Harmonik und Polarität
Hans Weiers – Harmoniker in unserer Zeit
von Prof. Dr. Werner Schulze
Heraklit und die Pythagoreer sind die Väter der Harmonik, der ganzzahligen Zahlenverhältnisse in der Natur. Wie in den Planetenkonstellationen und in der belebten Natur, so gibt es für den Menschen auch in Kunst, Musik und Architektur harmonikale Strukturen. Harmonik gründet im Dreibezug von Mensch, Musik und Kosmos und erfordert einen »Mut zur Analogie«, eine »Liebe zum Denken in Analogien«.
Im Kulturraum Baden-Württemberg finden wir einige Personen, die dem Harmonikalen Denken zugehören:
- Johannes Kepler (1571-1630), bedeutender Barockgelehrter, letzter Platoniker von Rang: geboren in Weil der Stadt, aufgewachsen in Leonberg;
- Hans Kayser (1891-1964), Erneuerer der Harmonik im 20. Jahrhundert:
geboren in Buchau, aufgewachsen in Sigmaringen; - Martin Heidegger (1889-1976), Kaysers Zeitgenosse, in seiner Hinwendung zu den Vorsokratikern und zu Platon unausgesprochen der Harmonik nahe stehend: geboren in Meßkirch, als Denker untrennbar mit der Freiburger Universität verbunden;
- Hans Weiers (geboren 1920), Forscher, Arzt, Künstler, Visionär, Harmoniker, mit den Lebensstationen Bad Bellingen und Neuenburg.
Dr. Hans Weiers war ein »Harmoniker unserer Zeit«.
Um Hans Weiers gerecht zu werden, müssen wir ihn in einen größeren geistesgeschichtlichen Zusammenhang stellen. Von der Spannweite dieses großen Bogens möchte ich zu einem kleinen, eigentlich »simplen« Gegenstand gelangen (»simpel« ist heute ein negatives Attribut, das noch in der Barockzeit ein positives war und ein Anzustrebendes meinte): der von Hans Weiers entwickelte Hydrovibrator, der den Wasserstrahl teilt und ihn in der Proportion 2:3 pulsieren lässt.
Diesem kleinen, fast unscheinbaren Gerät der harmonikalen Therapie verdanke ich sehr viel, denn für mich begann damit eine aufregende Reise und eine seit über zwei Jahrzehnten bestehende »harmonikale Freundschaft« mit Hans Weiers.
Im September 2003 fand in Badenweiler die Tagung 4 6 9 – Harmonik und Heilkunst statt. Unter 4 6 9 wird man sich wenig vorstellen.
Die Erklärung ist freilich einfach:
4 = 2² <2 hoch 2>, 9 = 3²<3 hoch 3>, 6 = 2·3<2 mal 3>, zusammen also die Proportionalität a² <a hoch 2>: ab : b²<b hoch 2> für a = 2, b = 3. 6 ist dabei die geometrische Mitte zwischen den Randgrößen 4 und 9; es gilt 4·9<4 mal 9> = 6²<6 hoch 2> = 36.
Zwei Grenzen und die Mischung des in den Grenzen Enthaltenen. Mit diesem Prinzip sind wir bei Heraklit angelangt, den wir mit Fug und Recht, gemeinsam mit den Pythagoreern, als Ahnvater des harmonikalen Denkens im Abendland bezeichnen können.
Blick nach China
Wenn wir bedenken, dass die Zahl 2 als Qualität das Weibliche, Dunkle, Erdwärtige, Yin bedeutet, und die Zahl 3 das Männliche, Helle, Himmelgerichtete, Yang, sind wir bei einer im altchinesischen Weisheitsdenken verbreiteten Symbolik angelangt. Anstelle erklärender Worte ein Text aus dem Buch„Frühling und Herbst«, verfasst von Lü Pu Wei (3. vorchristliches Jahrhundert):
In alter Zeit befahl der Kaiser Huang Ti, der »Herr der gelben Erde«, seinem Musikmeister Ling Lun, die Tonleiterpfeifen zu verfertigen. Ling Lun ging vom Westen des Ta Hia Gebirges und kam zum Norden des Yüan Berges. Dort nahm er Bambus aus dem Tal Hiä Hi von gleichmäßig dickem Hohlraum und hieb ihn zwischen zwei Knoten durch.
Er blies darauf und sprach: ›Das stimmt‹. Der Ton war nicht höher und nicht tiefer als sein eigener Sprechton, wenn er von jeglicher Leidenschaft frei blieb, zugleich aber stimmte er mit dem Rauschen des unweit davon entspringenden Hoang Ho überein.
Während Ling Lun darüber in innere Betrachtung versank, erschien ihm der himmlische Phönixvogel mit seinem Weibchen.
Das Männchen Fong und das Weibchen Huang sangen je sechs Töne, wobei der erste Ton des Phönixmännchens wieder mit dem Ton der Quelle des Gelben Flusses übereinstimmte. Der Musikmeister fertigte nun, nach dem Vorbild des Vogelgesanges, insgesamt zwölf Bambuspfeifen an und kehrte damit zu Huang Ti zurück.
Darauf befahl der Kaiser dem Ling Lun, zusammen mit Yung Tsing zwölf Glocken zu gießen, welche die harmonischen fünf Töne der Tonleiter ergaben. Damit führte er eine herrliche Musik aus, die im mittleren Frühlingsmond am Tage I Mao, als die Sonne im Zeichen Kui stand, erstmals aufgeführt und Hiän Tsi genannt wurde.
Dies ist einer der kostbarsten Texte zur Harmonik,
der die Entstehung des altchinesischen Tonsystems in eine umfassende Ordnung von Natur-Mensch-Musik stellt. Hinzu kommt die »Rechtfertigung von oben«, das himmlische Phönix-Pärchen. In der Fortsetzung des Textes wird davon berichtet, wie die zwölf Tonleiterpfeifen genau bemessen wurden:
Der Ausgangston (das ›Das stimmt‹ unseres Textes) hatte die Rohrlänge 81, aus dem in einem Quinte/Quarte-Schaukelverfahren die weiteren Töne abgeleitet wurden: im Verhältnis 3:2 verkürzt (Rohrlänge 54, Quinte hinauf), danach in der Proportion 3:4 verlängert (Länge 72, Quarte hinunter), wieder gemäß 3:2 verkürzt (Länge 48, Quinte hinauf), und so fort, bis man 12 (chromatische) Töne erhält als zugrunde liegendes Material. Aus der Menge dieser 12 Töne wurde Monat für Monat eine andere Pentatonik ausgewählt. Die 2:3 = Yin/Yang-Polarität ist solchermaßen in der Ordnung des Reichs der Töne enthalten.
Fragen wir, ob in der Übersetzung dieses Textes auch das Wort Harmonie vorkommt, stellen wir fest: ein einziges Mal. Die Rede ist von »harmonischen« fünf Tönen, und das bedeutet »stimmige«, »Ordnung bildende und hütende« Töne, Grundlage der genannten »herrlichen« Musik, die daraus entwickelt worden ist.
Harmonik und Harmonie
Im Umfeld des harmonikalen Denkens zählt es zu den größten Missverständnissen, wenn die beiden Begriffe Harmonik und Harmonie in einen Topf geworfen werden. Sie haben zwar dieselbe griechische Wortwurzel (harmod = harmonía, harmózein), meinen aber Verschiedenes. Harmonik hat anderes im Blick als ein Vorfinden von Harmonie. Unser altchinesischer Text kann Hilfe sein, diese Unterschiedenheit zu verstehen.
Harmonik gründet im Dreibezug von Mensch, Musik und Kosmos und erfordert einen »Mut zur Analogie«, eine »Liebe zum Denken in Analogien«. Demgegenüber heißt das – heute oft inflationär gebrauchte – Wort Harmonie ›Fügung‹ und meint immer ein ›positiv Gefügtes‹.
Wir reden von einer Sehnsucht nach Harmonie, die wir haben, ob eingestanden oder nicht. Und das Adjektiv harmonisch wird meist oberflächlich verstanden im Sinne von: etwas ›sagt mir zu‹, etwas ›gefällt‹ (eine Hausfassade, eine Zimmereinrichtung, eine Bildgestaltung), ein Ehepaar sei oder lebe harmonisch, und ähnlich.
Nochmals und eindringlich gesagt: Harmonik ist nicht Harmonie, kann aber Wegweiser dorthin sein.
Selbst in der Musik ist es so, dass die ›Harmonielehre‹ eine ›Lehre des Erlaubten‹ ist, eine Lehre der erlaubten, weil ›schönen‹ Ton- und Akkord-(Ver)bindungen, also eine Lehre, die das Unpassende, Unschöne verbietet. Harmonik aber ist mindestens in zwei Aspekten keine ›Harmonielehre‹: erstens ist sie keine Lehre, und zweitens weiß sie sehr viel vom ›Unerlaubten‹.
Aufgrund solcher weithin anzutreffenden Gleichschaltung von Harmonik und Harmonie ist die Harmonik in den zweifelhaften Ruf gekommen, sie schließe das Unschöne, Schmerzhafte, Leidvolle, Dunkle, Chaotische aus. In einem solchen Fall aber würde Harmonik zur Ideologie verkümmern.
Polarität von Chaos und Kosmos
Es ist eine Binsenweisheit: Wir können nicht ordnen, wenn schon alles geordnet ist. Wir können nicht heilen, wenn schon alles heil ist. Chaos, Streitkampf, Krankheit, auch der Tod, sind Voraus-Bedingung, sind notwendig.
Von der Gleichgewichtung dieses Gegensatzes spricht Empedokles (Fragment 16): »Denn wie Streit und Liebe vordem waren, so werden sie auch sein, und nimmer wird von diesen beiden leer sein die unendliche Lebenszeit.« Die Rede ist von »neikos kai philia«, von »Streit und Liebe«.
Dieses Denken hatte Empedokles von Heraklit übernommen. Der Weise aus Ephesos sprach, ähnlich dem zeitgleich nur wenig entfernt lebenden Pythagoras von Samos, von den Gegensätzen und ihrer Mischung. Wenn das Helle/Warme/Geordnete, dann auch das Dunkle/Kalte/Chaotische.
Bestimmend ist der Gegensatz:
Chaos – Kosmos, Leben – Tod, Friede – Krieg, Alt – Jung, Sonne – Finsternis, Schlafen – Wachen, Sterblich – Unsterblich.
Hier einer der Weisheitssätze Heraklits
(Fragment 124):
»Wie ein Haufen planlos hin geschütteter Dinge – der schönste Kosmos.«
Nur eine oberflächliche Interpretation wird hier von einem ›Pessimismus‹ sprechen. Es ist vielmehr ein Satz, der zwei Sachverhalte im ›Gleich-Gewicht‹ hält. Von hier der Sprung zu Paul Klee, der einmal gesagt hat: »Ich beginne mit dem Chaos, weil ich selbst Chaos sein darf.« (Klee ist, neben der Harmonik Kayserscher Prägung, Weiers’ zweite wesentliche Wurzel seines Forschens und Schaffens.) Es mag erstaunen: Paul Klee – übrigens Hans Kaysers Streichquartett-Partner – beginnt mit dem Chaos.
Unter Heraklits zahlreichen Fragmenten, welche die Harmonik berühren, finden wir auch die Fragmente 122 & 8, die für sich sprechen und jede Art von Deutung entbehrlich machen:
»Annäherung: Das entgegen Gesetzte zusammenstrebend, aus dem auseinander Gehenden schönste Fügung.«
Wagen wir aus diesem Horizont eine Wesens-Kennzeichnung der Harmonik:
- Spannung von Ordnung (Kosmos) und Chaos (nicht nur ontologisch),
- Spannung von Schönheit und Missfallen, Misston (nicht nur ästhetisch),
- Spannung von Integration und Zerfall (keinesfalls nur in einer Dimension).
- In diesen drei Spannungen gilt: Harmonik ist Gestaltungswissen.
Nochmals Klee:
[2.] Ordo et pulchritudo: Ordnung hat eine starke Potenz, eine Mächtigkeit in sich, der wir den Namen Schönheit geben können. Harmonik ist sofern Schönheitsdenken – oder hat einen lebendigen Bezug dorthin –, aber es ist dies ›auch‹, nicht ausschließlich und ausschließend, denn Harmonik ist nicht blind und unwissend gegenüber der Schärfe von ›Dissonanz‹. Aber eines gilt für den Harmoniker unbedingt: Er verhält sich nicht neutral. Findet der Vertreter einer Wissenschaft X in einer Untersuchung den Wert Y (man beachte den Doppelaspekt von Quantität und Qualität im Begriff ›Wert‹), dann hat er Y gefunden – und sonst nichts.»Ich beginne mit dem Chaos, weil ich Chaos sein darf.«
Ein Harmoniker hört, sieht und sichtet, ordnet demgegenüber nicht nach Quantität allein,
sondern verbindet damit einen Qualitätsbegriff. Mehr noch: Der Harmoniker hat das Staunen und das Begeistert-Sein nicht verlernt, er kann von Schönheit im Zahlenreich, in Geometrie, Astronomie, Kristallographie, Zoologie usw. berührt sein, sogar schwärmen. Ein Harmoniker ist ein bewegter – und bewegender – Mensch. Dem Bewegt-Werden entspringt das Bewegt-Sein, das Bewegen, das Mit-Bewegen. Der Harmoniker als Homo Movens.
[3.] Ordo – pulchritudo – concordia artium et litterarum: Harmonik ist zugleich zusammenschließendes, integratives Denken, und folglich schwingt der Integrationswille, das Integrationsstreben im harmonikalen Menschen mit. Der harmonikale Mensch ist aber nicht blind gegenüber der Diversität, gegenüber dem Separierenden.In dieser trinitarischen Reihung von Ordnung – Schönheit – Integration wird deutlich, dass, wenn wir zwischen Sachwissen und Gestaltungswissen unterscheiden, Harmonik primär (aber nicht ausschließlich) Gestaltungswissen ist. Gestalten bezieht sich auf die Zuordnung der Teile im Ganzen eines Organismus, und das Ganze des Organismus, gleich ob in der unbelebten Natur, im Kunstwerk oder im Lebewesen, stellt ein zentrales Wort der Harmonik dar.
Manche, sogar Harmoniker selbst, haben eine Schwierigkeit, folgender Frage zu begegnen: Wie ist der Harmoniker einzuordnen, einzu-teil-en? Ist der Harmoniker (1.) Wissenschaftler? Ist er (2.) Künstler? Ist er (3.) Heiler, Lehrer, Prediger, Mahner?
Oder ist er zu einem Drittel Wissenschaftler, zu einem Drittel Künstler, zu einem Drittel Heiler?
Summativ ist er dies alles, so wie 1+1+1 summativ 3 ist. Aber des Harmonikers eigentümliche Qualität besteht darin, dass er das ist, was er ist: Harmoniker. Harmoniker zu sein bedeutet eine Geisteshaltung einnehmen (griechisch héxis), und damit eine Werthaltung, ein Stehen auf einem Platz, der Stand-Festigkeit ausstrahlt (griechisch êthos).
Harmonikale Therapie
Harmonikale Therapie, das bedeutet: heilend aufbauen auf jenen Grundlagen, die auch die Musik bestimmen. (Im Unterschied zur Harmonikalen Therapie ist die Musiktherapie ein Heilen mit der Musik selbst.)
Es sei ein kurzer Hinweis auf ein Projekt, das Harmonik und Musik-Therapie übergreift, gestattet. Am Internationalen Harmonik Zentrum an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien wurde die Produktion einer CD NADA CHAKRA angeregt und begleitet. Interpret dieser CD ist Johnson Vettoonickal, ein aus dem südindischen Bundesstaat Kerala stammender Musiker und Musikheiler.
Johnson war langjährig Student der Harmonik, wo er besonderes Augenmerk dem Thema »Healing with Ragas« geschenkt hat. Die Wirkungskraft spezifischer Ragas auf die Energiezentren des Menschen ist seit Jahren Thema seiner Arbeit in indischen Spitälern und an der »School for Harmony« (»Ave Sangeeth Sadan Well«) in Velur in der Nähe von Thrissur, der kulturellen Hauptstadt Keralas.
Die Frage nach einer Zuordnung von Tönen und Farben ist alt.
Isaac Newton (1643-1727) ordnete die 7 Spektralfarben (rot, orange, gelb, grün, blau, indigo, violett) den 7 Stufen des d-modus zu – trotz aller Problematik der klassische Fall einer Analogie. Anders, weit umfassender, die Analogie von Chakras, Elementen, Spektralfarben, Meditationssilben und Ragas auf vorliegender CD, darüber hinaus eingebunden in erfolgreiches Heilen.
Hier die Zuordnung der 7 Energien auf 5 Bedeutungsebenen:
- Chakra: muladhara (mula = Wurzel, adhara = Fundament) – swadhisthana (swa = selbst, sthana = Platz) – manipura (mani = Juwel, pura = Stadt) – anahata (ruhender Klang) – vishuddha (Reinheit) – ajna (Befehl) – sahasrara (tausend Blütenblätter)
- Element: Erde – Wasser – Feuer – Luft – Äther – ?? – ??
- Farbe: rot – orange – (gold-)gelb – grün – blau – dunkelblau, indigo – violett
- Silbe: LAM – VAM – RAM – YAM – HAM (HUM) – OM – OM
- Raga: kalivani – abhogi – sreeraga – kamboji – todi – bhoopalam – hamsadwani
Weiers’ Harmonik
Auf dem Gebiet der Harmonikalen Therapie haben in der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts vor allem zwei Vertreter nachhaltig gewirkt: Gunther Hildebrandt, Grundlagenwissenschaftler im Bereich Chronobiologie, und Hans Weiers, als Harmoniker und Therapeut primär Angewandter Forscher. Beide Ansätze kann man als zueinander komplementär betrachten, in der Chronobiologie also eine ›Partnerwissenschaft‹ zur Harmonik von Hans Weiers sehen.
Worum es geht:
Verbindung von künstlerischem, wissenschaftlichem und heilendem Wissen. Worum es nicht geht: Weiers’ Harmonik war nie Rezeptlehre, neugierig und unermüdlich Fragen zu stellen ist ihr ebenso wichtig, wie Antworten zu versuchen.
Weiers ist Realist: Er hält fest, dass nicht alles zu jeder Zeit für jeden Menschen 1:1 anwendbar ist. Das wäre Wunschdenken, das von fertigen Rezepten ausgeht.
Hier aber geht es um Kunst, die als solche nie zu einem Rezept degradiert werden kann und darf.
Weiers hat zwei Wege beschritten: 1. Biophysikalische Therapie als unmittelbare Anwendung harmonikaler Grundprinzipien; 2. Therapie des Sehens als in der Kunst vermittelte Anwendung solcher Grundlagen. Und Weiers lebt, dass Biophysik und künstlerische Therapie zwar voneinander verschieden, aber in höherem Sinn zueinander komplementär sind.
Weiers’ Harmonik hat darauf hingewiesen, dass sich 2:3 als zentraler Logos darstellt:
Yin/Yang, weiblich/männlich, Polarität. In ihrer Verbindung der beiden Pole Yin (Qualität der Zahl 2) und Yang (Qualität der Zahl 3) hat die Proportion 2:3 etwas ›Ganzes‹, ›Stabiles‹ und wurde deshalb für Weiers in Zusammenhang mit heilendem Wirken von eminenter Bedeutung.
Den Logos 2:3 finden wir in zahlreichen Disziplinen, von der Mathematik und Architektur bis zur Chronobiologie oder Sphärenharmonie. In der Musik bedeutet 3:2 – oder vertauscht 2:3, was im harmonikalen Denken keine Rolle spielt – das »Eineinhalbfache«, das »gib‹ zu einem Ganzen ein Halbes hinzu« (griechisch hemiolon). In der Zeit-Achse (Metrik der Sprache, Rhythmik der Musik) – die wir uns üblicherweise horizontal vorstellen – haben wir zwei Möglichkeiten: sukzessiv oder simultan. Hemiole hat für den Musiker die Bedeutung:
Wandle 2 mal 3 zu 3 mal 2, das heißt eine gegebene Zeit-Gliederung 2 mal 3 ist von einer Gliederung 3 mal 2 überlagert. In der Tonraum-Achse – die wir uns vertikal vorstellen, denn Töne sind ›hoch, höher, tief, tiefer‹) – definiert die Frequenzproportion 3:2 das Intervall der Quinte.
Ich gebe hier einen Aspekt, der bislang in der Harmonik weitgehend unbeachtet geblieben ist: 2 und 3 sind auch Bestandteil der Fibonacci-Reihe.
0 1 1 2 3 5 8 13 21 34 55 89
0 und 1 stehen am Beginn, sie sind der Ursprung, den Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) als Symbol göttlicher »creatio ex nihilo« angesehen hat. Danach kommen 2 und 3, und die weiteren Zahlen der Reihe sind wie eine Explikation, eine Entfaltung des in den Zahlen 2 und 3 komplikativ Enthaltenen.
Heraklit
Der griechische Weise Heraklit und der deutsche Arzt und Harmoniker Hans Weiers stellen sich als geistesverwandte Personen dar. Damit habe ich zurückgeführt zum Ursprung der Harmonik, wo vom Gegensatz [in Platons Dialog »Timaios« wird dies konkret mit dem Spannungsverhältnis 2 : 3 beschrieben] und von der Mischung von Gegensätzen [4 : 6 : 9] ausgegangen worden ist.
Nochmals einer der oft zitierten Weisheitssätze Heraklits:
Verborgene Harmonie ist stärker als offenbare. Dem Entbergen des Verborgenen können wir uns nur annähern, manchmal vielleicht zögernd, aber notwendig liebevoll und visionär.
Hans Weiers ist einer, der sich annähert. Manchmal vielleicht zögernd, aber immer liebevoll und visionär.
Anmerkungen:
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Kunstpostkarten der Werke von Hans Weiers gibt es bei Olga Maria Hoch im Pankratium, Gmünd (Kärnten). Die Erlöse aus dem Postkartenverkauf gehen zu Gunsten gemeinnütziger Projekte. Tel. (0043)6769461822, eMail: olgamariahoch@aol.com
Rudolf Haase: Hans Kayser. Ein Leben für die Harmonik der Welt, Basel 1968 Hans Kayser: Lehrbuch der Harmonik, Zürich 1950 Johnson Vettoonickal: Nada Chakra. Eine Reise entlang der Energiezentren des Menschen. CD, Koessner Music & Arts, Wien 2004 (Zu beziehen über das Internationale Harmonik-Zentrum an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien) Hans Weiers: Natur und Kunst. Quelle der Gesundheit, Neuenburg 1982 Hans Weiers: Balancetherapie. Elemente der Kunst – Elemente der Therapie, Neuenburg o. J
04.06.2019
Prof. Dr. Werner Schulze
Über den Autor des Artikels
Prof. Dr. Werner Schulze geb. 1952 in Wien. Studium der Philosophie, Psychologie und Akkadistik an der Universtität Wien, Dr. phil. Leiter des Internationalen Harmonik-Zentrums der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Gastprofessur in Indonesien. Autor, Musiker, Komponist und Theaterregisseur.
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