Im Licht östlicher Weisheit

oestliche Weisheit Bergpredigt

Im Licht östlicher Weisheit

Die Bergpredigt

„Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“
(Matthäus 6, 21)

Die großartige, universell gültige Botschaft Jesu Christi verweist in ihrer ureigentlichen spirituellen Dimension auf die Lebensgestaltung und -weise in der Gegenwart. In einer Welt extremer Unsicherheit und Veränderung tritt die Gegenwart zusehends in den Hintergrund; Vergangenheit und Zukunft nehmen als Angst-Projektionen einen immer größeren Raum ein. Wir tragen eine vermeintliche Erb-Last auf unseren Schultern und blicken voller Sorgen in die Zukunft.

Jesus sagt: „Sorgt euch nicht um morgen!“ (Mt 6, 34). Und dann kommt eine sehr wichtige Passage in der Bergpredigt, die jedem spirituellen Gipfelbesteiger zutiefst einleuchtet: „Geht durch das enge Tor! Denn das Tor ist weit, das ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit, und viele gehen auf ihm. Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng, und der Weg dahin ist schmal, und nur wenige finden ihn.“ (Mt 7, 13-14).

Diese Stelle ist vergleichbar mit der berühmten Stelle aus der Katha Upanishad, Teil der Heiligen Schriften Indiens: „Die Weisen sagen: der Weg ist so scharf wie das Ende einer Rasierklinge. Der Weg ist eng und schwer zu gehen.“

Im Licht östlicher Weisheit WINTER Bernried 3. Dezember 2023
© Roland Ropers; WINTER Bernried 3. Dezember 2023

Diese Wegweisung muss man genau verstehen.

Jesus sagt in dem der Bergpredigt vorangehenden Kapitel (Mt 4, 17), nachdem er ein 40-tägiges Fasten in der Wüste absolviert und diversen Versuchungen des Satans widerstanden hatte: „Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe.“ Diese als Reue sehr fragwürdig gedeutete Textstelle, ist im Sinne der metanoia, der Um- und Heimkehr aus dem Bereich der peripheren Sensationen in das innerste eigene Zentrum zu verstehen; an diesem topos thou theo, dem Wohnort Gottes, ist auch jeder Mensch zu Hause.

Leider leben zu viele von ihrem eigenen inneren Wohnbereich, der Urquelle oder Königreich Gottes entfernt und suchen in einer illusionären Außenwelt nach Lösung und Befriedigung.

Die Bergpredigt muss man als elementare Befreiung erkennen, nicht durch willkürlichen Gebrauch der Bibel-Zitate für Konferenzen über Frieden, Freiheit, Gewaltlosigkeit, sondern als spirituelle Wegweisung.

„Das Königreich Gottes ist inwendig in euch“. (Lukas 17, 21) Wer sich durch ganz einfache Wegänderung zurück und heimwärts bewegt, macht gleichzeitig den größten inneren Fortschritt. Die Not in der Welt besteht darin, dass unser Fortschrittsdynamismus vorrangig im Äußeren, Sichtbaren, Peripheren angesiedelt ist. Aber dort sucht man Gott, den Urgrund, die Urquelle, das Wesentliche des Lebens vergeblich.

Wenn wir im Prolog des Johannes-Evangeliums lesen:

„Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst“,
haben wir damit eine sehr überzeugende Zustandsbeschreibung unser Weltensituation. Gott, das Licht, ist anwesend, der Mensch ist abwesend und bewegt sich im Dschungel der Sensationen in Finsternis und Orientierungslosigkeit. Je mehr ein Mensch in die Anwesenheit Gottes und damit auch seine eigene Anwesenheit zurückkehrt, leuchtet das Licht der Erkenntnis und Befreiung in größter Strahlkraft.

Oft bedarf es sehr langer Therapie, Wegbegleitung, bis man wieder „bei sich wohnt“ („habitare secum“), statt „außer sich zu sein“. Wer Gott in seinem Urgrund wiedergefunden und die Begegnung mit sich selbst, dem horror vacui, dem Schrecken vor der Leere, überwunden hat, wohnt in Frieden und Freuden. Das will uns die Bergpredigt vermitteln.

Warum sollte sich der in seiner Anwesenheit ruhende Gott auf den Marktplatz der Sensationen begeben? Warum betteln (beten ist etwas anderes) so viele Menschen nach Erlösung im Außen, wo doch das Heil allein (lat.: salus solus) im innersten Königreich, in der Schatzkammer des Herzens zu finden ist? Die Upanishaden sprechen von: „The Castle of Brahman“, dem Schloss im Ur- und Wesensgrund.

Wer der irrigen Annahme ist, Gott für seine machthungrigen Operationen um Beistand zu bitten, muss sich über die Konsequenzen nicht wundern.

Der Ruf nach Gottes Gerechtigkeit wird zur Zeit überall vernommen.

Die anmaßenden Forderungen, er möge helfen und eingreifen, können nicht erfüllt werden. Erneut wird das von Theologen bis heute ungelöste Problem der Theodizee (die Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens der Menschen) diskutiert. Für die meisten Menschen ist der Widerspruch zwischen dem Glauben an Gott und dem Sinnverlust, der mit dem Leiden verbunden ist, nicht zu verstehen. Wie kann ein allmächtiger und gütiger Gott das Böse in der Welt zulassen, warum müssen wir leiden?

Bereits der griechische Philosoph Epikur (341 – 270 v. Chr.) hat sich verzweifelt mit dem göttlichen Paradoxon beschäftigt. Der deutsche Philosoph und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) versuchte, das Böse, den freien Willen des Menschen und die Rechtfertigung der Schöpfung in Einklang zu bringen. Von ihm stammt der Begriff Theodizee.

Wer auf dem mystisch-spirituellen Pfad Erfahrungen hat, weiß sehr genau, dass Gott weder eingreifen muss, noch eingreifen kann. Seine All-Macht liegt auf einer Ebene, die jenseits unserer Vorstellungen liegt.

Man kennt das klassische Beispiel aus den Kriegen der Vergangenheit: Waffen wurden sogar von Priestern gesegnet, und man betete für den Sieg über den vermeintlichen Feind. Und die Gegenseite tat das Gleiche. Gebete französischer katholischer Priester gegen die Gebete deutscher Priester u.a..

Welches dieser Gebete sollte Gott erhören? Er kann es nicht und tut es nicht. Genau aber das möchten viele Menschen noch heute: sie beanspruchen Gott für sich exklusiv und weisen anderen eine geringfügigere Teilhabe an der göttlichen Wirklichkeit zu.

Niemand besitzt das Glaubensmonopol in Bezug auf das göttliche Urgeheimnis.

Gott lädt den Menschen ein, durch Wegänderung zu ihm und zu sich selbst zu finden.

oestliche Weisheit Bergpredigt
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„Alle Dinge entstehen aus dem Weg“ heißt es im 51. Kapitel von Lao Tses „Tao Te King“. In der chinesischen Übersetzung des Johannes-Evangeliums heißt es: „Am Anfang war das Tao, der Weg…“
Wort wird hier zu Weg; die Wegweisung und –richtung erfahren wir von Meistern wie Jesus Christus, der uns zur Wegänderung aufgefordert hat. Der intellektuelle Dogmatismus ist keine Wegzehrung, um nach Hause zu kommen.

Gehen, sich auf den Weg machen, ist ein Kernthema der Lehren Jesu Christi. Er war ein Wegweiser (Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben), kein Religionsgründer. Jesus Christus hat uns das Königreich Gottes in seiner unmittelbaren Erfahrbarkeit gezeigt. Aber mit der Gegenwart wussten die meisten seiner Jünger nichts anzufangen. Bereits vor über 2.000 Jahren bestand das Problem der Gefangenschaft in den Projektionen von Vergangenheit und Zukunft. Die Emmaus-Geschichte am Ende des Lukas-Evangeliums ist hierfür das beste Beispiel.

Die Stunden des Tages sind Gebets-Einheiten. Das wissen wir von den Mönchen, die im Rhythmus der Natur gelebt hatten. Die Frage: „wieviel Uhr ist es?“ bedeutet: „welche Stunde des Tages haben wir?“. Uhr kommt von lat.: hora. Die Horen in den Klöstern sind die Gebetszeiten, und aus dem lat.: Verb orare entwickelte sich das Substantiv hora (Stunde). Beten muss wieder ein vertrauensvolles Einlassen auf den Rhythmus des Kosmos werden, wo sich Makro- und Mikrokosmos, Innen und Außen widerstandslos und konfliktfrei symphonisch vereinigen.

In der Bergpredigt (Mt 6, 5 -15) spricht Jesus sehr eindringlich über das Beten:

„Wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler. Sie stellen sich beim Gebet gern in die Synagogen und an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen werden….Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten…So sollt ihr also beten: Unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf der Erde…“
All dies ist der Hinweis auf den im Menschen innewohnenden Urgrund und Wohnort Gottes.

26.12.2024
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist

https://kardiosophie.network


Über Roland R. Ropers

Ehrfurcht vor dem Leben Roland Ropers

Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar– und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.

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Buch Tipp:

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Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle

von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu

Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.

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1 Kommentar

  1. Danke an Herrn Ropers, für diesen Beitrag. Ich habe eine Ausrichtung dadurch und keine Weisheit bekommen die ich brauchte dadurch. Es war genau richtig.
    Gottes Segen an Sie und ihre Liebsten und ein wundervolles gesundes neues Jahr!

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