Wenn online Verbundenheit zur Sucht wird
Wer kennt diese Szenarien nicht:
Man steht an der Bushaltestelle, sitzt in der Bahn und – alle Blicke sind gesenkt. Gebannt auf das Telefon gerichtet.
Man hält sich am Handy fest, ein eiserner, umklammernder Griff! ;)Mittlerweile gibt es Handy-freie Zonen! „Online Sucht“ und „social Media Detox“ sind Begriffe, die uns geläufig sind. Begriffe und vor allen Dingen Phänomene, die es vor zehn Jahren so noch nicht gab!
Auf der Digitalen Woche in Kiel, der „DiWo Kiel“, habe ich genau zu diesem Thema einen Vortrag gehalten. Ein Thema, das viele beschäftigt und berührt…
Wenn Du magst, steig hier an dieser Stelle mit ein und frage Dich…
- Hast Du schon einmal „verrückt gespielt“, weil Du nicht online gehen konntest?
- Am „Rad gedreht“, weil der Partner die WhatsApp Nachricht nicht gelesen und geantwortet hat,
- Dein Handy Akku leer war,
- kein Netz,
- Instagram down war
- oder Netflix nicht funktionierte?
Im Vortrag hoben an dieser Stelle alle schmunzelnd die Hände!
Seien wir ehrlich, wir kennen solche Momente!
Wir werden zunächst sauer, nervös, gereizt, fühlen uns einsam, abgeschnitten, verlassen. Werden u.U. nervös, manch einer bekommt sogar Angst bis hin zur Panik…
Ein zuerst schleichendes, dann nagendes Gefühl macht sich in uns breit:
Ich bin alleine, ich bin hilflos, ich fühle mich verlassen…
Und nun zu meiner nächsten Frage an Dich:
- Kennst Du solche Momente, solche Gefühle auch ohne das online Thema?
- Begegnen Dir solche Momente auch so im Leben??
Ja, die meisten von uns kennen diese Gefühle, unabhängig von der Verknüpfung mit dem Handy oder PC.
Und jetzt wird es spannend:
- Ist es möglich, dass die online-Sucht nur eine Projektion ist, dass wir unsere Gefühle und auch unsere Wünsche auf dieses Thema projizieren?
- Zeigt sich hier etwas, das ohnehin schon in uns ist?
Und wenn ja:
Wo kommt das Problem denn nun wirklich her?
Jeder Mensch hat das Bedürfnis, gesehen und wahr-genommen zu werden. Jeder Mensch hat ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Bedürfnis nach Verbindung und Austausch.
Besonders für Kinder ist es überlebenswichtig, gesehen, bestätigt und angenommen zu werden. Sie sterben, physisch, wenn man ihnen emotionale Nähe, Bestätigung und das Gefühl von Dazugehörigkeit nimmt.
In vielen Erwachsenen steckt aber oft noch ein kleines Kind, das genau diese Bedürfnisse nicht ausreichend gestillt bekommen hat. Ein Anteil, der meist unbewusst sein Dasein in unserer Psyche fristet und sich über versteckte Wege seine Aufmerksamkeit holt.
Wer fühlt sich schon gerne bedürftig? Wer gibt schon gerne zu, dass er sich Aufmerksamkeit, Liebe, Anerkennung und Bestätigung wünscht??
Wenn ich mir gewisse Profile in den sozialen Medien anschaue,
dann sehe ich hinter perfekten Posen und strahlenden Bildern oft auch Menschen, die förmlich zu schreien scheinen:
- Sieh mich an! Hab mich gern – „like“ mich!
- Gehöre zu mir – abonniere mich, sei mein Freund.
- Siehst Du, wie toll ich bin, wie liebenswert, wie kostbar… wie einzigartig??
- Was muss ich denn noch alles tun, um endlich wahr-genommen und anerkannt zu werden?
Es ist ein großer Unterschied, ob mich der Mangel antreibt oder die Freude, etwas von mir zu posten und zu teilen. Meist ist den Betroffenen der Mangel gar nicht bewusst.
Sucht und seelische Verletzung
In meiner langjährigen Arbeit mit seelisch verletzten Menschen sind mir immer wieder verschiedene Suchtphänomene begegnet.
Menschen, die durch traumatische Erfahrungen und Gefühlsverletzungen jeglicher Art erfahren haben, mussten oft in diesen schwierigen Momenten Teile ihrer selbst abspalten. Der Schmerz war so groß, dass sie ihn wegdrücken mussten und das z.T. bis in die Gegenwart tun, weil er unerträglich scheint.
Abspaltung von Gefühlen oder Seelenanteilen wird das häufig genannt. Verdrängung. Kompensation.
Durch dieses Abgespaltensein eines Teils von einem selbst entsteht eine Sehnsucht nach eben genau diesem Anteil. Eine Sehnsucht nach sich selbst. Nach Ganzheit.
Leichter nachzuvollziehen ist das, wenn wir auf die körperliche Ebene gehen. Stellen wir uns folgende Situation vor:
Wir haben uns den rechten Fuß ordentlich verknackst und können nur noch mit diesem dick eingewickelt und an Krücken durch die Gegend humpeln.
Alles geht dadurch langsamer, wir sind eingeschränkt.
Es entsteht relativ schnell der Wunsch, wieder gesund zu sein, heil zu sein, komplett zu sein. Wieder ganz normal laufen zu können!
Ähnlich verhält es sich mit der Psyche:
Auch hier entsteht der Wunsch, den verletzten Anteil wieder zu heilen und zu integrieren. Nur ist alles das, was sich in der Psyche abspielt, nicht so leicht zu erkennen wie eine körperliche Verletzung. Deshalb kommt es hier leichter zu Kompensation und Verschiebung der Problematik auf andere Bereiche.
Der Wunsch nach Leben und Intensität!
Egal wie verletzt wir auch sein mögen – in uns lebt eine Seele, die sich nach Öffnung, Wachstum, Expansion, Freiheit, Fülle und der ganzen Schönheit und Intensität des Lebens sehnt!
Doch wenn man verletzt ist, ist man nicht mehr in dem Maße offen, wie es nötig wäre, um die volle Intensität des Lebens an sich heran zu lassen und zu spüren.
Um das besser nachvollziehen und fühlen zu können, gehe doch mal in eine körperliche Haltung, die seelische Verletzung symbolisiert.
Man hockt sich u.U. hin, kauert, macht sich klein, schützt sich, umschlingt sich, hält sich die Ohren zu…
Das Herz ist verschlossen, die Arme verschränkt…
Ein sich Öffnen scheint nur bedingt möglich, die Arme ausbreiten, frei und tief atmen, ja sagen, die Welt umarmen scheinen schwierig bis unmöglich.
In dieser gekauerten Haltung die volle Intensität des Lebens zu spüren, ist schwierig.
Um überhaupt etwas von der Intensität des Lebens spüren zu können, müssen wir uns anstrengen. Ich benutze in diesem Zusammenhang gerne das Bild eines Menschen, der über einen Strohhalm atmet, also seine ganze Ein- und Ausatemluft über den winzigen Kanal des Strohhalms bewältigen muss.
Wie sieht das Ganze aus?
Einem Süchtigen gleich saugt dieser Mensch an dem Strohhalm, als ginge es um sein Leben. Denn das tut es ja auch…
Alleine das Geräusch erinnert schon an die Energie von Sucht.
Ähnlich sieht das Ganze bei Menschen aus, die die Intensität und das Gefühl von Leben über einen einzigen klitzekleinen Kanal leben, ein Kanal, der sich für sie sicher anfühlt- z.B. das Handy:
- Hier wird versucht, alles das zu kompensieren, was im normalen Leben aufgrund der innerseelischen Verletzung nicht gelingt.
- Facebook Freunde ersetzen die realen Freunde.
- Likes auf Instagram die Umarmungen.
- Emojis das reale sich Anlächeln und den Austausch von Emotionen und Gefühle.
Wie viele Likes, Herzchen, Abonnenten und Follower braucht man, um sich wirklich geliebt zu fühlen?
Anerkannt?
Wertgeschätzt?
Und können das Follower und überhaupt Menschen im Außen überhaupt bewerkstelligen?
Ist man nicht vielmehr selbst eingeladen, sich dem eigenen verletzten Inneren (Kind) anzunehmen?
Die Sehnsucht nach sich selbst…
…steht, wenn auch versteckt und kaum erkennbar, hinter jeder Sucht.
Und das ist die gute Nachricht!
Denn der Sehnsucht nach sich selbst, nach diesem tiefen Gefühl von Verbundenheit, Liebe, angekommen Sein, Ganzheit, Wert, Freude, Leichtigkeit, Freiheit… lässt sich zurück erobern!
Sucht hat etwas mit Sehnsucht und mit Suche zu tun.
Wenn man versteht, wonach man in Wahrheit sucht, welche tiefere Sehnsucht einen wirklich antreibt, hat man den Schlüssel zu einem erfüllteren Leben in der Hand.
Doch wie kann das Ganze praktisch aussehen?
Zwei Fragen können hier weiter helfen. Zwei Fragen, die an sich selbst gestellt tief nach innen führen.
Wichtig ist, sich diese Fragen nicht gleich und vorschnell selbst vom Kopf zu beantworten, sondern in eine innere Öffnung zu gehen, in das sogenannte Aktive Zuhören. Wirklich offen und neugierig zu sein, was hier passiert und sich zeigen will.
Wie geht es Dir?
Lautet die erste Frage, die Du an Dich und Dein Inneres richtest. Und die Du nicht gleich beantworten wirst, sondern den Mut und das Interesse hast, wirklich tief in Dich hinein zu hören und u.U. nicht gleich eine Antwort zu bekommen.
Im zweiten Schritt reflektierst Du Deinem Inneren genau das zurück, was Du wahrgenommen und empfangen hast:
„Ich sehe, es geht Dir xyz… oder: ich nehme xyz wahr“
Ohne Bewertung. Ohne sich dabei selbst zu analysieren oder zu therapieren.
Die zweite Frage lautet:
„Was brauchst Du?“
Auch hier bist Du eingeladen, in Dich hinein zu horchen, ganz offen und neugierig zu sein, was Dein Inneres Dir wirklich mitteilen will.
Im nächsten Schritt reflektierst Du genau das an Dein Inneres zurück:
„Ich sehe, Du brauchst xyz“
Ohne dies erfüllen oder bereitstellen zu müssen.
Andere Beiträge von
Ursula Schulenburg
Du kannst Dir selbst dieses Geschenk machen, indem Du Dir mehrfach täglich genau diese zwei Fragen stellst und wahres Interesse an Dir und Deinem Inneren entwickelst.
Ausschnitt des Vortrags als YouTube Video:
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P.S. Das Thema des „Aktiven Zuhörens“ wird in einem Folgebeitrag behandelt.
08.10.2019
Ursula Schulenburg
www.institut-schulenburg.de
Autorin, Dozentin, Heilpraktikerin, Life Coach und führt ihr online Business Soulcentered Evolution.
Ursula Schulenburg
ist Leiterin des „Instituts für bewusste Lebensgestaltung“, das schwerpunktmäßig online seine Dienstleistungen anbietet, arbeitet als Autorin, Dozentin, Heilpraktikerin und Life Coach.
Als Gründungsmitglied des Opferschutzvereins El Faro e.V. engagiert sie sich für Menschen, die Missbrauch und Trauma erleben mussten. Es ist ihr wichtig, mehr Licht, Klarheit und Transparenz in dieses dunkle Thema zu bringen und ihm auch öffentlich eine Stimme zu geben. Dies tut sie u.a. über regelmäßige Vorträge und Beiträge in sozialen Medien (u.a. YouTube
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