Die Upanischaden – zu Füßen des Meisters sitzen
„In der Brahmanstadt ist ein verschwiegener Wohnsitz, der Lotos des Herzens. Im Innern dieser Wohnung ist ein Raum, und dieser Raum birgt die Erfüllung unserer Begehren in sich. Das, was dieser Raum in sich birgt, sollte man ersehnen und realisieren. So groß wie der weit draußen liegende und unendliche Raum ist der Raum drinnen im Lotos des Herzens.
(Chandogya-Upanishad)
Am 7. März 1997 hatte ich den indischen Literaturwissenschaftler und Weisen Sri Eknath Easwaran in seinem Meditationszentrum „Blue Mountain“ (Sanskrit: Nilgiri) in Tomales, 60km nördlich von San Francisco, besucht. Er gehört für mich zu den größten Weisen, denen ich persönlich begegnet bin. Unaufhörlich hatte ich für die zahlreichen Publikationen des spirituellen Meisters Werbung gemacht, und es hat sehr lange gedauert, bis sich deutsche Verlage für sein Wissen interessierten.
Arthur Schopenhauer (Danzig 1788 – Frankfurt 1860) bezeichnete die Upanischaden als „die lohnendste und erhebendste Lektüre, die auf der Welt möglich ist.“ Es sind die Quellentexte der indischen Weisheit, in denen die Frage nach Gott und der Bestimmung des Menschen in einer wunderschönen Sprache und Klarheit beantwortet wird.
Das Sanskritwort „Upanishad“ bedeutet:
„zu den Füßen des Meisters sitzen und den Worte der Heiligen Schriften zuhören“ (Sanskrit: „Shruti“). Die Texte entstanden zwischen 700 und 200 vor Christus. Die Grundaussage aller Texte ist die Einheit von Brahman, dem göttlichen Urgrund, mit Atman, dem Geist des Individuums, wodurch man ein Jivanmukta, ein zu Lebzeiten befreiter Mensch wird. Dies entspricht genau dem Galaterbrief 5, 1 aus dem Neuen Testament: „Zur Freiheit hat Euch Christus befreit!“
Sri Eknath Easwaran (1910 – 1999), mit dem ich mich persönlich sehr eng verbunden fühle,
war ein spiritueller Meister & Mystiker, von dessen Qualität es im 20. Jahrhundert nur sehr wenige gab. Der englische Benediktinermönch Bede Griffiths (1906 – 1993) zählte dazu. Eknath Easwaran, der als Hindu in Kerala/Süd-Indien ein Jesuitenkolleg besucht hatte, war außerordentlich sprachbegabt.
Er war bereits 75 Jahre alt, als er die Übersetzung der „Upanishads“ vollendet hatte.
Das ist eine Lebensaufgabe, die einen großen Prozess innerer Reife voraussetzt. Wer dieses 420-seitige Buch mit dem Herzen liest, wird verwandelt.
„Sowohl der Himmel als auch die Erde sind in diesem Innen-Raum enthalten, und gleichermaßen das Feuer und die Luft, die Sonne und der Mond, der Blitz und die Sterne. Ob wir, auf dieser Welt, ihn kennen oder ihn nicht kennen – alles ist in diesem Innen-Raum enthalten. Befürchte nie, dass das Alter in diese Stadt vordringen wird; befürchte nie, dass dieser innere Schatz aller Wirklichkeit dahinschwinden und verfallen wird. Dieser kennt kein Altern, wenn der Körper altert. Dieser kennt kein Sterben, wenn der Körper stirbt. Das ist die wirkliche Brahman-stadt. Das ist das Selbst, frei von Alter, von Tod und Betrübnis, Hunger und Durst. Im Selbst werden alle Begehren erfüllt. Das Selbst begehrt nur, was wirklich ist, denkt nur, was wahr ist.“
(Chandogya-Upanishad, Seite 258).
Am 17. Dezember 1910 wurde Eknath Easwaran in einem kleinen Dorf im südindischen Staat Kerala geboren. „Meine Großmutter war der Baum“, erzählte er, „meine Mutter die liebliche Blüte, und mein eigenes Leben ist nur die Frucht.“ Bei seinem Vater lernte er die klassische südindische Musik und Tanzkunst lieben, und bei einem Tempelpriester lernte er Sanskrit, die Sprache der alten Heiligen Schriften Indiens. Aber es war ein Onkel, ein ungewöhnlicher Lehrer, der die Phantasie des Jungen mit der Literatur Englands entfachte.
Mit 16 Jahren kam er auf ein Jesuitenkolleg, mehrere Bahnfahrtstunden von seinem Heimatdorf entfernt. Den Direktor, Pater John Palakaran, der an der Universität von Edinburgh in Schottland studiert hatte und der ihn zu öffentlichen Vorträgen und zur Lektüre von William Shakespeare ermutigte, verehrte er als Vorbild. Er wurde ein leidenschaftlicher Student und wurde recht bald ordentlicher Professor und Direktor für Englische Literatur an der Universität von Nagpur. Die persönliche Begegnung mit Mahatma Gandhi (1869 – 1948), von der mir erzählte, blieb ihm lebenslang unvergesslich. Im Jahr 1972 erschien sein faszinierendes Buch „GANDHI the MAN“
Eknath Easwaran hatte eine große Leserschaft in der „TIMES of INDIA“.
Sein Leben schien glänzend gesichert: eine attraktive Frau, zwei prächtige Söhne, aber im Alter von 49 Jahren kam eine große innere Krise. Und just in dieser Zeit wurde er in die USA eingeladen im Rahmen des Fulbright Austauschprogramms. Man bat Eknath Easwaran u.a. einmal wöchentlich in einer Buchhandlung in San Francisco Vorträge über die Upanishaden zu halten. Hier lernte er seine spätere zweite Frau Christine kennen.
1962 musste er nach Indien zurückkehren. In seiner Heimat erregte er die Aufmerksamkeit von faszinierenden Persönlichkeiten – Missionare, Theosophen, Mitarbeiter in Gandhis Dorfaufbau-Bewegung und diverse spirituelle Lehrer, u.a. Anandamayi Ma (1896 – 1982), eine der größten Heiligen Indiens. Sie entwickelten Pläne für ein Meditationszentrum in Kalifornien, wohin Christine und Eknath Easwaran 1966 zurückkehrten. An der University of Berkeley (dort hatte der Quantenphysiker und Friedensaktivist Hans-Peter Dürr (1929 – 2014), bei Edward Teller (1908 – 2003), dem „Vater der Wasserstoffbombe“, promoviert) hielt Easwaran jeden Dienstag Meditationskurse für zahllose Studenten. Ab Januar 1968 gab es den ersten akademischen Meditations-Kurs an einer welt-berühmten Universität.
Am Heiligabend 1969 wurde der Kaufvertrag für ein traumhaftes Grundstück in Tomales/Kalifornien unterschrieben, wo das 1961 gegründete Blue Mountain Meditation Center fortan seine Wirkungsstätte hatte. Dort hat Sri Eknath Easwaran bis zu seinem Tod am 26. Oktober 1999, wenige Wochen vor seinem 89. Geburtstag, die erfülltesten Jahre seines Lebens verbracht.
Tausende von Menschen hat er in das tiefste Mysterium der Meditation hineingeführt und begleitet.
Seine zahlreichen Publikationen – christlich wie hinduistisch und buddhistisch – sind von authentischer Meisterschaft und sprachlicher Schönheit geprägt. Kaum ein Zweiter hat im 20. Jahrhundert annähernd vergleichbar bessere Übersetzungen und Kommentare der Weisheitsbücher „Bhagavad Gita“, „Dhammapada“ und „Upanishaden“ herausgebracht als Eknath Easwaran. Erst viele Jahre nach seinem Tod hat der Münchner Verlag „Goldmann/ Arkana“ die Juwelenhaftigkeit dieser Bücher entdeckt und herausgebracht. Sie sind Glanzlichter in dem gewaltigen Angebot an Esoterik-Literatur.
„Die Schätze der Mystik sind in allen Religionen zu finden. Kein Zeitalter, kein Volk, keine Glaubensrichtung hat in irgendeiner Hinsicht ein Monopol auf spirituelle Weisheit. Der Gewinn ist und war immer da, für jedwede Einzelperson, die gern mit dem nötigen Wagemut danach sucht. Es gibt nur eine einzige höchste Wirklichkeit, und es kann nur die eine, einzig-artige Vereinigung mit ihr geben. Aber die Sprache, Tradition, Ausdrucksweise und kulturelle Note differieren. Einer schreibt in Französisch, ein anderer in Pali. Einer schreibt in Versen, ein anderer in Prosa. Einer spricht von seiner Mutter, ein anderer von Seiner Majestät und noch ein anderer von dem Geliebten. Darin liegt die Schönheit der spirituellen Literatur: sie spiegelt einerseits die faszinierende Vielfalt des Lebens wider und andererseits die unveränderlichen Prinzipien, die, ungeachtet von Zeit und Ort, hinter dieser Vielfalt stehen.“
Als ich mich am 7. März 1997 von dem damals 86-jährigen indischen Weisen verabschiedete, sagte er zu mir:
„Roland, wenn wir sterben, wechseln wir nur unsere Kleider!“
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist
www.KARDIOSOPHIE-NETWORK.de
Über Roland R. Ropers
Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
>>> zum Autorenprofil
Buch Tipp:
Kardiosophie
Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle
von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu
Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.
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