Transzendenz und Schmerz

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Transzendenz und Schmerz, Selbstverwirklichung und Egozentrik

in der ihm eigenen Art auch in Transzendenz und Schmerz,  gelegentlich maß.loser Übertreibung hatte Friedrich Nietzsche Menschen.liebe und Altruismus als einen Ausdruck von Schwäche und Selbst.verneinung bezeichnet und gesagt, sie seien typisch für Sklaven.naturen und – gemessen am „starken“ Menschen – Degenerations.erscheinungen.

Er hätte daher auch kein Verständnis gehabt für die nachfolgend zitierten „Edelsteine“ der Poesie, Glanzlichter eines Menschen.bildes, dessen wesent.lichste Komponente der selbst.transzendierende Du-Bezug auf Welt, auf Mit. und Um.welt, ist und nicht das „monadische“ Gefängnis, gefügt aus Mauern von solipsistischer Selbst.sucht, Eigen.liebe und Eigen.dünkel, arrogantem Wohlgefallen an sich selbst und narzisstischer Ego.zentrik:

„Es gibt keinen schöneren, aber auch keinen schicklicheren Rahmen um einen großen Schmerz als eine Kette von kleinen Freuden, die man anderen bereitet“ (Friedrich Schleiermacher).

„Die Menschen, denen wir eine Stütze sind, die geben uns Halt“ (Maria von Ebner-Eschenbach).

Ich weiß sehr wohl, man müsste – um die eigentlichen ego.manischen Tendenzen im Menschen aufzuspüren – sehr akribisch zwischen Selbst.sucht, Selbst.liebe und Selbst.interesse, dann wiederum zwischen Egoismus, Ego.zentrik und Narzissmus differenzieren, wie dies Erich Fromm in seinem Buch „Psychoanalyse und Ethik“ recht angemessen tut; ich will mir dies ersparen und verweise einfach auf (m)ein „Menschenbild“, aus dem deutlich wird, dass der Mensch aufgrund seiner noetisch.GEISTigen Dimension grundsätzlich fähig ist, sich und all die vorgenannten Ismen zu „über.steigen“, zu trans.zendieren auf etwas oder auf jemanden hin, das/der hinwiederum nicht wieder es/er selbst ist.

Das „Gegenteil“ hiervon will ich mit einem Gleichnis aus einer indischen Sage veranschaulichen:

Man hat einst einen Hund in ein Spiegelkabinett gebracht, das rundum an den Wänden ebenso wie am Boden und an der Decke mit nichts als nur mit Spiegeln ausgestattet war.
Nachdem sich der Hund in die Mitte gesetzt, rings um sich geschaut und, wohin er auch blickte, nur sich selbst, also eben einen Hund, gesehen hatte, irritierten ihn diese vielen Hunde sehr – er fletschte die Zähne, begann zu knurren und musste bemerken, dass auch alle anderen Hunde, links und rechts von ihm, vorne und hinten und oben, dies taten. Es sträubten sich ihm die Haare, er bekam Angst und er bellte den nächstbesten Hund an, doch der bellte unverzüglich zurück und dies taten gleichzeitig alle anderen Hunde.

So sehr in seiner Angst eingefangen, konnte er gar nicht „erkennen“, dass ja außer dem eigenen gar kein fremdes Bellen zu hören war, aber er sah nur die wütenden Gesichter, die offenen Mäuler mit den blanken Zähnen rundum und allüberall. Da begann er zu laufen, langsam erst – doch die anderen Hunde liefen auch; er beschleunigte, lief schneller und schneller – doch die ganze Meute der Hunde lief ebenfalls schneller und blieb ihm stets auf den Fersen – nicht um alles in der Welt konnte er sie abschütteln. Riesiges Entsetzen, panische Angst packte den Hund, er rannte und rannte, setzte zu gewaltigen Sprüngen an, doch die keuchende Meute blieb dicht hinter ihm.

So jagte er Stunden um Stunden im Kreis herum und stürzte schlussendlich im Raum zusammen, von niemandem anderen gehetzt als nur von sich selbst, von seinem eigenen Spiegel.bild.

Selbstverwirklichung und Egozentrik

Manch ego.zentrierter Mensch – nur sich selbst sehend und wie der Hund aus der Fabel in ähnlicher Weise in sich selbst gefangen und nur sich selbst ausgeliefert – möge den Mut haben, den Spiegel zu zerbrechen! Solche Scherben würden fürwahr (ihm und anderen) Glück bringen!

Albert Schweitzer hat einmal gemeint, die einzig wirklich glück.lichen Menschen, die er jemals getroffen habe, seien jene gewesen, die im Dienst an einer Sache aufgegangen seien – eine denk.würdige, nachdenkens.werte Beobachtung und Feststellung, die ich voll unterschreiben kann. Sie führt mich – abseits von Ego.Trip und Tanz um das goldene Selbst, jenseits der gegenwärtigen Narzissmus.kultur, in der viele Menschen so un.glücklich und so seelisch krank sind wie kaum je in unserer so fortschrittlichen „ersten Welt“ – zu einem Begriff und zu einer Wirklichkeit, deren Inhaltlichkeit ich für die wesent.lichste, für die wichtigste und auch schönste, für die ethisch und sozial wert.vollste Fähigkeit des Menschen überhaupt halte, nämlich die der Selbst.transzendenz.

Der Begriff hat mit dem, was man primär und spontan unter Trans.zendenz verstehen möchte – also Über.natürlich.keit oder Göttlich.keit -, nichts zu tun; es handelt sich nicht einen theologischen, sondern um einen anthropologischen Begriff und er deutetmensch.liche Existenz als ein Aus.sich.selbst.Heraustreten und ein Über.sich.selbst. hinaus.sein.Können, als Offen.heit und Öffnung auf eine Sache, auf einen Dienst, auf eine Idee, auf eine Aufgabe oder (und wesentlich!) auf einen Menschen hin.

Eine handliche und leicht merkbare Definition würde Selbst.transzendenz – etwas vereinfacht – umschreiben wollen als: Über.schreitung des eigenen Ichs, der Grenzen des eigenen Ichs.

Ich zitiere hierzu gerne den Philosophen Karl Jaspers:

„Was der Mensch ist, das ist er durch die Sache, die er zur seinen macht.“

Unvergleichlich schön und knapp drückt dies – auf mensch.liche Kommunikation bezogen – der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber aus:

„Der Mensch wird am Du zum Ich.“

Dieser Blick über sich selbst hinaus als die wesent.liche und fundamental zum Mensch.sein gehörige Fähigkeit zur Selbst.transzendenz, dieses

  • Sich.selbst.Zurückstellen,
  • An.etwas.anderes. und An.jemand.anderen.Denken,
  • dieses Sich.Verlieren, Sich.selbst.Vergessen und
  • Von.sich.selbst.abrücken.Können

ist, wie bereits gesagt, die ethisch und sozial wert.vollste Fähigkeit des Menschen überhaupt und lässt sich am besten und recht schön und anschaulich an Hand der Analogie mit dem mensch.lichen Auge erläutern:

„Nicht jedem ist bislang die Paradoxie aufgefallen, dass die Fähig.keit des Auges, zu sehen und die Welt wahrzunehmen, abhängig ist von seiner Un.fähigkeit, sich selbst wahrzunehmen.

Wann sieht das Auge sich selbst oder etwas von sich selbst? Eigentlich nur, wenn es erkrankt ist. Leide ich an einem grauen Star, dann nehme ich ihn in Form eines „Nebels“ wahr, den ich sehe; wenn ich rings um die Lichtquellen einen Hof von Regenbogenfarben sehe, dann bin ich an einem grünen Star erkrankt.

Das heißt: In dem Maße, in dem das Auge „sich“ oder etwas von sich selbst sieht, ist das Sehen auch schon gestört, ist das Auge krank.

Das Auge muss – um seiner Funktion entsprechend gut und richtig sehen zu können – sich selbst „übersehen“ können, und das normale Auge sieht sich auch selbst nicht“ (Viktor E. Frankl).

Im Analogieschluss darf man nun sagen:

Genauso verhält es sich mit dem Menschen, denn

  • je mehr er sich selbst über.sieht und
  • je mehr er sich selbst vergisst, indem er sich hingibt an eine Sache, an eine Idee, an eine Aufgabe oder an einen Sinn, an andere Menschen,
  • desto mehr ist er Mensch und desto mehr verwirklicht er sich selbst, desto identischer ist er mit sich selbst.

Aufgrund dieser Selbst.transzendenz – mittels deren er in seinem Denken, Fühlen und Handeln über sich selbst hinaus in seine Um.welt, zu seinen Mit.menschen und in das viel.fältige Reich der Möglich.keiten hinein zu greifen imstande ist – ist der Mensch erst das Wesen auf der Suche nach Sinn und wird im Grunde „beherrscht“ (in seiner Ausrichtung auf Werte) von einem Willen zu Sinn. Es ist in ihm tief verwurzelt und angeboren dieser Durst nach Sinn, der, wenn er frustriert wird, zur Verzweiflung führen kann trotz aller sonstigen Gesund.heit und vieler Reichtümer.

Ich wehre mich hartnäckig gegen ein so genanntes reduktionistisches Menschen.bild, das den Menschen sehen will als ein Wesen, das (nach der Lern.theorie) ständig auf innere und äußere Reize reagiert und von diesen Reizen abhängig ist, oder als ein Wesen, das (nach der Tiefen.psychologie) stets seine in ihm aufgestauten Triebe und Bedürfnisse ab.reagieren möchte und mehr oder minder hilf.los alledem ausgeliefert ist.

Dem gegenüber bemühe ich mich stets, einen Menschen zu zeichnen als ein in die Welt hinein agierendes Wesen, das weder vollkommen abhängig ist von der inneren oder äußeren Reiz.welt noch von seinen Trieben und Bedürfnissen, sondern diesen Kräften zu trotzen imstande ist und in geistiger Freiheit aktiv und kreativ an der Gestaltung seines Lebens mitwirken kann, und dies auch tut – er ist nicht in sich selbst eingekerkert nach narzisstischen Mustern:

Der Narzissmus als aufgeblähte Selbst.bezogenheit

(als übertriebene Selbst.sucht, Selbst.besetzung, Selbst.gefälligkeit, Selbst.bewunderung) hat viele Gesichter und ist die Krankheit von heute – er kommt gerade im Bereich der religiösen Heils.suche und der Suche nach dem je persönlichen Seelen.heil sehr häufig vor und wird manifest im über.betonten Rückzug auf die Innerlich.keit, in der Rede von der Selbst.findungs.suche, im stolzen (lauten) Bekenntnis aus.schließlicher (und gar bedingungs.loser) Liebes.fähigkeit, letztendlich in einem penetranten Subjektivismus. Oftmals kommt es zu einer Über.betonung des Affektiven, quasi zu einer neuen Sentimentalität, d.h. es zählt dann nur noch, was ich fühle oder erlebe oder wie es mir geht und was ich jetzt spüre. Die Psychologie selbst hat indes lange Zeit angenommen und glauben machen wollen, all dies sei normal und dem Menschen gehe es tatsächlich aus.schließlich um sein ICH, um sein SELBST – ich glaube das nicht.

Im Wesent.lichen, in seinem Wesens.kern ist der Mensch nämlich an etwa außerhalb seiner selbst Liegendem interessiert, das er jeweils als seinen gegenwärtigen Sinn betrachtet.

Aber nur, wenn man diese Selbst.transzendenz ernst nimmt und wenn man ihr – mit ihrem Streben, Anteil zu nehmen an der Welt und sich ihr zu verantworten in der offenen Bereit.willig.keit, sich etwas Wert.vollem, eben dem Sinn zu widmen – die fundamentale und zentrale Position im Menschen.bild einräumt, nur dann kann man auch solchen so sehr irre.führenden Schlagworten wie dem Ruf nach Selbst.verwirklichung kritisch entgegentreten und sie in ihren Fehl.interpretationen und Auswüchsen als Plädoyer für (un.gezügelten) Egoismus (geißeln und) ablehnen.

Dieses Selbst.verwirklichungs. und Selbst.findungs.konzept ist streckenweise recht frag.würdig geworden.

Wo soll „etwas“ verwirklicht werden, was gar nicht da ist, oder wo „etwas“ finden, wo nichts vorhanden ist – so könnte man ironisierend fragen und müsste in der Antwort.gebung weit in die Persönlichkeits.bildung ausgreifen.

  • Es sagte mir einmal eine gebildete Frau: „Seit 20 Jahren such ich mich selbst und finde nichts“,
  • und eine andere Dame schrieb mir: „Als ich aufhörte, mich zu suchen, begann ich, mich zu finden.“

Dies war Selbst.findung nicht auf der Diritissima, nicht über den direkten Weg der Selbst.suche, sondern über den heilenden Weg der Sinn.suche.

Wenn also, so möchte man fragen, die Selbst.findung – die Identität mit sich selbst – so kompliziert ist, wie steht es dann mit der so genannten Verwirklichung meiner selbst?

Wer sich auf diesen Weg begibt, weiß er überhaupt, was dieses Selbst ist, das es zu verwirklichen gilt, und ist er sich klar darüber, zu was hin, zu welchem Grad, zu welcher Höhe, wohin überhaupt es zu verwirklichen ist?

Das Prinzip der Selbst.verwirklichung hat anderen Prinzipien (wie dem der Emanzipation oder Gleichberechtigung) voraus, dass es sich als Ziel nicht die Beseitigung eines schlechten Zustands, sondern etwas Positives und Großartiges, die Verwirklichung des eigenen Selbst, setzt. Es scheint aber ein rein formales Prinzip zu sein, und das heißt dann: Worin auch immer das Selbst bestehen mag, seine Verwirklichung scheint gut, erstrebens.wert zu sein – so die übliche Meinung.

Das kann mitunter gefährlich sein, wenn beispielsweise das Recht auf Selbst.verwirklichung der Frau auch den Anspruch darauf enthält, sich selbst un.gestört von un.gewollten Schwangerschaften zu verwirklichen, also unter diesem Aspekt bedenken.los abzutreiben.

Sollen der Lust.mörder und Tier.quäler ihr Selbst doch besser nicht verwirklichen?!

Oder der Trompeter, der sich darauf beruht, er möchte doch sein Selbst verwirklichen, wenn er in der Frühe um vier Uhr in einem Häuserblock den Wild-Cat-Blues zu schmettern anhebt?

Endet die eigene Selbst.verwirklichung dort, wo die eines anderen anfängt, oder darf sie überhaupt nur innerhalb eines rechts.staatlichen Gesetzes.rahmen zugelassen werden, der den Waffensammler bremst und zurückpfeift, dem zu seinem Glück nur noch die Wasserstoffbombe in seinem Vorgarten abgeht? Ich will nicht bewusst polemisieren, aber vielleicht vermögen die Fragen doch etwas das Problem.bewusstsein zu schärfen!

Der Begriff der Selbst.verwirklichung ist in den 30er Jahren von Kurt Goldstein geprägt,

in den 50er Jahren als Selbst.aktualisierung von Abraham Maslow zur Beschreibung der höchst.möglichen Erfüllung mensch.lichen Daseins verwendet und anschließend populär wissenschaftlich stark verwässert und entstellt worden.

Ich weiß sehr wohl, dass die Aufforderung zur Selbst.aktualisierung (als Streben nach Wachstum, Un.abhängigkeit, Freiheit, Selbst.verantwortlich.keit und Entfaltung vorhandener kognitiver oder verhaltens.dispositioneller Potentiale), dass Erich Fromms Appell zur Selbst.verwirklichung oder Charlotte Bühlers Kern.tendenz der schöpferischen Persönlichkeit nach Selbst.erfüllung keineswegs als Plädoyer für un.gezügelten Egoismus miss.verstanden werden dürfen, aber eben genau so wurden diese Modelle – und daher meine etwas abwertend ironisierende Skepsis – in Tausenden von (Persönlichkeits.) Seminaren und Abertausenden von Taschenbuchausgaben mit fertigen Rezepten und Anleitungen zum Sich.selbst.Behaupten und zur Durchsetzung der eigenen Bedürfnis. skala wie Evangelien mit „göttlichem“ Wahrheits.anspruch verkauft.

Jede Beratungsstelle wird die Rechnung aufmachen können, wie viel Streben nach vermeintlicher Selbst.verwirklichung vor dem Scheidungsrichter endete, wie viel übertriebene und krampf.haft übersteigerte Betonung von Eigen.interessen zur Liebes.un.fähigkeit geführt hat, wie viele Familien.zusammenbrüche auf das Konto einer (pseudo.)psychologisch untermauerten und exzessiven Emanzipations.bewegung gingen und – last but not least – wie viele Kinder unter dem un.reifen Egoismus ihrer Eltern oderanderer wichtiger Bezugs.personen gelitten haben.

Die von der psychologischen Wissenschaft initiierten Wachtums.motivationen sollten den Menschen über sich hinaus zu umfassenderen Werten führen und ihn auf wichtige Lebens.aufgaben ausrichten – es sollte um Allo. und Altero.Zentrik (vom griech. állos und lat. alius, alterius = der andere) gehen, nicht um bloße Ego. und Auto.Zentrik (vom griech. autós = selbst, eigen), um das, was ich fühle und spüre, was (nur) mir gut und wohl tut (was alles recht nahe beim Narzissmus angesiedelt ist)!

Zu jedem Zeitpunkt mag gelten:

Solange Selbst.verwirklichung als reines Bedürfnis angesehen wird, das auszureagieren und zu stillen wir ein Recht und einen Anspruch hätten (generell!) und das nachgerade einklag.bar wäre gegenüber unserer Um. und Mit.welt mit ihren Nötigungen und

Zwängen, so lange befinden wir uns auf einem Weg, der überall sonst hinführt, nur nicht dorthin, wohin wir eigentlich gelangen möchten, oder gar sollten.

Aber das ist wiederum eine Frage des Menschen.bildes, die Frage also nach der zwangs.läufigen Reaktion auf Reize, nach der notwendigen Ab.reaktion aufgestauter Trieb.bedürfnisse, dem Ausgeliefert.sein an diese Trieb. und Bedürfnis.potentiale oder aber

die Frage nach dem Bild vom Menschen als einem in die Welt hinein agierendem Wesen, das, weil nicht vollkommen abhängig von äußeren Reizen und inneren Trieben und Bedürfnissen, nicht wie eine Marionette an den Schicksals.fäden aus Um.welt und Erb.gut zappelt, sondern kraft seiner geistig.noetischen Dimension, der Trotz.macht des Geistes, „nein“ zu alledem sagen kann, sich von sich selbst nicht alles gefallen zu lassen braucht und immer neu – stündlich und augenblicklich – entscheidet, was und wer er ist und wird, indem er nach Sinn auslangt, also Werte verwirklicht.

Die richtig verstandene Selbst.verwirklichung ist,
so meine ich,
nur zu erreichen über eine Wert.verwirklichung:

Die sinn.vollen Aufgaben, die ein Mensch zu den seinen macht, sie sind es, die ihn zu seinem wahren Selbst finden lassen.

Das ist Werte.verwirklichung, im Zuge derer sich die Selbst.verwirklichung als eher un.beachtetes „Neben.produkt“ von ganz alleine einstellt – so auch abzulesen an den wirklich großen Persönlichkeiten der Geschichte, vielleicht auch der Gegenwart oder unserer un.mittelbaren Umgebung.

Solche Menschen sind für mich ein Denkmal dafür, dass mensch.liches Leben dann gelingt und „glückt“ (Glück auch als „Nebenprodukt“ einer anders motivierten Aktivität, als Ergebnis und nicht direkt erstrebtes Gut!), wenn der Mensch Sinn.volles realisiert, indem er Wert.volles verwirklicht.

In diesem Sinne schrieb auch der Philosoph Reinhard Löw:

„Von daher wird dann auch klar, dass in einer recht verstandenen Selbst.verwirklichung erst einmal anspruchs.volle Ziele, Werte zu verwirklichen sind, also etwas anderes als das Selbst, und dass erst aus einer gewissen Distanz heraus die Rede davon sein kann, dass damit außerdem auch ein Selbst verwirklicht wurde.“

Selbst.verwirklichung ist demnach nur zu haben um den Preis der Selbst.transzendenz, was eigentlich auch für die heute so viel strapazierte Identität (und Authentizität) gelten mag:

In der Hin.gabe an eine Auf.gabe, im Dienst an einer Sache oder einer Person, weiß ich und spüre ich, wer ich zuinnerst bin.

In dieser Aufgaben., Sach. und Personen.orientierung (= Wert.orientierung) fällt mir die Identität in den Schoß, die „Suche“ nach ihr gerät mir zumindest nicht zum Problem.

Transzendenz Licht Der Weg zu seelischer Gesund.heit, zu Ausgeglichen.heit und innerer Balance, der Weg auch zu Glück und Zufrieden.heit

führt meines Erachtens nur über die Selbst.transzendenz als der (manchmal sehr notwendigen) Abkehr des Menschen von sich selbst und beherzt.couragierten Hin.wendung zu Auf.gaben, die zu erfüllen sind und deren Erfüllung gerade auf uns wartet.

Hier wächst der Mensch über sich selbst und über seine Un.zulänglich.keiten hinaus, hier braucht er keine Zipperlein und Wehwehchen als entschuld(ig)ende Alibis, hier konzentriert er sich mit ganzer Kraft auf etwas außerhalb seiner selbst Liegendem und wird fähig, jemandem oder einer Idee zu.liebe (nachgerade ein Fremdwort für viele!) einen Verzicht zu leisten.

Er fühlt sich imstande, in die Um.welt und zu den Mit.menschen, in das tausend.fältige Reich der Möglich.keiten hineinzugreifen, um einige wenige zu realisieren. hinein, weil er auch fähig ist, Abstand zu haben oder zu schaffen zu sich selbst und zu den eigenen Gefühlen.Hier klebt der Mensch nicht am eigenen Empfinden, an der eigenen Lust.befriedigung,an der (über.mäßigen) Beobachtung körper.licher oder seelischer Zuständlichkeiten. Er schafft sich auf der geistigen Ebene Abstand zur eigenen Verzagt.heit und Ängstlich.keit. Er kann auch lernen, über sich und seine Schwachstellen, über seine Probleme und sogar Leiden zu lächeln, sie zu ironisieren bis in die Selbst.persiflage.

Er hat weder ein „Brett“ noch den Spiegel (seiner selbst) vor dem Kopf oder direkt vor der Nase, sondern bedient sich eines Fernrohres, geeignet, (s)eine vielleicht durch über.mäßige Selbst.beobachtung gänzlich aus den Augen verlorene Innen. und Außen.welt wieder ins Visier zu bekommen.

Selbst ein Schwer(st)kranker ist zur Selbst.transzendenz insofern noch fähig, als es ihm möglich ist, die Gedanken von seinem bevorstehenden Ende weg. und hin.zu.lenken beispielsweise auf die grandiose Sinn.fülle seines vergangenen Lebens und damit auf die Un.auslöschlich.keit all dessen, was er in diesem seinem Leben gewollt, geliebt, getan und erreicht hat.

Ich denke in diesem Zusammenhang an jenen 60jährigen Mann, der mit der Diagnose „un.heilbarer Krebs, Lebensfrist noch wenige Monate“ ins Krankenhaus eingeliefert wurde und nach dem ersten Schock sagte, er wolle seine letzten Monate nicht mit Jammern und Selbst.mitleid vergeuden.

So begab er sich denn auf die onkologische Station und ging in der Abteilung für un.heilbar Krebskranke von Bett zu Bett, spendete durch seine verständnis.vollen und in die Tiefe gehenden Gespräche Trost und gab die Hilfe, die nur ein Blinder anderen Blinden, ein Rollstuhlfahrer nur seinesgleichen, ein Krebskranker anderen Schicksalsgenossen zu geben vermag.

„Das Leben“, so sagte er einmal, „hat nicht aufgehört, einen Sinn zu haben, nur weil wir wissen, was andere Menschen nicht wissen: wie lange es nämlich noch mit uns dauern wird.”

An diesem Manne zeigt sich, was Selbst.transzendenz ist, und auch, wie hier in der Realisierung von Einstellungs.werten eine „Niederlage“ in einen Sieg, eine Tragödie in einen mensch.lichen Triumph umgeformt wird.

Ich halte die Selbst.transzendenz fürwahr für das humanste und edelste Charakteristikum des Menschen.geschlechtes überhaupt, ganz abgesehen davon, dass sie auch therapeutisch sehr ergiebig ist, und dies empirisch nachweisbar.

Man braucht nicht nur an den krebskranken Mann zu denken, generell erfahren auch wir das allmähliche Un.wichtig. Werden der eigenen Problematik in dem Maße, in dem etwas außerhalb des Selbst Liegendes an Wichtigkeit gewinnt.

Da ist es direkt Bosheit, Blasphemie und Hohn, wenn jüngst ein Kollege vor versammeltem Publikum auf einer Tagung mit makabrem Wortspiel sagte: „Wer selbst.los ist, ist sein Selbst auch bald los“. Man kann diesem Menschen nur wünschen, er möge nie in eine

Lebens.situation geraten, in der er den Beistand von jemandem braucht, der selbst.los genug ist, ihm diesen Beistand zu gewähren.

Wenn in meinem Beitrag hier mehr oder minder emphatisch und eindringlich bislang von Selbst.transzendenz die Rede war und wenn ich am liebsten mit Fanfarenklängen zur Erziehung zur Selbst.transzendenz aufrufen möchte, dann meine ich durchaus nicht, man müsse die Selbst.interessen verneinen und dürfe sich selbst nicht mögen.

Aber solche Erziehung wäre die beste aller guten Erziehungen, sie wäre Lebens.hilfe schlechthin.

Zahlreiche Testreihen, auch klinische, beweisen, dass innere Gesund.heit und Stabilität eines Menschen damit stehen und fallen, wie sinn.erfüllt sein Leben für ihn ist. Aber nur ein Leben, in dem viele Werte verwirklicht werden, indem viel und oft und nahezu permanent trans.zendiert wird auf Sinn.verwirklichungs.möglichkeiten hin im Anruf der Welt und der Situationen, nur ein solches Leben ist durchgängig ein sinn.erfülltes Leben, und: Nur ein sinn.erfülltes Leben lohnt zu leben!

Freilich, eines ist notwendig, nämlich: dass wir uns (wenigstens!) auf den Weg machen, den Sinn zu suchen – er fällt uns nicht einfach zu.

Man kommt an kein Ziel, ohne den Weg zu gehen, und man ändert sich erst, wenn ein neues Ziel wichtiger wird als das bisherige.

Für manchen Menschen mag der Sinn seines Lebens darin liegen, immer erneut nach diesem Sinn zu suchen – das kann ein schmerzhafter Prozess sein, aber solches Leben ist erfüllt von überbordender Dynamik, es ist Abenteuer.

Das Suchen zeugt immer davon, dass hier ein Mensch noch lebendig und nicht in der Gewöhnung ver.krustet ist, dass er sich nicht aufgegeben hat.

Wenn wir uns das Suchen vorstellen wie eine Reihe konzentrischer Kreise und uns bemühen, zum Kern (unseres Lebens) vorzudringen, dann kann es uns durchaus (immer wieder) passieren, dass wir dort suchen, wo der Kern gar nicht zu finden ist – wenn wir dies einsehen, ist dieser Irr.weg oder Um.weg oder diese Sack.gasse vielleicht sogar hilf.reich: was uns nicht weiter.bringt, können wir los.lassen:

Wie der einzige Weg aus einer Sack.gasse die Um.kehr ist,
so muss man, um etwas „anderes“ zu finden, immer erst etwas los.lassen,
wie der Trapezkünstler im Zirkus, der sein Trapez rechtzeitig loslassen muss,
um das andere fassen zu können.

Homo viator – der Mensch unterwegs, und dies immer auch mit der Frage nach einem Sinn, sowohl in den Ver.irrungen und Um.wegen als auch in den langweiligen breiten Straßen unseres Alltags und in den Sack.gassen unseres lebens; unterwegs, ohne zu vergessen, für welche Ideale es sich lohnt zu leben – unterwegs, ohne die großen Träume zu vergessen, die wir von unserem Leben haben:

„Wage zu träumen von dir und dem, was du nicht bist – Wage zu träumen von dir und dem, was du nicht hast – Wage zu träumen von dir, wie du wirklich bist – Wage zu träumen von dir – und nach dem Erwachen verwasche nicht dein traum.haft wahres Gesicht“ (Margot Bichel).

Zum Schluss noch:

Selbst.transzendenz kann und will Selbst.bezogenheit durchbrechen, und wenn sie auch zur LIEBE befähigt, ist diese weder Selbst.verlust noch Selbst.besetzung, weder Abhängig.keit und Unter.ordnung noch Sich.verdankt.Wissen. Sie wird im eigenen Geben, Teilen und Mitteilen erfahren, meint gerade nicht die Erwartung des Geliebt.werdens und wurzelt im Erleben von Fülle‚ die überfließen und sich mitteilen will. Ich halte sie für die Fähig.keit, sich mit all seinen geistigen, emotionalen und körperlichen Kräften eins zu wissen und sich in diesem positiven Bezug zu sich selbst – in dieser „Selbst.liebe“ – zugleich eins zu wissen mit den anderen

Menschen und der Natur, ohne dabei sich selbst ganz aufzugeben oder den anderen zur Aufgabe seines Anders.seins zu bewegen. Selbst.transzendenz und Liebe haben die Eigenart, dass sie keine Energie verbrauchen, sondern eine Energiequelle darstellen und in dem Maße wachsen, als sie gebraucht werden.

20. Februar 2013
(c) Dr. Bernhard A. Grimm
Autor

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Dr. Grimm Dr. phil. Bernhard A. Grimm

ist Philosoph, Theologe und Althistoriker und beschäftigt sich – nach seiner Tätigkeit in Lehre und Forschung an der Universität München und im Management eines mittelständischen Unternehmens – seit 25 Jahren als selbständiger Dozent in Seminaren, Kolloquien, Vorträgen und Publikationen mit Fragen der Persönlichkeitsbildung, Führungsethik, Sinnfindung, Wertorientierung (Logotheorie) und Spiritualität. Er ist Autor von sieben Sachbüchern (so z.B. „Ethik des Führens“, „Macht und Verantwortung“, „Die Frau – der bessere Mensch“, „Lust auf Leben – Leben braucht Sinn“, „Älter wird man in jedem Alter“).

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