer halten den Genpool der Populationen ihrer “Beutetiere” gesund (indem sie nur die ältesten und schwächsten Tiere auswählen), sorgen für einen gnädigen, schnellen Tod in einer Welt ohne Schmerzmittel und verhindern eine Überpopulation von Pflanzenfressern, die letztendlich das gesamte Ökosystem vertilgen würde.


Buchtipp Fred Hageneders neuestes Buch: 

NUR DIE EINE ERDE fred hageneder eine erde
Globaler Zusammenbruch oder globale Heilung – unsere Wahl
von Fred Hageneder

Die globale Lage auf der Kippe„ Nur die eine Erde” erklärt die planetarischen Lebenserhaltungssysteme in ihrer Ganzheit, bietet eine umfassende Gesamtdarstellung der globalen ökologischen Krise und zeigt die uns verbleibenden Optionen auf, um ein zuträgliches Klima und die noch vorhandene Artenvielfalt zu retten, die Verseuchung zu beenden und die Ökosphäre dieses Planeten zu heilen.
Auch das Gleichgewicht der menschlichen Gesundheit können wir nicht vom Gleichgewicht des Planeten trennen, denn »die Gesundheit des Menschen beruht auf der Gesundheit des Planeten«. Diese Erkenntnis setzt sich immer mehr durch: bei der UN, der WHO und in den kritischen Medien. Es ist nicht nur unsere Gesundheit, die zusehends schwindet (und das nicht erst seit der Corona-Krise), sondern das ganze Netz der Lebenserhaltungssysteme der Erde.
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17.03.2022
Fred Hageneder
https://nur-die-eine-erde.de
Titelfoto: Main image, © Romolo Tavani/shutterstock.com

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Hageneder Fred 2019Fred Hageneder
ist ein führender Autor auf dem Gebiet der Ethnobotanik und der kulturellen und spirituellen Bedeutung der Bäume. Er ist Gründungsmitglied der AYG (Ancient Yew Group, Uralte Eiben-Gruppe), die in seiner Wahlheimat Großbritannien für den Schutz der uralten Eiben arbeitet. Er ist Mitglied von SANASI, einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern, die indigene Hüter…
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