Erwartungen
Wenn wir nicht erwarten würden, dass das Leben gerecht ist – was wäre dann? Wenn wir nicht erwarten würden, dass unsere Bemühungen von Erfolg gekrönt werden, dass die Dinge im echten Leben so ablaufen wie beim Probelauf in unserem Kopf, dass alle Menschen freundlich, hilfsbereit, kompetent und belastbar sind und dass eine gute Tat immer in einem guten Ergebnis und Dank mündet?
Wir würden niemals enttäuscht werden.
Eine Erwartungshaltung ist, wenn wir uns darauf verlassen, dass etwas (genau so und nicht anders) passieren wird.
Sie speist sich oft, aber eben nicht nur, aus Erfahrungen. Ich schenke dir eine Blume – du freust dich. Ich stelle eine Frage – sie wird beantwortet. Ich veröffentliche ein Buch – es verkauft sich hunderttausendfach. Das Leben ist eine Frühlingswiese, die Gänseblümchen lachen.
Eine Anspruchshaltung ist, wenn wir überzeugt davon sind, dass wir ein Recht auf das haben, was wir erwarten. Wenn du dich nicht über meine Blume freust, bist du undankbar. Wenn meine Frage nicht beantwortet wird, arbeiten andere Leute nicht serviceorientiert, sondern ziehen mir nur Geld aus der Tasche. Wenn mein Buch kein Bestseller wird, hat sich der Kosmos gegen mich verschworen. Diese Anspruchshaltung verhindert, dass wir uns auch nur die Bohne dafür interessieren, was da hinter den nicht erfüllten Erwartungen steckt.
Wenn du dich nicht über meine Blume freust, kann es dafür eine Menge völlig legitimer Gründe geben.
Vielleicht kommt sie zu spät. Vielleicht will ich mich mit ihr für etwas entschuldigen, wofür es mehr als nur eine Blume braucht. Vielleicht fühlst du dich von meinen Aufmerksamkeiten bedrängt oder weißt, dass ich dafür eine Gegenleistung erwarte. Vielleicht hast du mir erst letzte Woche gesagt, dass du diese Art von Blumen nicht ausstehen kannst …
Wenn meine Frage nicht beantwortet wird, habe ich sie vielleicht an die falsche Stelle gerichtet. Oder aber ich zahle tatsächlich für einen Service, der nicht geliefert wird, und sollte die Zahlungen einstellen. Wenn mein Buch kein Bestseller wird, hat es einfach nicht genügend Leser*innen gefallen – was nicht notwendigerweise etwas über die Qualität des Buches aussagt, sondern nur über seinen Marktwert.
Wir fahren alle besser in diesem Leben, wenn wir uns unsere Erwartungen bewusst machen und unsere Ansprüche hinterfragen.
Nicht alle Erwartungen sind gerechtfertigt, längst nicht alle Ansprüche bestehen zu Recht. Ich kann erwarten, dass Menschen freundlich zu mir sind, wenn ich zu ihnen freundlich bin – so habe ich es als Kind gelernt. Das Leben zeigt, dass das zwar sehr oft, aber nicht immer der Fall ist, ich also diese Erwartung relativieren kann. Aber ich muss einfach wissen, dass ich keinen Anspruch darauf habe, dass Menschen freundlich sind, nur weil ich freundlich zu ihnen bin.
Es gibt viele Gründe dafür, wenn sie es nicht sind, und die meisten werden mit mir persönlich gar nichts zu tun haben. Wenn ich also freundlich bin, weil ich finde, dass das als Grundtenor im zwischenmenschlichen Umgang einfach unschlagbar ist, und nicht, weil dann die anderen gefälligst auch freundlich zu sein haben, bin ich auf dem richtigen Weg. Erwartungen und Ansprüche, die ich nicht hinterfrage, sind oft unrealistisch und sehr hoch gegriffen. Ich darf ein schönes Hotelzimmer erwarten, wenn ich dafür bezahle.
Doch wenn ich aus denselben Gründen erwarte, dass das Hotelpersonal für meine Anliegen jederzeit und unverzüglich alles andere stehen und liegen lässt, dass die anderen Hotelgäste meine neuen besten Freunde werden und das Wetter immer schön ist, züchte ich Probleme.
Schau nach innen: zu dir selbst hin, zu deinen Werten und deinen Taten.
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Schau nach, ob deine Erwartungshaltung in einem bestimmten Fall berechtigt ist. Wenn du der Meinung bist, dass ja, dann kommuniziere es klar und ziehe die Konsequenzen. Wenn dagegen kein berechtigter Anspruch besteht, arbeite an deiner Erwartungshaltung. Es hilft, eine Situation auch aus anderen Perspektiven wahrzunehmen. Dafür kannst du deine Freund*innen um ihre Einschätzung bitten.
Wiederum Vorsicht: Frage nicht nur die, deren Meinung deine eigene – erwartungsgemäß – unterstützt oder spiegelt, sondern jene, die du als bedacht und reflektiert kennst. Du kannst dich selbst in die Lage derjenigen hineinversetzen, die ebenfalls an dieser Situation beteiligt sind. Du kannst dir auch vorstellen, wie jemand dir von einem Fall erzählt, der ähnlich gelagert ist wie deiner. Alles hilft, was dir ermöglicht, vorübergehend deine eigene Perspektive loszulassen und frei davon, ohne deren Endlichkeiten, auf das Anliegen zu schauen.
Auszug aus:
„Runterkommen und drüberstehen:
Wie du dich weniger ärgerst und Frust keine Chance gibst“
von Martina Pahr
Softcover, 224 Seiten
Erschienen: Mai 2021
ISBN: 978-3-7474-0278-8
23.02.2022
Martina Pahr
Autorin, Bloggerin und PR – Expertin
Martina Pahr
ist Autorin, Bloggerin und PR – Expertin, hat vor einigen Jahren den Sprung ins kalte Wasser gewagt und sich selbständig gemacht. Seither tut sie, wovon sie immer geträumt hat, und lebt vom Schreiben.
Beruflich wie auch privat setzt sie sich mit den spirituellen Aspekten des Lebens und den vielen Erscheinungsformen der New-Age-Bewegung auseinander – und nicht immer ist ihr gesunder Menschenverstand überzeugt von dem, was er vorgesetzt bekommt. Sie glaubt ungebrochen an das (viel zu oft ignorierte) Göttliche im Menschen: Eigenverantwortlichkeit und Eigenmächtigkeit, Selbstwert und Selbstheilungskräfte.
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