Cathleens Apfelbaum spirituelle Geschichte

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Cathleens Apfelbaum spirituelle Geschichte alter baum mossCathleens Apfelbaum – Shared Earth

Als die Jacksons das Haus seiner ehemaligen Nachbarin Cathleen kauften, entfernten sie als erstes die ausladende Hecke.

Steve war überrascht aber ziemlich gelassen. Sogar dankbar.

Die Hecke war so groß gewesen, dass sie seinem Gemüsebeet das Licht genommen hatte. Er hatte immer vorgehabt Cathleen daraufhin anzusprechen, aber jedes mal wenn er sie sah, sah sie noch kränker aus als davor. Er hatte sie nie damit behelligen wollen.

Was ihn betraf, taten die neuen Besitzer ihm eigentlich einen Gefallen, indem sie die Hecke beseitigten.

Ein paar Tage später tauchte ein Mini-Bagger auf und ebnete den kompletten Vorgarten ein. Steve war schockiert als er sah, dass die liebevoll gepflegten Staudenbeete und Büsche rücksichtslos rausgerissen wurden und in einem Container landeten. Nichts blieb erhalten, nicht mal ihr kleiner Teich, den sie Ted’s Pond nannte. Er wurde kurzerhand einfach aufgefüllt.

Steve spürte einen stechenden Schmerz als er es sah. Er hatte ihr dabei geholfen, den Teich einzurichten, nachdem ihr Mann Ted gestorben war. Es war ein guter Mann gewesen. Cathleen hatte seinen Tod nie überwunden. Sie saß oft am Teich. Und ein paar Jahre später war auch sie gegangen.

Sie waren seit über zwanzig Jahren seine Nachbarn gewesen und es hatte nie Streit gegeben. Steve überlegte, was Cathleen zu alledem sagen würde.

Als nächstes kam ein Lastwagen mit Kran an und lud in der Einfahrt das Baumaterial für einen neuen Zaun ab. Steve lehnte an seinem alten Apfelbaum und staunte über die Präzision des Manövers. Innerhalb von wenigen Stunden war die Arbeit erledigt und nun stand dort eine dichte Barriere aus zwei Meter hohen Zaunpaneelen.
Sie zerschnitten den Grund in einer schnurgeraden Linie und liefen exakt an der penibel vermessenen Grenze entlang. Ihm fiel die Geschichte von den zwei Nachbarn ein, die Jahrzehnte lang um wenige Zentimeter gestritten hatten. Um Himmels Willen, das war kaum so breit wie der Zaun. Die Gerichtskosten waren astronomisch hoch. Steve überlegte wie hoch der menschliche Preis wohl gewesen sein mochte.

Er streichelte liebevoll seinen alten Apfelbaum; es war sein Einzugsgeschenk von der gutmütigen Cathleen gewesen.

An seinen Zweigen hatten sich vor kurzem die zierlichen weissen Blüten zu öffnen begonnen und zogen bereits Hummeln an. Er dachte etwas säuerlich, dass sich Vögel und Insekten nicht an die Abgrenzungen der städtischen Flurkarte hielten. Sie besuchten die Bäume und Blumen jenseits von allen Mauern und Zäunen. Das war auch gut so, da sie eine wichtige Rolle bei der notwendigen Pollenübertragung spielten. Sie sorgten unauffällig dafür, dass Befruchtung und Fruchtbarkeit wie von der Natur vorgesehen, gewährleistet wurden. Es erwärmte sein Herz ihr eifriges Hin-und Her-flitzen über den Zaun von seinem Baum zu dem Baum, den Cathleen in ihrem Garten gepflanzt hatte, zu beobachten. Ohne sie gäb es keine Äpfel und keinen köstlichen Apfelkuchen und auch kein Fallobst für die Vögel.

Mit Ausnahme von Cathleens Baum, der mit Sicherheit der Hauptbestäuber war, gab es in der näheren Umgebung kaum andere Apfelbäume, wenn es überhaupt welche gab.

Steve hatte einen beunruhigenden Gedanken. Die neuen Nachbarn hatten doch wohl nicht auch den Apfelbaum abgesägt. Es gab nur eine Möglichkeit das festzustellen.

Es war nicht ganz einfach auf dem Holzschemel zu balancieren. Die Hockerbeine sanken in die weiche Erde ein, sodass seine matschigen Gummistiefel auf einer rutschen Schräge standen.

Er hoffte, dass die Jackson nicht gerade in dem Moment schauten und sahen wie sein Kopf über dem Zaun auftauchte und seine Hände festkrallten, wie eine lebende Kilroy-Karrikatur. Nicht gerade der beste erste Eindruck. Der Hocker blieb gerade noch so lange stehen, bis er einen Blick auf die geebnete, nackte Erde werfen konnte, wo Cathleens Baum einst gestanden hatte, bevor er aus Sympathie für Steve’s weiche Knie zusammenbrach. Steve lag aus gespreizt im ungeschnittenen Gras, dort wo der Rasenmäher nie hinkam. Der Hocker ahmte seine glücklose Position nach und rollte auf die Seite.

Er war nicht verletzt, nur von Brennnesseln verbrannt. Es würde eine Weil jucken, das war alles. Aber der Verlust von Cathleens Apfelbaum – das war eine ganz andere Sache.

Er stapfte zum Haus zurück und schleifte den Hocker hinter sich her. Wer, um alles in der Welt, sägte einen völlig gesunden Apfelbaum um?

Er machte einfach keinen Sinn. Es gab genug Platz und jedermann mochte doch Äpfel, oder nicht?

Die dummen Jacksons hätten umsonst Äpfel von ihrem eigenen Baum haben können und ganz ohne giftige Spritzmittel! Der egoistische Wunsch einen sinnlosen Rasen anzulegen, hatte nicht nur ihrem eigenen Baum das Leben gekostet sondern, im Prinzip auch seinen ruiniert.

An diesem Tag begannen die Jacksons mit dem Einzug. Als die ihn sahen, winkten sie freundlich. Steve wollte die Situation nicht unnötig verschärfen und winkte pflichtschuldig zurück. Aber er war mit dem Herzen nicht dabei. Falls die Jacksons etwas bemerkten, zeigten sie es nicht und stapften mit Kisten unentwegt vom Umzugswagen zu ihrem Haus und wieder zurück.

Auf dem Lastwagen sah man eine Reklame, die einen Menschen zeigte, der einen großen Baum in einem Topf trug.

Das brachte Steve auf einen Idee. Er könnte einen zweiten Baum in seinen eigenen Garten pflanzen! Es gab gerade genug Platz Carl Franz AppleTreedafür, wenn er einen von diesen Zwergsorten kaufte und dann hätte er nicht nur einen Bestäuber, sondern noch mehr Äpfel für sich und die Vögel.

Es gab eine verwirrend große Auswahl im Katalog, aber Steve hatte seine Hausaufgaben gemacht.

Er wählte einen kleinen Baum, mit schmackhaften Äpfeln, die sich gut lagern liessen. Den Bildern nach zu urteilen, war der Baum ein kleines Schmuckstück. Ein echter Gewinn für den Garten.

Es dauerte nur einen Tag, bis er ankam. Steve sah mit Entsetzen, dass er völlig in eine schlauchförmige Verpackung eingewickelt war. Er wickelte den jungen Baum vorsichtig aus und trug ihn in seinem kleinen Topf zu der Stelle, an die er ihn einpflanzen wollte. Als er ihn abgestellt hatte, fiel ihm sofort auf, dass etwas nicht stimmte. Was, wenn die Äste so lang wurden, dass sie im Winter gegen das Gewächshaus schlugen? Er hob den Setzling wieder hoch und stellte ihn einige Meter weiter weg. Er trat zurück und versuchte sich vorzustellen, wie er aussehen würde, wenn er die Größe erreicht hatte, die im Katalog angegeben war. Die Stelle ging auch nicht, hier wäre er zu nah am Gemüsebeet.

Er könnte ihn noch weiter weg stellen, aber dann würde er in den Weg rein wachsen und er müsste ihn asymmetrisch schneiden.

Frustriert hob er den Topf wieder auf und wünschte sich, dass Cathleen mit ihren guten Ratschlägen noch da wäre.

Seine Überlegungen wurden unterbrochen als jemand ihn rief. Am Gartentor stand eine Frau. Es war Frau Jackson; seine neue (und nicht so willkommene) Nachbarin. Er ging zu ihr hinüber und hielt den Baum schützend in seinen Armen fest.

„Hi, Ich bin Maggie“, sagte sie lächelnd. Sie warf einen Blick auf ihren Mann, der eine Kiste nach der anderen schleppte. „ Das ist George. Wir ziehen heute ein und ich dachte ich komm mal rüber um hallo zu sagen.“

Steve verlagerte den Topf auf einen Arm und streckte ihr die Hand hin.

Da fiel ihm zum ersten mal auf, dass sie schwanger war. Er hatte einen Einfall.

„Hätten Sie gern diesen kleinen Apfelbaum?“ fragte er „Er nimmt nicht viel Platz und aus den Äpfeln kann man leckeren Apfelkuchen für die wachsende Familie machen.“

Maggie sagte strahlend „Danke! Das ist eine wunderschöne Idee.“

10.06.2018
© Carl Franz
Aus dem Englischen übersetzt von Michaela Wider
Illustration von Emma Franz
www.themindofmishka.weebly.com

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ranz-Carl-WiderCarl Franz

Der Autor und Künstler lebt auf dem Land im wunderschönen Yorkshire, England.
Er ist Reiki Meister und Traumdeuter, liebt Katzen und die Kommunikation mit der Natur.
Seine Werke erscheinen regelmäßig in der lokalen Zeitschrift “Howden Matters” und auch in Online-Zeitschriften.
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