Labyrinth und Irrgarten: uralte, kraftvolle Symbole

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meer-labyrinthLabyrinth und Irrgarten – uralte, kraftvolle Symbole

Ein Labyrinth und Irrgarten ist die gelungene Verbindung der Formen von Kreis und Spirale. Ursprünglich als Lösung gedacht, kennen wir das uralte Symbol heute vor allem als Rätsel. 

Dädalus, der bekannte Erfinder, baute das wohl bekannteste Labyrinth aller Zeiten, das Gefängnis und Heim des Minotaurs war. Dieses mystische Wesen, dessen Körper der eines Mannes und dessen Kopf der eines Stieres war, war Folge eines Seitensprunges der Gemahlin von Minos, König von Kreta, mit dem kretischen Stier.

Minos sah das neugeborene Wesen und wollte es töten; erst das Flehen seiner Tochter Ariadne konnte ihn davon abbringen. Stattdessen ließ er ein Labyrinth bauen, das den Minotaur vor den Menschen verbarg – und diese vor ihm schützte.

Dieser Irrgarten war so raffiniert angelegt, dass selbst sein Erbauer den Weg daraus nicht finden konnte.

Aigeus, der König Athens, stachelte einen Sohn des Minos dazu an, im Kampf gegen den Minotaurus seine Stärke unter Beweis zu stellen.
Als der junge Mann dabei sein Leben ließ, unterwarf Kreta Athen in einer Schlacht und erlegte der Stadt eine harte Strafe auf: Alle neun Jahre mussten die hochstehenden Familien sieben Jungfrauen und sieben Jünglinge dem Minotaurus opfern.

Lange konnten die Athener das nicht ertragen. Der Sohn von König Aigeus, Theseus, zog schließlich aus, den Minotaurus zu töten. Ariadne, die Tochter des Minos, verliebte sich in ihn und wollte ihm helfen. Sie beriet sich mit dem Erbauer des Labyrinths und gab ihrem Geliebten einen Faden. Den sollte er am Eingang des Labyrinths Schritt für Schritt abrollen und so seinen Weg durch den Irrgarten markieren – eine Methode, die noch heute beim Erforschen von Höhlen benutzt wird.

Theseus erschlug den Minotaurus, fand seinen Weg zurück und floh mit Ariadne. Dass er dem Helden durch seinen Rat an Ariadne geholfen hatte, sollte Dädalus bitter bezahlen: König Minos sperrte ihn und seinen Sohn Ikarus in eben jenes Labyrinth. Beim Fluchtversuch daraus mittels von gefertigten Flügeln flog Ikarus zu nah an die Sonne und stürzte ins Meer.

Und auch für Ariadne gab es kein Happy End: Sie war dem Gott Dionysos versprochen – und Theseus in eine andere verliebt. So trennten sich ihre Wege, die von den Irrwegen auf eine kurze, schicksalsträchtige Zeit zusammengeführt worden waren.

Will man den Mythos psychologisch interpretieren, könnte man sagen, dass Theseus sich auf die Tiefen seines eigenen Unbewussten einlässt, wo er im Minotaurus dem Unbewältigten, Dunklen, Verborgenen in seinem Leben begegnet.
Diesen Schatten gilt es zu transformieren und ins eigene Selbst zu integrieren.
Ohne Richtlinie bzw. moralischen Kompass besteht dabei die Gefahr, dass man sich in den eigenen Tiefen verliert.

Es gilt zwei Arten von Labyrinthen zu unterscheiden

Das Muster in seiner ursprünglichen Form bezeichnet einen Weg, der zwar verschlungen ist, allerdings keine Abzweigungen oder Sackgassen aufweist. Oft wechselt er die Richtung, krümmt und biegt sich – doch wer ihm folgt, wird immer unfehlbar zum Ziel- und Mittelpunkt gelangen.

Die andere Art lässt sich als „Irrgarten“ bezeichnen: Hier gibt es auch ein Zentrum als Ziel – doch wie dies zu finden ist, stellt ein Rätsel dar, das es zu lösen gilt. Es gibt Schleifen, die wieder zum Ausgangspunkt zurück führen; blinde Gänge, die im Leeren enden; falsche Fährten, die vom richtigen Weg ablenken.

Das Wort selbst setzt sich aus dem griechischen „Labrys“, das die für Kreta charakteristische Doppelaxt bezeichnet,und „inthos“ zusammen, das „Platz“ bedeutet. Übersetzt also: der Ort der Doppelaxt.
Man bezeichnet die Ruinen des Palastes von Knossos auf Kreta oft als Labyrinth, tatsächlich haben sie aber nichts damit gemein. Dafür wurden im 5. Jahrhundert v. Chr. Labyrinthe auf kretischen Münzen abgebildet – sowohl in runder als auch eckiger Gestalt.

Das Labyrinth der griechischen Mythologie, dessen Überreste in Stein nie gefunden wurden, ist das klassische Epitome eines Irrgartens – obwohl die ersten bekannten Labyrinthe immer geradewegs zu einem Zielpunkt führten und der Irrgarten als solcher erst viel später entwickelt wurde.

Die älteste belegte Abbildung eines Labyrinths ist eine Tontafel aus einem griechischen Palast, die mit Sicherheit auf 1200 v. Chr. datiert werden kann. Doch es finden sich auch wesentlich ältere Darstellungen, deren Alter nicht genau bestimmt werden kann. Eine besondere Stellung nehmen die 35 Labyrinthe ein, die sich in der weltweit höchsten Konzentration dieser Muster auf einer Inselgruppe im weißen Meer in Russland befinden; 14 davon auf der Insel Bolschoi Sajazki, ausgezeichnet erhalten in Stein und rund 3000 Jahre alt. Über ihren Ursprung und Zweck wird noch immer gerätselt.

Über den Bereich des früheren Römischen Reiches verteilt sind rund 60 Labyrinthe in Form von Mosaiken auf Fußböden erhalten. Es handelt sich bei ihnen um reine Ornamente, denn sie sind zu klein, als dass man die Muster hätte abgehen können. Einige davon verweisen auf die Minotaurus-Sage.

Auch die Labyrinthe, die sich in christlichen Kirchen finden, waren zunächst auf den Böden angebracht. Das früheste davon birgt als Zentrum den Schriftzug „Sancta Ecclesia“ und befindet sich in Algerien. In den Kirchen und Kathedralen des Mittelalters symbolisierte das Labyrinth den Weg eines Pilgers nach Jerusalem. Gleichzeitig konnten und sollten sie vom Büßer auf dessen Knien abgegangen werden, um Ergebung zu erlangen.

Das christliche Labyrinth veranschaulicht auch den Weg der Seele zur Erlösung: Trotz scheinbaren Umwegen folgt sie einem für den Menschen nicht erkennbaren Muster, das zu einem vorbestimmten Ziel führt. Die bekannteste Umsetzung dessen findet sich in der Kathedrale von Chartres aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts.

In einigen Kirchen war das Labyrinth in die Wand eingemeißelt, so dass man seinem Weg mit dem Finger folgen konnte. Im 16. Jahrhundert entstand dann mit den Irrgärten eine neue, völlig unabhängige Variante der Struktur: Verzweigungen, Kreuzungen und Sackgassen machen diese zum neckischen Versteckspiel.

Meist mit mannshohen Hecken angelegt, dienten sie der höfischen Gesellschaft Europas und später auch dem gemeinen Volk als amüsanter Zeitvertreib. Der Irrgarten des englischen Schlosses Hampton Court aus dem Ende des 17. Jahrhundert ist bis heute erhalten.

Labyrinthe sind in vielen großen religiösen Traditionen in einer erstaunlichen zeitlichen Synchronizität entstanden.

Zeitgleich mit den Griechen haben Ureinwohner Nordamerikas, das Volk der Tohono O’odham, eine vergleichbare Struktur entwickelt: Ihr Gott I’itoi, der Schöpfer, wird oft als „Man in the Maze“ bezeichnet, Mann im Labyrinth, da dieses Design oft in Abbildungen auftaucht, den Weg zu seinem Haus weisen soll und als Symbol von Leben wie auch Wahl interpretiert wird.

Auch in Indien finden sich verschiedene Varianten des Musters, ob als Steinstruktur, an Höhlenwänden oder in Schreinen. Ein auf ein Zentrum ausgerichtetes Labyrinth versinnbildlicht Fokus und Konzentration – oder auch, durch die Spiralstruktur, die Verbindung unserer Welt mit einer höheren.

Das Labyrinth ist ein uraltes Symbol für Ganzheit, das den Kreis wie auch die Spirale zu einem verschlungenen, doch absichtsvollen Weg zusammenfügt.

Eine Reise in unsere eigene Mitte und zurück in die Welt zugleich.

Das achtsame Begehen eines Labyrinths kann eine Meditation sein: über Raum und Zeit, über die eigenen Ziele, den eigenen Lebensweg. Man weiß nach einer weiteren Krümmung, einer neuen Biegung nicht, wie weit man auf dem Weg zum Ziel schon vorangeschritten ist.

Und doch kann man im vollen Vertrauen gehen, dass man dort ankommen wird, wo man ankommen soll.

15.06.2018
Martina Pahr

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Martina Pahr
ist Autorin, Bloggerin und PR – Expertin, hat vor einigen Jahren den Sprung ins kalte Wasser gewagt und sich selbständig gemacht. Seither tut sie, wovon sie immer geträumt hat, und lebt vom Schreiben.
Beruflich wie auch privat setzt sie sich mit den spirituellen Aspekten des Lebens und den vielen Erscheinungsformen der New-Age-Bewegung auseinander – und nicht immer ist ihr gesunder Menschenverstand überzeugt von dem, was er vorgesetzt bekommt. Sie glaubt ungebrochen an das (viel zu oft ignorierte) Göttliche im Menschen: Eigenverantwortlichkeit und Eigenmächtigkeit, Selbstwert und Selbstheilungskräfte.
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