Über die Bedeutung des Sich Mitteilens

Mann auf Felsvorsprung

Sich Mitteilens Mann auf FelsvorsprungBedeutung und Kunst des Sich Mitteilens

Zur Einstimmung möchte ich aus einem Aufsatz von Heinrich von Kleist zitieren, den ich aus meiner Schulzeit kenne und den ich neulich zufällig wieder gefunden habe. Der Text heißt: „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“. Die Überschrift enthält im Grunde genommen bereits die Kernaussage, die an einer Stelle so zusammen gefasst ist: „Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber sinnreicher Freund, mit dem nächsten Gedanken, der dir aufstößt, mit jemand darüber zu sprechen… Der Franzose sagt, der Appetit kommt beim Essen und dieser Erfahrungssatz bleibt wahr, wenn man ihn parodiert und sagt, die Idee entwickelt sich beim Sprechen.“ aus Heinrich von Kleist, Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden

Ich finde, er bringt das schön auf den Punkt: Eine Idee entwickelt und entfaltet sich oft erst beim Sprechen! Ein wichtiger Aspekt, der für das Sich-Mitteilen spricht ist der Umstand, dass wir beim Sprechen wach sein müssen und in dieser Wachheit recht gut unser geistiges Potenzial anzapfen können.

Dies können wir häufig beobachten. So entfalten etwa viele buddhistische und auch andere spirituelle Lehrer ihre besten Fähigkeiten im unmittelbaren Ausdruck dessen, was im Moment ist. Aufzeichnungen frei gehaltener Reden oder Vorträge zeichnen sich durch eine Frische und Lebendigkeit aus, die Büchern, die in mühevoller Arbeit am Schreibtisch entstanden sind, oft fehlt.

Nach dieser kleinen Einleitung versuche ich jetzt, Bedeutung und Aspekte des Sich-Mitteilens von unterschiedlichen Seiten so übersichtlich wie möglich darzustellen. Lass Dich locken, einfach mal mitzugehen, auch wenn Du das eine oder andere nicht oder noch nicht verstehst.

1) „Mandala-Modell“

Als kleine Hilfskonstruktion stellen wir uns unser Selbst in Form eines Mandalas oder einer Kugel vor: in der Mitte ist ein Kern. Dieser Kern ist von vielen Schichten / Kreisen umgeben. Auf unserer Reise durchs Leben, zu uns selbst oder innerhalb unserer persönlichen Entwicklung bewegen wir uns von außen nach innen, aber natürlich auch immer wieder von innen nach außen.

Vereinfacht drückt das Mandala-Modell aus:

Der innerste Kern entspricht unserem Selbst; alle darüber liegenden Schichten machen unsere Persönlichkeit aus, die sich aus angenommenen Verhaltens- und Denkweisen sowie Charakterzügen zusammensetzt.

Wir können uns vorstellen, dass wir uns in der äußersten Schicht vornehmlich definieren bzw. identifizieren über äußere Dinge wie unseren Beruf, unseren sozialen Status, vielleicht sogar über unser Auto. Gelangen wir weiter nach innen, identifizieren wir uns über unsere Auffassungen, unsere Glaubenssätze, über unsere Art, die Welt zu sehen. Auch in diesen weiter innen liegenden Schichten bewegen wir uns im Bereich der Polaritäten, d.h. wir gehen im Geiste immer noch von der Vorstellung aus, es gäbe so etwas wie “gut“ oder “schlecht“, “richtig“ oder “falsch“. Ganz innen im Kern selber jedoch, da gibt es keine Polaritäten mehr, sondern nur noch reines Bewusstsein.

2) Überlebens-Schichten

Stellen wir uns also vor, dass diese äußeren Schichten aus einer Unzahl vonProgrammen, Vorstellungen, Konditionierungen bestehen, also Produkte unserer Erziehung und persönlichen Geschichte, aber auch unserer gesamten Menschheitsgeschichte. In ihnen ist enthalten, was „richtig“ und „falsch“, „oben“ oder „unten“, „gut“ und „böse“, „hell“ oder „dunkel“ sein soll.
Kurz: Hier befinden sich alle Verhaltensweisen, die im weitesten Sinne unserem Überleben dienen. Diese haben wir uns im Laufe unseres Lebens zueigen gemacht; zuerst, um innerhalb unseres Familiensystems zu überleben, später dann, um auch in anderen Zusammenhängen unserer Gesellschaft möglichst unbeschadet „durch zu kommen“.

Der Begriff des Überlebens ist dabei in einem weiteren Sinne zu verstehen. „Angesehen“ zu sein im Sinne von dazu zu gehören war beispielsweise bei unseren Vorfahren überlebensnotwendig; angesichts der Knappheit der Ressourcen und der Strenge und Enge der jeweiligen Verhaltenskodices war es über viele Jahrtausende hinweg tatsächlich eine Frage des Überlebens, dafür zu sorgen, von den übrigen Gesellschaftsmitgliedern akzeptiert zu werden und angesehen zu sein. Die Strafe der Verbannung oder des Ausgestoßen werdens bzw. des Vogelfrei-Seins kam oft einem Todesurteil gleich. Sich an gesellschaftlich sanktionierte und genau vorgegebene Verhaltensweisen anzupassen war damit buchstäblich eine Frage des Überlebens.

Diese Überlebensstrategie findet sich nicht nur in unserer Gattungsgeschichte, sondern auch in unserer individuellen Biographie. Wir tragen diesen „Anpassungsdruck“ auf einer tiefen archaischen Ebene noch immer in uns. Heutzutage droht uns nicht mehr der physische Tod, wohl aber drohen auch heute noch Ausgrenzungen, Verleumdungen, Beschämung, gesellschaftliche Ächtung o.ä., wenn wir uns „daneben“ benehmen, wenn wir in einer unpassenden Form unsere Wahrheit sagen. Auf einer unbewussten Ebene wurden und werden diese Sanktionen als lebensbedrohliche Bestrafungen empfunden und zu vermeiden versucht.

Als Kinder haben wir bereits begonnen, die Programme, Konditionierungen und Überzeugungen unserer Eltern, unmittelbaren Verwandten und sonstiger Erziehungspersonen zu übernehmen, uns in jedem Moment zu zensieren, damit wir das erwünschte Verhalten an den Tag legen konnten bzw. um das unerwünschte Verhalten zu unterlassen, schließlich wollten wir doch einfach geliebt und anerkannt sein. Im Laufe der Jahre ist „… die Hemmung … zur Routine, zu einem reflexhaften Verhalten geworden. … Zuerst waren wir nicht gewahr, was verdrängt wurde, anschließend sind wir nicht mehr gewahr, wie wir verdrängen.“

Perls, Goodman, Hefferline: Wiederbelebung des Selbst, 1979, S. 14ff

Auf der Erscheinungsebene bemerken wir die Wirksamkeit dieser Programme und Konditionierungen immer dann, wenn wir mit einem automatischen, gestanzten, zur Routine gewordenen Verhalten auf eine Situation schnell reagieren, anstatt angemessen auf sie zu antworten, indem wir mit ihr schwingen. Dieses automatisierte Verhalten haben wir uns angeeignet, um unser „wahres“ Selbst zu verbergen. Unter anderem haben wir z.B. gelernt, welches spontane Verhalten „gefährlich“ ist oder wo Zurückhaltung angezeigt ist, weil uns sonst Missbilligung, Ablehnung, Liebesentzug o.ä. entgegengebracht wird. Das heißt, wir haben es gelernt zu verbergen, welche Gefühle und Regungen in unserem tiefsten Inneren sind. Je länger und je gekonnter wir dies schon tun, umso automatischer läuft dieser Prozess ab, ohne dass wir ihn bewusst erleben. Vielleicht sogar so automatisch, dass wir selber nicht einmal mehr eine Ahnung haben, welche Gefühle sich in unserem Innersten abspielen.

3) Versperrter Zugang

Diese Schichten von festen, automatischen Verhaltens- und Reaktionsweisenbilden in sich und zusammen einen festen Ring um unseren inneren Kern. Der Grad der Versteinerung fällt zwar individuell unterschiedlich aus. Immer jedoch behindert, erschwert oder versperrt dieser feste Ring den Zugang zu unserer Mitte, unserem Wesenskern, unserem Höheren Selbst. Oft haben wir den Zugang gänzlich verloren, wir wissen gar nicht mehr, dass es diesen Ort in uns gibt. Wir sehen also zunächst nicht einmal einen Sinn im Suchen, da wir gar nicht wissen, dass es etwas zu finden gibt. Es gibt vielleicht noch so etwas wie eine Ahnung, dass „etwas“ fehlt, so ein vages Gefühl von Getrennt-sein. Wir wissen und spüren es in der Regel nicht, dass wir uns meist auf der Ebene des Über- Lebens befinden, anstatt zu leben.

4) Was tun?

Auch wenn wir nicht wissen oder ahnen, was sich in unserer Mitte für ein Schatz verbirgt, wir können mit dem Entäußern, dem Sich-Mitteilen anfangen. Beim Reden bringe ich etwas von innen nach außen und stelle dabei eine Verbindung von mir zur Welt her. Es findet eine Transformation vom Monolog zum Dialog statt. Menschlicher Kontakt entsteht erst, wenn die innere Welt nicht in ihrem eventuell diffusen inneren Monolog gefangen bleibt, sondern auf den anderen oder auf die Welt zutritt. Durch die Umsetzung in Sprache sind wir gezwungen, uns die vorher vielleicht abgespaltenen Teile zu eigen zu machen, sie konkret und verständlich und nachvollziehbar zu machen. Unser Reden übersetzt unseren inneren Monolog in eine Botschaft, die im Prozess dieser Umwandlung oft auch für uns selbst zu mehr Verständnis und mehr Klarheit unseres Innenlebens führt (siehe das Eingangszitat von Heinrich von Kleist).

Insbesondere durch „unvorsichtiges“ Reden erlauben wir der Intuition und Spontaneität, sich zu entfalten und die äußere versteinerte Form beweglich zu machen. Das nennen wir Sich-Mitteilen. Diese Methode ist so einfach, dass sie in einem Satz ausgedrückt werden kann: Bring das zum Ausdruck, was Du im jeweiligen Moment denkst, fühlst und empfindest. Sag es einfach. Egal ob es passt. Egal, ob Du damit ankommst oder nicht. Egal, ob Du Angst hast. Egal, ob es Dir peinlich ist. Egal, ob es etwas von Dir oder über andere ist.

In den Gesprächen mit Gott heißt es in diesem Zusammenhang:

„Also ja, bring das, was du deine „negativsten“ Gefühle nennst, zum Ausdruck, aber nicht auf zerstörerische Art. Wenn du es unterlässt, deine negativen Gefühle zu „äußern“ (das heißt, nach außen zu bringen), bringst du sie damit nicht zum Verschwinden, sondern du behältst sie in dir. Im Innern behaltene Negativität schädigt den Körper und belastet die Seele.“

Neale D. Walsch, Gespräche mit Gott, Band. 2, S. 41/42

5) Wozu sich ent-äußern?

Sich-Mitteilen hat die Funktion, Dich immer wieder leer und offen für Neues zu machen. Häufig ist es nicht notwendig, mit diesem „Material“ anschließend etwas zu tun, es zu analysieren. Meist genügt es, das Risiko eingegangen zu sein, für einen Moment ganz Du selbst gewesen zu sein, ganz das zum Ausdruck gebracht zu haben, was Deine Wahrheit in diesem Moment war. Es geht nicht darum, mit dem Ausgedrückten Recht zu haben oder zu bekommen oder Einfluss auszuüben. Das Aussprechen dient lediglich Deiner Befreiung von Ungesagtem, Gestautem, Zurückgehaltenem. Und es dient dazu, mit der Welt um Dich herum in Kontakt zu treten. Beim Sich-Entäußern gibt es nichts zu erreichen: Du sagst Deine persönliche Wahrheit. Was Dein Gegenüber damit tut, ist seine/ihre Entscheidung und Verantwortung. Wenn Du mit einer Beobachtung oder einem Kommentar eine Erwartung verbindest, z.B. der andere möge sich sofort dieser Argumentation anpassen und sich ändern, dann bist Du nicht mehr frei, sondern fixiert auf ein bestimmtes Ergebnis.

6) „Angemessenheit“

Intuitiv wissen wir, dass es unangemessen wäre, jemandem im Zugabteil zu sagen, dass wir seine Brille scheußlich finden. Genau so intuitiv wissen wir aber auch, wenn wir uns einfach nur drücken bzw. genau spüren, dass es angemessen und notwendig wäre, zu sagen, was wir zu sagen haben. Ein Kriterium dafür ist, ob unser Kontakt, unsere Lebendigkeit zu unserem Gegenüber durch das Nicht-Sagen begrenzt ist. Und manchmal verändern sich Gefühle in uns selbst, ohne dass wir sie ausdrücken, einfach nur weil wir sie ganz zulassen:

„Ist euer erstes Gefühl negativer Art, dann reicht häufig die bloße Tatsache, dass ihr dieses Gefühl habt, schon aus, um sich davon zu verabschieden. Wenn ihr die Wut habt, den Ärger habt, den Abscheu habt, den Zorn habt, das Gefühl, den anderen auch wirklich verletzen zu wollen, als euer eigen anerkennt, dann könnt ihr auch dieses erste Gefühl als nicht das, was ihr sein wollt, ablehnen.“

Neale D. Walsch, Gespräche mit Gott, Band 1, S. 198

7) Schnell, spontan und aufrichtig

Beim Mitteilen ist es günstig, möglichst wenig Vorsicht walten zu lassen, also möglichst schnell und spontan einem Redeimpuls zu folgen. Das heißt mit dem Reden zu beginnen, ohne vorher im Einzelnen genau zu wissen, was wir sagen wollen. Dabei können wir beobachten: je schneller und spontaner wir mit unseren Mitteilungen werden, umso leichter können wir unseren äußeren Ring überlisten. Denn Schnelligkeit und Spontaneität sind unserer verinnerlichten Vorsicht und unserem Sicherheitsstreben entgegengesetzt.

Natürlich sind wir beim Aussenden unserer Botschaften auch deshalb so zurückhaltend, weil wir uns vor den Antworten und Reaktionen der anderen fürchten. Nach dem Motto „Ich tu Dir nichts, Du tust mir nichts“ verhalten wir uns angepasst und versäumen so einen wichtigen Aspekt unserer Weiterentwicklung. Natürlich kann es kränkend sein, wenn man von anderen unangenehme Dinge gesagt bekommt. Wenn etwas weh tut und/oder man verletzt und beleidigt ist, kommt es darauf an, sich genau mit diesem Gefühl anzunehmen.

In den „Gesprächen mit Gott“ finden sich einige aufschlussreiche Stellen zum Sich-Mitteilen, auch und gerade wenn es um Themen und Inhalte geht, die nicht so einfach zu sagen oder zu hören sind.

„Und so gibt es Dinge, die Ihr tun könnt, wenn ihr mit Schmerz und Kränkung auf das reagiert, was ein anderer ist, sagt oder tut. Als erstes sollt ihr euch selbst und dem anderen gegenüber ganz ehrlich zugeben, wie ihr euch fühlt. Davor haben viele von euch Angst, weil sie meinen, dass es sie schlecht ausschauen lässt. Irgendwie tief im Inneren habt ihr wahrscheinlich begriffen, dass es tatsächlich lächerlich ist, sich so zu fühlen. Wahrscheinlich ist es kleinkariert von euch. Ihr seid an sich darüber erhaben, vermögt es aber nicht zu ändern. Ihr fühlt eben so. Da gibt es nur eins, was ihr tun könnt: Ihr müsst eure Gefühle achten, weil ihr auf diese Weise euer Selbst achtet. Und ihr müsst euren Nächsten lieben wie euch selbst. Wie könnt ihr es je schaffen, dass ihr die Gefühle eines anderen versteht und respektiert, wenn ihr die Gefühle eures Selbst nicht achten könnt?“

Neale D. Walsch, Gespräche mit Gott, Band 1, S. 197

Und an anderer Stelle:

„Ja, die Dinge, die andere denken, sagen oder tun, werden euch manchmal verletzen, bis sie es nicht mehr tun. Das, was euch am schnellsten voranbringt, ist die totale Ehrlichkeit, die Bereitschaft, zu bestätigen, anzuerkennen und genau zu erklären, wie ihr über eine Sache fühlt. Sagt eure Wahrheit freundlich, aber voll und ganz. Lebt eure Wahrheit sanft, aber ausschließlich und konsequent. Ändert eure Wahrheit problemlos und rasch, wenn euch eure Erfahrung zu einer neuen Klarheit verhilft.“

Neale D. Walsch, Gespräche mit Gott, Band 1, S. 207

Und noch ein Zitat:

„Schau dir die fünf Ebenen des Sprechens der Wahrheit an:

• Strebe nach der Wahrheit

• sag die Wahrheit

• lebe die Wahrheit jeden Tag

• tu das für dich selbst und

• jeder anderen Person gegenüber, mit deren Leben du in Berührung kommst.

Dann sei bereit, nackt zu sein. Sei ein Vorbild für Sichtbarkeit. (…) Es geht nicht darum, dass du mit jedem kleinen Gefühl, Gedanken, mit jeder Idee, Befürchtung, Erinnerung, mit jedem Bekenntnis oder was auch immer herausplatzt.
Es geht einfach darum, dass du immer die Wahrheit sagst, dich vollständig zeigst. (…) Auf der Grundlage dieser wenigen Prinzipien wurden ganze Gesellschaften aufgebaut. Erleuchtete Gesellschaften.“

Neale D. Walsch, Gespräche mit Gott, Bd. 2, S. 285

8) Zwei Welten

Spontaneität und Intuition stellen eine Verbindung zwischen Außen und Innen her, sie bauen sowohl eine Brücke zwischen mir und der äußeren Welt als auch gleichzeitig eine Brücke von meinen äußeren, fest gewordenen Schichten hindurch zu meinem inneren Kern.

„Stellen wir uns einfach vor, es gäbe zwei Welten. Eine ist die Welt der Materie, der Zeit und des Raumes. Es ist die Welt, die wir kennen, zu der wir Zugang haben. Die Welt, die wir über die Sinne wahrnehmen. Es ist die äußere Welt – man kann auch sagen, dass es die Welt unseres Egos, unseres „Gedankenapparates“, die Welt unseres Tagesbewusst-seins ist. Daneben gibt es eine andere Welt. Sie wird von manchen bestritten, von den meisten erahnt, von vielen erlebt. Es ist der viel beschriebene “Andere Ort.“
Der Ort, an dem wir uns verbunden fühlen. Wo das Leben leicht, einfach und selbstverständlich ist. Der Ort der ständigen Ausdehnung, des Einverstandenseins.“

Gernot Brückner, Gespräche mit dem Unbekannten – die Transformation der Materie, 1989

Als Menschen leben wir in beiden Welten: mit unserem Körper, unserem Ego, unserem Tagesbewusstsein in der einen Welt, mit unserer Seele, unserem inneren Selbst in der anderen Welt. Die Grenze zwischen den beiden Welten verläuft genau durch den Menschen und wir haben das Potenzial, in beiden Welten gleichzeitig zu leben! Im Tagesbewusstsein sind wir uns der einen Welt bewusst. Wir sind sozusagen ein halber Mensch. Letztlich ist es unsere Sehnsucht, die Verbindung zwischen den beiden Welten herzustellen und aus dem halben einen ganzen Menschen zu machen.

9) Intuition

Allen Methoden ist gemeinsam, dass sie darauf abzielen, unsere Intuition zu entwickeln. Intuition hängt ganz eng mit Spontaneität zusammen, wir können sagen: Spontaneität ist eines der Werkzeuge für die Entwicklung der Intuition. Sie kann gefördert werden durch eine grundsätzliche Offenheit für Neues, Ungewohntes – eine Haltung der Unvoreingenommenheit. Diese Haltung erlaubt es, dass Dinge, Ereignisse, Wahrnehmungen usw. anders sein können, als wir glauben, als wir zu wissen meinen. Wenn wir uns genau beobachten, können wir feststellen, dass wir auf Neues, Unerwartetes zunächst fast immer mit Ablehnung, mit Dagegen-Sein reagieren.

Wenn wir uns dessen gewahr werden und uns bewusst wird, wie automatisch wir uns gegen den „Fluss des Lebens“ stellen, dann können wir anfangen, mit etwas anderem zu experimentieren: die Dinge die geschehen, die sich ereignen, mit einem „First Yes“ zu begrüßen. Als erstes mal JA zu etwas zu sagen, ist eine Haltung der Gelassenheit. Sie beinhaltet die Bereitschaft, Dinge sich entwickeln zu lassen und die Fähigkeit, anderen und sich selbst zuschauen zu können, als wohlwollend distanzierter Beobachter mitzuverfolgen, welche Gedanken und Gefühle gerade ablaufen. Wer grundsätzlich zuerst mal JA sagt, kann auch leichter gewohnte komplizierte Gedankenkonstruktionen aufgeben und loslassen. Der/die kann auch leichter spontan ausdrücken, was ihm/ihr in den Sinn kommt, ohne vorher darüber nachzudenken, ohne zu filtern und zu zensieren (ähnlich dem, was in Kreativitätstrainings, im Brainstorming oder beim automatischen Schreiben praktiziert wird).

10) Tipps für‘s Mitteilen

  • Entwickle Ehrgeiz dafür, offen zu bleiben, was immer man Dir sagt
    auch wenn Du das Gefühl hast, der andere ist Dir vielleicht nicht ganz wohl gesonnen; geh davon aus, dass er Dir trotzdem etwas zu sagen hat, Dir eine nützliche Beobachtung mitteilen kann.
  • Mach Dich so ungeschützt und „unbewaffnet“ wie möglich:
    Betrachte es als ein Privileg, von anderen zu hören, wie sie Dich sehen. Wir können uns nur sehr unzureichend selbst erkennen, wir sind dringend auf das Feedbackanderer angewiesen.
  • Gib es auf, einen guten Eindruck machen zu wollen.
    Erstens, weil es eh‘ nicht klappt. Zweitens, weil ein guter Eindruck das (vor Dir selbst) zu verbergen hilft, was Dich in einer der äußeren Schichten festhält und von Deinem anderen Ort, also Deinem Himmel, fernhält.
  • Riskiere soviel wie möglich, ohne unnötig zu verletzen.
    Von meinem ersten therapeutischen Lehrer habe ich den Satz gelernt: „No risk, no gain“ – „Ohne Risiko kein Gewinn“.
  • Lass Dich nicht entmutigen, wenn Du „daneben“ liegst.
    Die Hauptsache ist, Du hast es gewagt zu sagen, was Du fühlst, denkst und wahrnimmst.
  • Sage auch Dinge, die vielleicht hart sein können.
    Du kannst es ja vorneweg einleiten mit „Ich weiß, das klingt hart, aber ich fühle…“
  • Gib Dir einen Ruck, Deine eigene Dummheit, Unzulänglichkeiten und Peinlichkeiten mitzuteilen: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich fühle mich so doof, andere sind viel schlauer als ich, ich bin ganz durcheinander“ – erlaube Dir, solche inneren Dialoge zu veröffentlichen. Das kann sehr befreiend sein und wenn man es häufiger tut, kann es sogar Spaß machen.
  • Du kannst Dich nur von da aus mitteilen, wo Du tatsächlich bist.
    Wenn Du im Ärger mit jemandem bist, kannst Du nicht unter dem Deckmantel des Mitgefühls daherkommen. Wenn Dein Dich-Mitteilen aus dem Ort kommt, an dem Du Dich über andere erheben willst, andere oder Dich selbst klein machen willst usw., dann ist dies Deine Wahrheit. Nutz die Möglichkeit, das auch so zu offenbaren. Günstig ist es, die entsprechenden Gefühle dem anderen direkt, ehrlich und unzensiert mitzuteilen.
  • Im Zweifelsfall stell DICH selbst an die erste Stelle.
  • Die Art, uns der Welt mitzuteilen, hat Auswirkungen:
    Wie wir unsere Gefühle, Gedanken oder einen Sachverhalt darstellen, wirkt sich unmittelbar auf unser Energie-Niveau aus. Unsere Darstellungsweise entscheidet, ob wir uns selber bzw. unseren Zuhörern Energie zuführen oder abziehen.
    Mit anderen Worten: eine bestimmte Art, die Dinge mitzuteilen, macht uns eher leicht und eine andere Art des Sich-Mitteilens lässt uns eher schwer werden. Wichtig dabei ist, ob ich mich in einer selbstverantwortlichen Weise mitteile, also davon ausgehe, dass niemand draußen für meine Gefühle und Stimmungen verantwortlich ist.

Ein Beispiel könnte so aussehen:

„Ich empfinde mich in einer Krise. Meine Gedanken sagen mir … Meine Gefühle sind … All das fühlt sich nicht angenehm an, aber es ist so, wie es ist … ich habe eine Präferenz dafür, in einem angenehmeren Zustand zu sein … Ich spüre und weiß, dass ich niemanden für diesen meinen Zustand verantwortlich machen kann, als mich selbst … Ich bin bereit für Anregungen aller Art, die mir helfen können, in einen Zustand der Expansion zu kommen…
Ich kenne diesen Zustand und weiß deswegen aus eigener Erfahrung, dass es sich in diesem Zustand wesentlich besser lebt …“

Diese Art des Mitteilens kann man in vielen Punkten als verantwortlich erkennen:

  • Erstens wird in dieser Mitteilung nichts von meiner Befindlichkeit unter den Teppich gekehrt, ich gebe meinen unangenehmen Gefühlen und Gedanken Ausdruck.
  • Weiterhin übernehme ich die Verantwortung für meine Gefühle, d.h. ich sehe mich nicht als Opfer und bringe dies auch explizit zum Ausdruck.
  • Und ich spreche die Vision eines anderen Seinszustands an. Ich formuliere eine Absicht. Das heißt, ich erkenne meine Situation und die damit verbundenen unangenehmen Gefühle an, verharre aber nicht darin, sondern drücke meine Bereitschaft für eine Veränderung aus. Ich lade sogar konkrete Anregungen ein und signalisiere so meine Bereitschaft, mich zu bewegen.

11) Leichtigkeit

Man könnte nun einwenden, dass man mit einer Mitteilung wie aus unserem Beispiel nur etwas daher sagt, an das man eigentlich nicht glaubt – dass man in einem Zustand von z.B. Verzweiflung oder Depression von etwas redet, was man in dem Moment nicht wirklich fühlt. Besonders als Deutsche sind wir es gewohnt, dem Sorgenvollen, Problematischen, Leidvollen in unserem Leben eine herausragende Rolle einzuräumen und große Aufmerksamkeit zu schenken. Es frustriert uns zunächst völlig, wenn jemand sagt: „Deine Probleme interessieren mich nur am Rande, ich bin mehr an Deinen Visionen und daran interessiert, ob und wie Du in einen Zustand von Freude und Leichtigkeit zurückkehren kannst!“ Und doch kann es uns eine wertvolle Hilfe sein, wenn jemand sich nicht von unseren Problemen einlullen lässt. Mit unseren Mitteilungen können wir uns gegenseitig sehr gut unterstützen, der Schwere und dem Leiden nicht so viel Gewicht zu geben und uns in Richtung Leichtigkeit zu bewegen.

12) Another Train: Ein großartiger Song von The Poozies

The beginning is now
and will always be.
You say you lost your chance
that fate brought you defeat
but that means
nothing.
You look so sad
you‘ve been listening to those
who say you‘ve missed your chance.
There‘s another train, there always is.
Maybe the next one is yours,
get up and climb aboard another train.You feel you‘re done
there is no such thing.
Although you‘re standing on your own
your own breath is king.
The beginning is now, don‘t turn around.
Regrets of bad mistakes
will only drain you.
There‘s another train, there always is.
Maybe the next one is yours,
get up and climb aboard another train.
We crawl in the dark sometimes
and think too much
then we fill our heads
with crazy things
that only break our hearts.
And I know you‘ve seen
what the earth can do
when it‘s dragging down
another load of worrisome fools.
There‘s another train, there always is.
Maybe the next one is yours,
get up and climb aboard another train
I know it‘s hard
when you feel confused.
You can crown yourself with fears
and you feel
you cannot move.
You‘re building worlds that don‘t exist
imagination plays
the worst tricks.
Der Anfang ist jetzt
und so wird es auch immer sein.
Du sagst, du hättest deine Chance verpasst
und dass dir das Schicksal
nur Niederlagen beschert hätte,
aber das hat nichts zu bedeuten.
Du siehst so traurig aus,
du hast bis jetzt denen zugehört, die sagen,
du hättest deine Chance verpasst.
Es gibt einen anderen Zug, es gibt immer einen.
Vielleicht ist der nächste ja deiner – los,
steh auf und steig ein in einen anderen Zug.Du hast das Gefühl, du bist am Ende –
so etwas gibt es nicht.
Auch wenn du alleine da stehst,
so ist doch dein eigener Atem dein König.
Der Anfang ist jetzt – dreh dich nicht um.
Schlimme Fehler zu bereuen
wird dich nur leer saugen.
Es gibt einen anderen Zug, ( … )
Vielleicht ist der nächste ja deiner –
los, steh auf, steig in einen anderen Zug.
Manchmal kriechen wir im Dunkeln herum
und denken zuviel nach.
Dann füllen wir unseren Kopf an
mit verrückten Ideen,
die uns nur das Herz brechen.
Und ich weiß, du hast auch schon gesehen
was die Erde zu tun imstande ist,
wenn sie wieder einmal eine Ladung
Quälgeister vom Sockel runterholt.
Es gibt einen anderen Zug, ( … )
Vielleicht ist der nächste ja deiner –
los, steh auf, steig in einen anderen Zug.
Ich weiß, dass es schwer ist,
wenn du verwirrt bist.
Du kannst dir dann eine Krone aus Ängsten
aufsetzen und hast das Gefühl,
du könntest dich nicht mehr bewegen.
Du spinnst dir dann Welten zusammen,
die nicht existieren,
die Phantasie spielt dir die übelsten Streiche.

In jedem Moment ist es möglich, völlig neu anzufangen. Das Alte hinter uns zu lassen. Auf einen vollkommen anderen Zug aufzuspringen. Schwere, Leid und schlechte oder sogar traumatische Erfahrungen hinter uns zu lassen.

Und Hildegard von Bingen hat schon im 12. Jahrhundert einen eindringlichen Appell an uns gerichtet, in dem sie auf die große Bedeutung des Sich-Mitteilens, des Sich-Zeigens und unserer Wahrheit hinweist:

Wir müssen auf die Stimme unserer Seele hören

wenn wir gesunden wollen!

Letztlich sind wir hier,

weil es kein Entrinnen vor uns selbst gibt.

Solange wir uns nicht selbst

in den Augen und Herzen unserer Mitmenschen begegnen,

sind wir auf der Flucht.

Solange wir nicht zulassen,

dass unsere Mitmenschen an unserem Innersten teilhaben,

gibt es keine Geborgenheit.

Solange wir uns fürchten, durchschaut zu werden,

können wir weder uns selbst noch andere erkennen.

Solange bleiben wir allein.

Zeichen_Rubeau

Aus dem Buch “Wenn der Wind weht, setze die Segel” von Martin Rubeau, erhältlich unter www.martinrubeau.de

20. Mai 2014
Uwe Taschow

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