Die Gefühle dahinter

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frau lesen kaffee relaxDie Gefühle dahinter

Leseprobe aus dem Buch „Runterkommen und drüberstehen von Martina Pahr

Das Gefühl von Frust ist ein weites Feld. Vielleicht ein Schlachtfeld, vielleicht ein Minenfeld … auf jeden Fall keine Picknickwiese. Der erste Schritt zum erfolgreichen Umgang mit diesem Gefühl ist so offensichtlich, dass er gern ignoriert wird: Wir müssen als Erstes erkennen und anerkennen, dass wir gefrustet sind. Nicht wütend, nicht verärgert, nicht niedergeschlagen, nicht enttäuscht, nicht ausgebremst, nicht blockiert, nicht gekränkt – obwohl all dies Facetten dessen sein können, was wir da fühlen. Wir sind gefrustet. Und dieses Gefühl sollten wir, wie alle anderen auch, nicht einfach wegdrücken, ignorieren, leugnen, überspielen oder abwerten – sondern wahrnehmen und einfach anschauen.

Was genau fühlen wir, wenn wir Frust empfinden?

Es kann sein, dass die Emotionen, die wir als »Frust« sprachlich zusammenfassen, individuell sehr verschieden sind. Eine aufmerksame Gefühlswahrnehmung verrät uns mehr von dem, was wirklich hinter unserem Frust steckt. Setze dich einmal mit deinem Frust hin und frage dich: »Was fühle ich wirklich?« – immer weiter, so lange, bis du an seine Quelle kommst.

Ein Beispiel: Du sitzt im Homeoffice und machst deiner Chefin schriftlich einen sorgfältig erarbeiteten und, wie du findest, sehr guten Vorschlag, wie man die Urlaubsregelung fairer gestalten kann. Nachdem sie darauf nicht reagiert, fragst du freundlich nach, ob sie deine E-Mail erhalten hat. Es landen bekanntlich mehr davon im Spam-Ordner, als man glauben möchte. Auch dieses Mal bekommst du keine Antwort. Vielleicht fragst du noch ein- oder zweimal nach, je nach Neigung. Irgendwann kommt aber der Frust: »Warum schreibt sie nicht zurück? Findet sie meinen Vorschlag schlecht?«

Dann regt sich vielleicht der Ärger: »Hat sie es nicht nötig, auf eine E-Mail zu antworten? Das gebietet doch allein schon die Höflichkeit! Soll ich jetzt wertvolle Arbeitszeit verplempern, indem ich nochmals nachfrage?«
Oder aber die Enttäuschung meldet sich: »Meine Meinung ist nicht wichtig.«

Vielleicht aber ignorierst du die Sache und schlägst ein Ei darüber: nicht so wichtig, war ja nur ein Vorschlag. Ersetze dann einfach die ausbleibende Antwort der Chefin mit einem anderen Beispiel für eine Frusterfahrung in deinem Alltag, die dich gründlich frustriert. Sollte es so etwas nicht geben, würdest du wahrscheinlich dieses Buch nicht lesen.
Wieder gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, mit diesen »negativen« Gefühlen umzugehen.

Vielleicht wurdest du von Kindesbeinen darauf getrimmt, Ärger und Enttäuschung runterzuschlucken,

und glaubst jetzt, es stünde dir nicht zu, deinen Unmut zu äußern.

Also gehst du zum Kühlschrank und steckst dir etwas in den Mund, damit sich dein Frust besser runterschlucken lässt. Die Glaubenssätze, die diesen Gefühlen zugrunde liegen und die du dadurch ausdrückst, sind: »Ich darf nicht zeigen, wie ich mich fühle. Ich muss anderen gefallen. Ich bin nicht stark genug, mich durchzusetzen.« Vielleicht erfüllt ein wenig Onlineshopping dieselbe Funktion für dich.
Oder du trödelst – unbewusst – bei der nächsten anliegenden Arbeit, um so indirekt der Firma und damit der Chen zu schaden, damit das Gleichgewicht wiederhergestellt wird. Das ist der passiv-aggressive Ansatz. Vielleicht sagst du: »Es bringt nichts, Einsatz zu zeigen und sich anzustrengen.«

Oder du empfindest Ärger und richtest ihn gegen die Chefin: »Was bildet die sich ein, mich zu ignorieren? Eine gute Chefin würde sich über die Initiative ihrer Leute freuen!«

Jetzt kannst du, wenn du wie ich zu impulsiven Handlungen neigst, der Chefin eine bitterböse E-Mail schreiben, um ihr deinen Ärger um die Ohren zu schlagen. Immerhin hat sie ihn ja verursacht, die blöde Kuh – so denkst du. Diese E-Mail fällt dann persönlich, wehleidig oder anklagend aus, je nach Gusto. Vielleicht lässt du sie noch ein wenig liegen, bevor du sie abschickst, was wirklich schlau wäre; vielleicht schickst du sie aber auch gleich im Affekt los.

Rate mal, was dann passiert?

Ich kann auch nur raten, denn ich kenne deine Chefin nicht. Vielleicht verfügt sie über eine große Frustrationstoleranz und kann mit diesem E-Mail gewordenen Vorwurf gut umgehen; sie antwortet sofort, entschuldigt sich vielleicht sogar für die Verzögerung. Vielleicht zuckt sie mit den Achseln und hat Besseres zu tun, als sich um deine Befindlichkeit zu kümmern. Vielleicht liest sie deine E-Mail gar nicht, weil sie in einer Besprechung steckt oder mit dem Hausmeister schäkert.

Vielleicht reagiert sie aber ihrerseits mit Frust auf deinen Text. Sie hat schließlich alle Hände voll zu tun, und du lädst deinen Ärger bei ihr ab. Immerhin ist sie deine Vorgesetzte, warum sollte sie dir Rechenschaft schuldig sein? Was erlaubst du dir, sie anzuraunzen, weil sie deine speziellen Erwartungen nicht erfüllt?
Wie sie in dem speziellen Fall und spezifischen Moment reagiert, lässt sich schwer vorhersagen. Willst du es darauf ankommen lassen?

Oder du schreibst diese E-Mail nicht – entweder, weil du es besser weißt, oder aber, weil du die Schuld nicht bei deiner Chefin, sondern bei dir selbst suchst. Also denkst du: »War der Vorschlag so schlecht? Ich glaube, sie hat etwas gegen mich. Sie hat keine Wertschätzung für mich.«

Jetzt kannst du nachspüren:

»Was sind das für Gefühle bei mir? Ich fühle mich nicht gesehen. Ich werde nicht anerkannt.«
Vielleicht hast du Angst, den Job zu verlieren, und denkst, kein wertvolles Mitglied der Belegschaft zu sein. Beweis dafür ist das Schweigen deiner Chefin. Vielleicht kommt die alte Erinnerung hoch, dass du im vorangegangenen Job ebenfalls mit einem Chef zu tun hattest, der dich nicht gewürdigt hat. Oder ein vertrautes Gefühl, dass du dich anstrengen kannst, wie du willst, aber trotzdem scheiterst. Damit erhält die aktuelle Situation zusätzlich den Schub der alten Gefühle und nimmt an Belastung und Bedeutsamkeit zu.

Vielleicht erinnerst du dich daran, dass letzte Woche ein Kollege eine E-Mail ebenfalls nicht beantwortet hat. Dass die Kollegin, die regelmäßig zum Feierabend-Umtrunk auffordert, beinahe vergessen hätte, dich auch einzuladen. Du fühlst dich abgelehnt, nicht zugehörig: »Niemand mag mich.«
Unter Umständen greifst du auch zum Telefon, um einer Freundin dein Leid zu klagen. Du erzählst eine Viertelstunde davon, wie unfähig die Chefin ist und dass du auf den Job eh keine Lust mehr hast. Du meinst, danach würdest du dich erleichtert fühlen, doch weit gefehlt: Es ist, als hättest du die Büchse der Pandora geöffnet, und immer mehr Frustgeschichten sprudeln aus dir heraus.

Und deine Freundin?

Hört dir zu, weil sie dich unterstützen möchte, wird davon aber völlig ausgelaugt. Wenn du nächstes Mal anrufst, geht sie lieber nicht mehr ran. Oder sie sagt dir nach zehn Minuten: »Hör mal, das wird mir jetzt zu viel. Ich stecke mitten in der Arbeit, und dein Jammern zieht mich runter.« Und du fühlst dich: zurückgewiesen, unverstanden, ganz allein auf der Welt.

Die Möglichkeiten, mit Frust umzugehen, sind so vielfältig wie die Menschen. Jedem der Schritte, die auf eine frustrierende Situation folgen, liegen bestimmte Emotionen zugrunde. Es lohnt sich, ihnen nachzugehen, um sie differenzierter wahrzunehmen.
Was fühlst du wirklich? Warum fühlst du dich so und nicht anders? Was löst die Situation bei dir aus? Woran erinnert sie dich? Haben deine Gefühle nur mit der aktuellen Situation zu tun oder liegt die wahre Ursache dafür ganz woanders?

Wenn du diese Gefühle, egal welche, »ganz zu Ende« fühlst und dabei ehrlich und unerschrocken bist, wirst du auf Glaubenssätze stoßen, die dein Denken, Fühlen und Verhalten – dir unbewusst – mitbestimmen. Sie sind dafür verantwortlich, dass wir uns ausgeliefert fühlen, unfähig zu handeln, Angst vor Versagen haben, vor Verlust, um unsere Existenz, dass wir uns nicht wahrgenommen fühlen, abgelehnt fühlen.
»Ich genüge nicht.« »Ich bin nichts wert.« »Ich werde nicht gesehen.« »Ich kann nichts tun.«

Egal, wie sich Frust auch äußert, ob nach innen oder außen gerichtet, laut und fordernd oder selbstzerstörerisch:

Ein – oft tief versteckter – Mangel an Selbstwert ist der Grund, warum wir uns nicht jederzeit kraftvoll, handlungsfähig, anerkannt und vom Leben geliebt fühlen. Ich wage zu behaupten: Ein Mensch mit ausgeprägtem Selbstwertgefühl empfindet keine Kränkung, lässt sich von Scheitern nicht entmutigen und nimmt nichts persönlich, was ihm von außen begegnet.

Das ist natürlich ein reines Ideal, das uns in der freien Wildbahn selten begegnet. Ein wirklich effizientes Rezept, das eigene Selbstwertgefühl mit wenigen simplen Tricks von jetzt auf nachher enorm zu steigern, kenne ich nicht. Das ist vielmehr eine lange und sehr individuelle Reise. Doch es gibt Möglichkeiten, mit den Auswirkungen dieses Mangels, wie in diesem Fall dem Frust, umzugehen, die auch sanft »nach innen« wirken und sofort mehr Gelassenheit bringen.


Auszug aus:Die Gefühle dahinter

Runterkommen und drüberstehen”:
Wie du dich weniger ärgerst und Frust keine Chance gibst“
von Martina Pahr

Softcover, 224 Seiten
Erschienen: Mai 2021
ISBN: 978-3-7474-0278-8

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08.01.2022
Martina Pahr
Autorin, Bloggerin und PR – Expertin

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Martina Pahr

ist Autorin, Bloggerin und PR – Expertin, hat vor einigen Jahren den Sprung ins kalte Wasser gewagt und sich selbständig gemacht. Seither tut sie, wovon sie immer geträumt hat, und lebt vom Schreiben.
Beruflich wie auch privat setzt sie sich mit den spirituellen Aspekten des Lebens und den vielen Erscheinungsformen der New-Age-Bewegung auseinander – und nicht immer ist ihr gesunder Menschenverstand überzeugt von dem, was er vorgesetzt bekommt. Sie glaubt ungebrochen an das (viel zu oft ignorierte) Göttliche im Menschen: Eigenverantwortlichkeit und Eigenmächtigkeit, Selbstwert und Selbstheilungskräfte.
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