DISKRETION – die Kunst der Unterscheidung

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DISKRETION – die Kunst der Unterscheidung

„Der Mensch unterscheidet sich vom Tier
durch Erfahrung, Erinnerung, Weisheit und Kunst“
(der griechische Philosoph Anaxagoras, 499 – 427 v.Chr.)

Diskretion – Wir erleben zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine geradezu revolutionäre Entwicklung, wo jedem Menschen der Zugang zu einer bisher verschlossenen Wissens-Welt ermöglicht wird. Alles kommt ans Licht, nichts bleibt verborgen und geheim (engl.: secret). Die größten Geheimdienste der Erde kämpfen vergeblich um den Bestandsschutz ihrer gespeicherten Daten, etablierte Religionen und Glaubenssystem sind gezwungen, sich von ihrer Mysterien-Magie zu verabschieden. Warum sollte etwas Abgesondertes, ein Sekret, geheim gehalten werden? Von dem lat. Verb „secernere“ (trennen, ausscheiden) haben sich z.T. doppelbedeutige Worte entwickelt: Sekretion, Sekretär). Diskretion hingegen ist mehr den je notwendig, es geht um die Unterscheidungsfähigkeit (lat.: discretio), wo man Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen versucht.

In der christlichen Glaubenstradition gibt es verschiedene Ansätze, die dem Menschen helfen, den für ihn richtigen Weg zu erkennen. Die Ignatianische Spiritualität geht davon aus, dass Gott in uns allen spricht. Denn sein Geist ist liebevoll und will uns unterstützen. Doch in uns existieren auch noch viele andere Stimmen: die der Ungeduld, des Neides, des Misstrauens usw. So manche Entscheidung, die in gutem Glauben gefällt wurde, entpuppt sich später als Folge von Missgunst oder anderen schlechten Motivationen. Es ist also von höchster Wichtigkeit, dass wir aus der inneren Geräuschkulisse die richtige Stimme herausfiltern. Ignatius von Loyola (1491 – 1556) der Gründer des Jesuitenordens, hat lange über dieses Problem nachgedacht und sprach von der Unterscheidung der Geister.

Das tägliche Bombardement von einem Daten-Tornado aus allen Teilen der Welt hat nichts mit Wissen zu tun.

Jeder einzelne muss aus der Fülle von Daten eine Auswahl treffen und diese in eine informative Ordnung bringen, die ihn lebensfähig erhält. Informationen kommen nicht von außerhalb. Jeder Mensch bringt auf verschiedene Weise die empfangenen Daten in eine individuelle Form und interpretiert sämtliche Datenimpulse auf seine Art. Einen vorgegebenen Notentext mit Tausenden von Zeichen deutet jeder anders, je nach Veranlagung und Schulung.

Unser Gehirn empfängt heutzutage ca.  10.000.000.000 Bits (binary digits = kleinste Informationseinheit) pro Sekunde. Diese Bits werden sortiert, verdichtet, gespeichert oder als nicht brauchbar verworfen.

Vielwisserei ist nicht erstrebenswert. Fundiertes verinnerlichtes Wissen wird leider zu wenig vermittelt in einer Multi-Tasking-Society, die immer mehr zu zum Opfer des „Burn-Out“ wird.

Diskretion – Wer als Mensch anstrebt, sein Gehirn den Computerleistungen anzupassen, hat den Kontakt zu seinem wissenden Herzen verloren.

In dem englischen Verb „to learn“ ist das Wort verborgen: „to earn“ (seinen Lebensunterhalt verdienen). Das Lernen der Zukunft muss primär von der Herzkraft kommen: „learning by heart“ (auswendig lernen).

„Das menschliche Herz ist das Meisterwerk des uranfänglichen Künstlers“, schrieb der irische Philosoph, Poet und Mystiker John O’Donohue (1955 – 2008), mit dem ich freundschaftlich eng verbunden war.

Seine Bücher „Echo der Seele“ und „Schönheit“ sind Juwelen verloren gegangener Sprachkultur.

„Wie uns weit entferntes Licht, wenn es durch ein Prisma fällt, mit seinen Farben beschenkt, so entfaltet die Schönheit ihren Glanz, wenn sie durch das menschliche Herz scheint. Das Herz ist der Ort, an dem die Schönheit empfangen wird, hier kann sie empfunden, erkannt und weitergegeben werden. Vielleicht vermissen wir die Schönheit deshalb manchmal in unserem Leben, weil wir zugelassen haben, dass das Prisma stumpf und dunkel wurde; obwohl das Licht ganz nah ist, kann es nicht hineindringen und seine Schönheit ausgießen…

Das Herz ist dort, wo das Wesen,

das Empfinden und das Intimste eines Lebens weilen, und ohne Herz wird die Welt plötzlich kalt. Das menschliche Herz ist das Meisterwerk des uranfänglichen Künstlers. Das Herz ist der Schrein der göttlichen Schönheit…Obgleich wir innerhalb der Zeit leben, scheint uns die Schönheit aus einem Reich zu besuchen, das außerhalb der Zeit liegt, nämlich in der Ewigkeit. Die Schönheit verwandelt die vergehende Zeit in etwas Kostbares; sie erfüllt den Augenblick mit Glanz und macht ihn wahrhaft zeitlos…
In Schönheit wurden wir erträumt und erschaffen und mit einem Leben beschenkt, in das die Schönheit tritt, um uns zu erwecken. Die äußere Entfaltung unseres Lebens wird innerlich von dieser unsichtbaren Schönheit gestützt und gelenkt“.

Vorbei sind die Zeiten, wo wir uns im Verborgenen aufhalten und mit vermeintlichen Geheimnissen leben müssen. Die Ausstrahlung kommt stets von innen und macht je nach Intensität deutlich, wie groß unser Innenraum ist, den wir von blockierenden Gedanken und Meinungen befreit haben.

Im 56. Kapitel des „Tao Te King“ von Lao Tse lesen wir:

„Wer Wissen hat, redet nicht.Wer redet, hat kein Wissen.
Hüte Deine Zunge, schließe Augen und Ohren.
Brich die Schärfen, löse die Knoten.
Schwäche den blendenden Glanz,
wisch den Staub fort.
Das nennt man ursprüngliches Einswerden.
Darum:
Du kannst ihm weder näherkommen
noch dich von ihm fernhalten.
Du kannst ihn weder nutzen
noch kannst du ihm schaden.
Du kannst es weder aufwerten
noch kannst du es abwerten.
Darum wird es von aller Welt verehrt.“

22.04.2021
Roland R. Ropers
www.KARDIOSOPHIE-NETWORK.de




Über Roland R. RopersRoland-Ropers

Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
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