Menschliches LEID und die SINN FRAGE

Spinne im Sonnenlicht

Menschliches Leid Spinne im Sonnenlicht Menschliches LEID und die SINN FRAGE

Jedem von uns lastet etwas mehr oder minder schwer auf der Seele, jeder von uns kann ur.plötzlich von un.säglichem Leid überspült werden und sich un.erwartet am Rande tiefer Verzweiflung angesiedelt sehen. Der eine ist stark und vermag Leid in seiner Vielfältigkeit locker zu tragen, den anderen erdrückt es schier.

Wie dem auch sei, ich stelle jedenfalls ganz lapidar meinen Ausführungen zur Leid.bewältigung voran, dass Leiden zur Sinn.erfüllung im mensch.lichen Da.sein NICHT not.wendig ist.

Was jedoch genauso lapidar als meine Grundthese behauptet werden soll, ist, dass Sinn auch möglich ist TROTZ Leiden, wenn nicht sogar gerade durch das Leiden.

Solange wir freilich die Ur.sache eines Leidens beheben und beseitigen können, ist es das einzig Sinn.volle, dies zu tun. Ist die leid.volle Situation aber un.abänderlich, dann spätestens wird der Schrei nach Sinn un.überhörbar, und zur ohnedies misslichen Lage gesellt sich noch das vom Wiener Neurologen und Psychiater Viktor E. Frankl so genannte „Leiden am sinn.losen Leben“.

In der Regel wird solches Leben nicht durchgestanden, nicht verkraftet, zumindest nicht auf Dauer:

Manch einer gibt dann verzweifelt und zermürbt die Fahrkarte zum Leben zurück und löst seine Problematik durch Suizid, einem hinaus.geschleuderten, einem ge.lebten oder besser gesagt: einem ge.storbenen „Nein“ zur Sinn.frage des Lebens. Es gibt durchaus einen Zusammenhang zwischen Selbst.tötung und Sinn.losigkeits.gefühlen, der – auf der Basis einer breit angelegten Querschnittsuntersuchung – für 20 %, also für jeden Fünften der gegenwärtigen Durchschnittsbevölkerung eindeutig attestiert wird. Hier bewahrheitet sich, was kein Geringerer als Albert Einstein gesagt hat:

„Wer sein eigenes Leben als sinn.los empfindet, der ist nicht nur un.glücklich, sondern auch kaum lebens.fähig“.

Natürlich wirft nicht jeder nur deshalb sein Leben weg, weil er an Leere und Überdruss und Perspektivelos.igkeit leidet, aber der Suizid wäre oftmals unterblieben, hätte dieser Mensch Sinn in seinem Leben und in dieser seiner scheinbar aussichts.losen Situation gesehen. Gerade für solche Situationen und Lebens.abschnitte, wo durch Leid und Unglück und un.abänderliche Schicksals.schläge der Sinn.horizont getrübt ist, was leicht zu Sinn.losigkeits.gefühlen oder totalem Sinn.verlust führen kann, gerade da ist es nicht nur enorm wichtig, sondern über.lebens.not.wendig, die grundsätzliche Sinn.haftigkeit des mensch.lichen Da.seins auszuloten und als existent auszuweisen.

Die Menschen auf der Sonnen.seite des Lebens fragen nicht oder (nur) selten nach Sinn – für den am Leben Frustrierten jedoch wird die Sinn.frage zur Lebens.frage schlechthin, zum Problem:

Das ist wie mit der Luft, die man so selbstverständlich atmet und deren man sich als so sehr lebens.wichtig erst bewusst wird, wenn einem jemand den Hals zudrückt.

Für genauso bedeutsam halte ich den Sinn – und Sinn.verlust endet oft tödlich, so, als würde einem die Luft abgewürgt. Sinn.verlust ist zumindest ein Un.heil, das den Menschen in seiner Ganz.heit, im Denken, Wollen und Empfinden zutiefst betrifft.

Das menschliche Leben benötigt Sinn, um (überhaupt) gelebt werden zu können, und NUR EIN SINN.ERFÜLLTES LEBEN LOHNT ZU LEBEN.

In vielen Jahrzehnten hat Viktor E. Frankl, der Begründer der Logotherapie – lógos heißt Wort, Geist und Sinn -, in Büchern, Artikeln und weltweit auf Vortragsreisen darauf hingewiesen, dass das Leben einen Sinn hat, dass es diesen in absolut keiner Situation verliert, und dass der Mensch grundsätzlich fähig ist, diesen Sinn zu erkennen und hinzugehen, um ihn zu erfüllen.

Seine Aussagen sind umso glaub.würdiger, als da ein Über.lebender von vier Konzentrationslagern spricht:

„So hört denn das Leben buchstäblich bis zu seinem letzten Augenblick, bis zu unserem letzten Atemzug, nicht auf, Sinn zu haben.

Diese Grundthese ist aber nicht etwa eine bloße Annahme, sondern sie ist längst schon von einer ganzen Reihe methodisch sauberer Forschungsprojekte empirisch erhärtet worden. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass sich im Leben Sinn finden lässt grundsätzlich un.abhängig von der Geschlechts.zugehörigkeit eines Menschen und von seinem Bildungs.grad, von seinem Alter, von seinem Intelligenz.quotienten und von seinem Bildungs.grad, von seiner Charakter.struktur und von seiner Umgebung, un.abhängig schließlich auch davon, ob einer religiös ist oder nicht, und für den Fall, dass er religiös ist, wieder un.abhängig davon, welcher Konfession auch immer er angehören mag.

Kein Psychiater, kein Psychotherapeut – auch kein Logotherapeut – kann einem Kranken sagen, WAS der Sinn ist, sehr wohl aber, DASS das Leben einen Sinn hat, ja – mehr als dies: dass es diesen Sinn auch behält, unter allen Bedingungen und Umständen, und zwar dank der Möglichkeit, noch im Leiden einen Sinn zu finden.”

Verstehbar werden diese starken Worte eigentlich erst, wenn zwei Wirklichkeiten verdeutlicht werden, nämlich die Wirklichkeit mensch.licher Existenz und jene nach unserem Verständnis von Sinn.

* Wäre der Mensch ein in sich geschlossenes, ein.sames und selbst.genügsames Einzel.wesen ohne Beziehung zu all dem, was nicht wieder er selbst ist, also ohne Beziehung zur Natur, zur Welt, zum Mit.menschen, überhaupt zum Da.sein und Leben, würden wir ihn eine Monade (mónos = allein) nennen ohne Tür und Fenster nach draußen.

Der Mensch ist jedoch ein dia.logisches Wesen, womit schon Wesentliches zur Wirklichkeit mensch.licher Existenz gesagt ist.

Stein und Pflanze sind einfach da, Tiere vegetieren, der Mensch aber „ex.sistiert“, und das bedeutet, dass er „hinaus.steht“ auf Welt, auf die Um.welt und Mit.welt, dass er hinaus.greifen kann und bezogen ist auf etwas, das er nicht selbst ist, auf ein „Draußen“.

Diese Offen.heit oder Öffnung nimmt der mensch.lichen Existenz das Statische und gibt ihr eine dynamische Richtungs.orientierung, weg von sich selbst auf eine andere Wirklichkeit hin, weshalb der Mensch ganz Mensch ist erst im Ent.gegen.Gehen und Gegen.über.Treten, in der Be.gegnung, im gegen.wärtigen Bei.Sein bei Dingen und Menschen, im Bei.einander.Sein.

Dieses wesentliche Aus.sich.selbst.Heraustreten und Über.sich.selbst.hinaus.sein.Können als Über.Steigen des Ichs auf Sachen, auf eine Aufgabe oder auf einen Menschen hin nenne ich mit Viktor E. Frankl die Fähigkeit des Menschen zur SELBST.TRANSZENDENZ.

Nun ist wesentlich, dass wir dieses „Draußen“, auf das hin mensch.liche Existenz offen ist, auch benennen können:

Es sind dies die Tausenden von Situationen, in und vor denen sich der Mensch vor.findet und die darauf warten, dass er sich auf sie einlasse. Sie stehen mir gegen.über, sie gehen mich etwas an, sie sprechen mich an, sie springen mich gleichsam an, und ich kann oder will und muss oder soll darauf eingehen, ant.worten und diese ver.ant.worten.

Situation ist immer Situation für mich!

Man braucht nicht nur an den Säugling zu denken, aber dieses Muster, dass etwas oder jemand auf mich wartet und ich re.agieren, ant.worten muss/soll, haftet dem mensch.lichen Leben wesentlich an, und es kommt ganz darauf an – wenn Leben gelingen will! -, sich einzulassen und er.kennend oder kreativ.schaffend oder liebend oder gar leidend „Ant.wort“ zu sein.

Und haarscharf hier liegt der Schlüssel, der Sinn.erfülltes Leben überhaupt erst ermöglicht: Wenn der resignierende und verbitterte Mensch nur darum kreist zu beklagen, was er nicht hat, was ihm verlustig ging, was er aus Gerechtigkeits.gründen glaubt hätte bekommen müssen, und sich aufgibt mit dem nicht selten tödlichen Stoßseufzer “Ich habe ja vom Leben nichts mehr zu erwarten“, dann tut Not eine Wendung in der ganzen Fragestellung, wie dies Frankl in einer fundamentalen Aussage anbietet:

„Holen wir zu einer Rückbesinnung auf die ursprüngliche Struktur des Welterlebens aus, dann müssen wir der Frage nach dem Sinn des Lebens eine kopernikanische Wende geben: DAS LEBEN SELBST IST ES, DAS DEM MENSCHEN FRAGEN STELLT.

Er hat nicht zu fragen, er ist vielmehr der vom Leben her Befragte, der dem Leben zu antworten hat – das Leben zu ver.antworten hat. Die Antworten aber, die der Mensch gibt, können nur konkrete Antworten auf konkrete ‘Lebens.fragen’ sein. In der Ver.antwortung des Daseins erfolgt ihre Beantwortung, in der Existenz selbst ‘vollzieht’ der Mensch das Beantworten ihrer eigenen Fragen.“

In diesem Verständnis haben wir also einen dia.logisch geführten Austausch des Menschen mit seiner Situations.welt.

Wir können dann so sagen:

MENSCHSEIN HEIßT IN-FRAGE-STEHEN – UND LEBEN HEIßT ANTWORTEN.

* Was immer als An.sprechendes von uns wahrgenommen wird, es stellt uns die Frage: „Wie gehst du damit um“, „Was soll daraus werden?“, „Wozu bist du jetzt da?“ – und alle diese Fragen laufen auf den Begriff „SINN“ hinaus, der noch abzuklären ist:

Der Sinn, den ich hier meine, ist nicht auf Rezept zu erhalten, er lässt sich nicht ver.schreiben, schon gar nicht für die Tiefen mensch.lichen Lebens mit Not, Kummer, Depression, Angst, Schuld, Unglück, Leid und Tod.

Sinn kann nicht gegeben, für einen anderen gegeben, kann nicht er.zeugt, er.funden werden, Sinn muss und Sinn kann auch GE.funden werden. Man bedenke hierzu: Dass die Wurzel von 169 die Zahl 13 ist, kann ich auch nur finden, heraus.finden, nicht er.finden.

So ist es auch mit dem Sinn:

Der jeweilige konkrete Sinn des Augenblicks, sozusagen die Forderung der Stunde, kann und muss heraus.ge.funden, ent.schlüsselt werden – er ist zu ent.bergen wie das Gold aus dem Geröll einer Mine.

Ich spreche also nicht vom großen all.umfassenden göttlichen oder auch nur theologischen Sinn von Sein und Schöpfung, auch nicht vom Sinn in der Natur als Grund.muster des Lebendigen oder von Kultur als Ausformung der Sinn.suche und Sinn.findung im mensch.lichen Dasein aller Völker, Länder und Epochen, vielmehr geht es mir um den konkreten individuellen Sinn des konkret existierenden Menschen in der oder jener, in der je konkreten Situation:

Jetzt und hier muss Sinn ge.funden werden, denn jetzt und hier be.gegnet mir Leben, mein Leben, bestehend aus Tausenden von Augenblicken, die zu Situationen gerinnen und zur Ent.scheidung drängen.

Jedenfalls ist Sinn immer INDIVIDUELL und SITUATIV, denn jede einzelne konkrete und ein.malige Situation ist eine konkrete und ein.malige Frage an mich in meiner un.vertausch.baren konkreten

Ein.malig.keit meines So.Seins.

Wenn wir unser Leben nicht zubetonieren mit Wunsch.bildern, Erwartungen und einzuklagenden Forderungen und Ansprüchen, sondern unser Leben betrachten als Mög.lichkeit – und

Möglichkeiten sind Wege zu einem Ziel, das noch nicht zur Wirklichkeit erhoben ist -, dann ist Leben verbunden mit ständigen Ent.scheidungen, um aus den Möglich.keiten Wirk.lichkeiten werden zu lassen:

Wir sind immer wieder neu gefordert, aus der Viel.falt der Möglich.keiten, die das Leben und unsere Situations.welt bietet, jeweils die beste oder sinn.vollste herauszugreifen und sie zu

ver.wirklichen. Die Wahl, die Ent.scheidungs.freiheit, ist Sache des einzelnen, die Ver.ant.wortung hierfür aber auch.

Nicht DEN Sinn DES Lebens, sondern den Sinn IM Leben des einzelnen, wie er sich mir zeigt oder ver.hüllt und als individuelle Aufgabe darstellt, haben wir nun kennengelernt als eine

Handlungs.möglich.keit, die sich zwischen den fest.geschriebenen Zeilen der Situation herauslesen lässt.

Wir können vom Aufgaben.charakter des Lebens sprechen, und dann ist Sinn der einer jeden Situation innewohnende Aufforderungs.charakter, wie er jeder einzelnen Situation zukommt, mit der uns die Wirk.lichkeit permanent konfrontiert.

Wenn ich jetzt diese SINN.MÖGLICHKEITEN, die es zu er.füllen oder zu ver.wirklichen gilt, WERTE nenne, die in uns einen Handlungs.impuls auslösen, dann ist SINN.VER.WIRKLICHUNG nichts anderes als WERTE.VER.WIRKLICHUNG:

Die Richtung, die ich meinem Leben gebe, kommt aus den Ent.scheidungen für Werte, die ich ver.wirkliche:

Ich kann beispielsweise an einer Unfallstelle ( = Situation für mich!) un.gebremst vorbeifahren, weil ich einen Geschäftstermin wahrnehme oder ein Rendezvous plane, ich kann aber auch anhalten, um zu helfen: beide Varianten sind Sinn. und Wert.ver.wirklichungs.möglichkeiten einer konkreten Situation.

Sinn.findung und Werte.ver.wirklichung sind also die beiden Seiten ein und derselben Medaille, und Frankl spricht von drei Hauptstraßen, auf denen sich Sinn finden lässt, nämlich in der Ver.wirklichung dreier Wert.kategorien:

• die Realisierung schöpferischer Werte meint jedes aktive Tun des Menschen, der in seiner Um.welt und Mit.welt etwas gestaltet oder verändert.

• Sinn.voll kann das Leben auch werden durch die Er.lebnis.werte, durch das positive Auf.sich.wirken.Lassen von Eindrücken, die eine gefühls.mäßige Re.sonanz bei einem Menschen auslösen, sei es Kunst, Natur, Religion, sei es die Be.gegnung in der Liebe.

• Für unsere Thematik außerordentlich wichtig ist die letzte Gruppe, nämlich die der EINSTELLUNGS.WERTE.

„Zuletzt“, so Frankl, „zeigt sich aber, dass sich auch dort, wo wir mit einem Schicksal konfrontiert sind, das sich einfach nicht ändern lässt, sagen wir mit einer un.heilvollen Krankheit, mit einem in.operablen Karzinom, dass also auch dort, wo wir als hilf.lose Opfer mitten in eine hoffnungs.lose Situation hinein.gestellt sind, ja gerade dort das Leben noch immer sich sinn.voll gestalten lässt, denn dann können wir sogar das Menschlichste im Menschen verwirklichen, und das ist seine Fähigkeit, auch eine Tragödie auf menschlicher Ebene in einen Triumph zu verwandeln.

Das ist nämlich das Geheimnis des Lebens: dass der Mensch gerade in Grenz.situationen seines Da.seins aufgerufen ist, gleichsam Zeugnis abzulegen davon, wessen er und er allein fähig ist.“

In diesem Verständnis kann Leben also auch und noch sinn.voll sein, wenn es weder schöpferisch fruchtbar und aktiv noch erlebnis.reich ist, sondern wo es gilt, Leiden in eine

mensch.liche Leistung zu verwandeln bzw. ein un.abänderliches Schicksal heroisch zu bewältigen, und zwar über den Erwerb und über die Realisierung von Einstellungs.werten.

• hier geht es um Haltungen wie Gelassen.heit und Tapfer.keit im Leiden und Würde auch noch im Untergang und im Scheitern

• hier geht es um Situationen, die wir augenblicklich oder überhaupt nicht ändern können, mit denen aber, so weh es tut, ge.lebt und weiter.ge.lebt werden muss

Die Viel.falt des Leids ist un.endlich, ob nun eine Familie oder Partnerschaft zerbrochen ist,

eine Krankheit nicht heilen will und zum Tode führt, ob eine Berufskarriere zu Ende gegangen ist oder materielle Not zu bitterem Verzicht zwingt.

Hoffnungs.losigkeit mag sich dann breit machen als psycho.hygienisch un.gesunde und gefährliche geistige Ein.stellung, die die Er.lebnis.intensität des Unglücks noch vermehrt und zu

Sinn.losigkeits.gefühlen und Selbst.tötung aus Ver.zweiflung führen kann. EINE Wahl verbleibt dem Leidenden, nämlich – und das ist wesentlich! – die, seine Ein.stellung zur Situation zu modulieren, zu ändern:

[1]Der Leidende kann auf sein Leid mit un.bändiger Wut und Empörung reagieren, sich auflehnen und rebellieren, er kann seine Lage verfluchen oder jammernd, passiv und resignierend in Depression fallen und am Leid zerbrechen.

Möglich jedoch ist aber auch, sich zu einer positiven und helden.haften Ein.stellung durchzuringen, eine mutig.heroische Leistung zu erbringen, mit dieser Haltung an dem

un.abänderlichen leid.vollen Tatbestand zu wachsen und zu reifen und hierdurch vorbild.haft und Trost ausstrahlend auf die Mit.welt zu wirken.

Vor solchen Menschentypen hat der „Mann von der Straße“ den größten Respekt, wie das Ergebnis eines Forschungsinstituts beweist:

Nicht die Politiker, Wissenschaftler und Sportgrößen sind es, nein, im Selbst.verständnis und Lebens.verständnis des Mannes von der Straße gebührt der höchste Rang einem Menschen, der ein schwer(st)es Schicksal zu meistern vermag, bei aller Not die Achtung vor sich selbst nicht verliert und Würde wahrt bis zuletzt.

So hat eine Münchner Boulevardzeitung vor Jahren mit der Schlagzeile „Ein Leben auf der Intensivstation – diese Frau hat es gemeistert“ – ein heroisches Leben geehrt und die Todesanzeige der Krankenhausbelegschaft veröffentlicht, die in „Liebe und Ehrfurcht“ einer Patientin gedachte, die ihr 29 Jahre lang vorgelebt hat, wie man ein Leiden annimmt, das die Medizin nicht heilen kann.

Seit ihrem 20. Lebensjahr bestand dieses Leben, eher: dieses lange Sterben aus künstlicher Beatmung und Ernährung, aus Schmerzen und sehr viel Zuwendung von Schwestern und Ärzten, permanent angeschlossen an die Schläuche medizinischen Fortschritts und stets bewundert wegen der Gelassen.heit, ja: Fröhlich.keit, mit der sie ihr Leiden ertrug und ihrer Um.welt mit deren vergleichsweise winzigen Problemen auch noch Trost zusprach.

„Ich habe gerne gelebt“, soll sie kurz vor ihren Tode gesagt haben.

Das ist nur ein Beispiel dafür, dass das Leben bedingungs.los Sinn.möglichkeiten bietet, und sei es die, Leiden in eine mensch.liche Leistung um.zuverwandeln und zu zeigen,

dass das „mir geht’s gut“ nicht alles ist und auch zulässt ein „Hauptsache, ich bin gut für etwas“.

Das ist SELBST.TRANSZENDENZ, wie sie schon beim Dichter Hebbel anklingt:

„Das Leben ist nicht etwas, es ist immer nur die Gelegenheit ZU etwas“.

Es ist nun mal so, dass der Gaben.tisch mensch.lichen Da.seins mitunter ziemlich leer ist, und dann muss man begreifen lernen, dass der Tisch selber das Geschenk ist – anders formuliert:

Geschenk ist, DASS mensch.liches Da.sein existiert,

DASS es dieses Leben gibt und DASS dies unser Leben ist. Was wir daraus machen, liegt ganz bei uns: WIR füllen die Leere, WIR decken

den Tisch, oder auch nicht (deshalb), weil wir Leben nur dort zu begrüßen bereit sind, wo es jung und schön und gesund und erfolg.reich ist.

Ein.stellungs.änderung bzw. die Realisierung spezieller Ein.stellungs.werte meint die innere Wendung zum Positiven und ist als Wendung zum Sinn.vollen die Bereit.schaft, aus den Vorgegebenheiten das Beste zu machen, aus dem Unglück noch einen Sinn.funken herauszuschlagen, wie z.B. die amerikanische Schriftstellerin und Sozialreformerin HELEN KELLER:

Seit ihrem 2. Lebensjahr ohne Augenlicht und Gehör, lernte sie nicht nur sprechen, sondern beherrschte mehrere Fremdsprachen, gründete Blinden- und Taubstummenanstalten und dehnte ihren Wirkungskreis bis auf Hochschulniveau aus.

Ein kaum überbietbar schönes Zeugnis ihrer Fähigkeit zur Selbst.transzendenz – nämlich von sich selbst weg.zu.sehen und auf anderes, auf Menschen und Auf.gaben hin orientiert zu sein – ist auch ein Ausspruch von ihr, der, wie er Leid relativiert, so auch eine Ein.stellungs.modulation vorführt:

„Ich weinte,
weil ich keine Schuhe hatte,
bis ich einen Mann traf,
welcher keine Füße hatte.“

An Helen Kellers Schicksals.bewältigung wird auch dies deutlich, was ganz wesentlich ist zum Aufleuchten.lassen von Sinn.möglichkeiten bzw. zur Sinn.findung angesichts un.abänderlicher Tatbestände, dass wir nämlich (unbedingt!) eine WAHRNEHMUNGS.SELEKTION vornehmen müssen, und zwar in Richtung des noch – TROTZ Unglück – vorhandenen, verbliebenen Frei.raums, zu handeln oder zu erleben.

So gibt es Leute, die im Rollstuhl Touren unternehmen, an internationalen Championaten teilnehmen oder sich dem aufreibend.ver.antwortungs.vollen Aufgaben.bereich eines Ministeriums oder einer Rundfunkintendanz widmen.

So lernte der Amerikaner JERRY LONG, der infolge eines Tauchunfalls an allen vier Extremitäten gelähmt war, Maschinenschreiben, und zwar mittels eines Holzstäbchens zwischen den Zahnreihen. Er schreibt:

„I broke my neck,but it didn’t break me

– ich habe mir das Genick gebrochen,

aber ich bin daran nicht zerbrochen.

Im Gegenteil: mein Leben fließt über von Sinn.“

Und dann schildert er, dass er liest, fernsieht, sich mit Psychologie an der Universität immatrikuliert hat, mit ihr durch ein Spezialfernsehgerät verbunden ist, so dass er Vorlesungen hören,

an Seminaren teilnehmen und Prüfungen ablegen kann. Ohne diesen Unfall, sagt er am Ende, wäre die Reife, die er erreicht hat, und die Sinn.fülle, die er erlebt, un.möglich gewesen. Er promovierte und hat viele Jahre lang als ein.fühl.samer Logotherapeut Gutes gewirkt.

Solches Verhalten ist gemeint, wenn von der Fähigkeit des Menschen die Rede ist, noch ein Leiden in eine mensch.liche Leistung, eine persönliche Tragödie in einen mensch.lichen Triumph umzuverwandeln –

wie das 20-jährige, querschnitt.gelähmte Mädchen, das sich Zeitungen vorlesen lässt, und – wann immer sie von jemandem hört, der in persönlicher Not ist – mit dem Munde Briefe schreibt und ihnen Mut und Trost zuspricht.

Natürlich kann keine Rede davon sein, Leid sei etwas in sich selbst Sinn.volles bzw. Leid sei geradezu not.wendig, um Sinn zu finden oder zu einer reiferen Persönlichkeit zu wachsen, obwohl viel bittere Wahrheit in dem Dichterwort eines Novalis steckt, Krank.heit sei das schnellste Ross zur Vollkommen.heit, oder wie der Sucht.kranke den ganz massiven Leidens.druck braucht, um sich neu zu orientieren.

Hier will nur „nur“ gesagt sein, dass SINN MÖGLICH ist TROTZ LEIDEN und dass erst dann, wenn die Situation nicht mehr zu beheben, zu verändern ist, alles darauf ankommt, dass wir uns selbst ändern, indem wir eine GESICHTSFELD.ERWEITERUNG vornehmen, unsere Ein.stellung zum Schicksal ändern, die Chance wahrnehmen, über uns selbst hinaus.zu.wachsen und dadurch,

eben am Leiden, zu reifen – das ist „Antwort.geben“ auf die Forderung der Stunde. Der grundsätzliche Aufforderungs.charakter des Lebens verlangt zuweilen, „trotzdem ja zum Leben (zu) sagen“, wie der KZ-Erlebnisbericht Frankls, ein in über drei Millionen Exemplaren aufgelegter world.best.seller, betitelt ist.

Ich will zum Schluss kommen:

Leid ist nun mal da und es gehört zur Vor.findlichkeit und geschicht.lichen Existenz des Menschen –

persönliches schweres un.abänderliches Leid lässt sich weder weg.therapieren noch un.geschehen machen noch darf man es bagatellisieren.

Und es gilt dies:

Nicht die Situation, nur sich selbst kann man ändern, die ganz persönliche Ein.stellung zum (oftmals un.abwendbaren) Leid – aber dafür bedarf es eines Grundes, eines Wertes. Ein Sinn muss gesehen werden.

Wie sagt doch C.G. JUNG:

„Sinn macht vieles,
vielleicht alles er.tragbar“,

oder um mit Friedrich NIETZSCHE zu sprechen:

„Wer ein Warum zu leben hat,
erträgt fast jedes Wie.“

Wer also durch die richtige Ein.stellung für jede Situation seines Lebens um den Sinn und damit also um die jeweilige Wert.Verwirklichungs.Möglichkeit weiß, wird alle Schwierigkeiten

meistern, weil es „Sinn macht“, Leid heroisch zu ertragen – beispielhaft und Mut machend für andere – und darin zu reifen und zu wachsen.

Was „will“ das Leid be.wirken?

Keiner hat dies treffender beschrieben als der israelische Maler und Bildhauer Yehuda BACON, der als Kind nach Auschwitz kam, seine Familie dort verlor und nach seiner Befreiung unter entsetzlichen Zwangsvorstellungen litt. Auf die Frage, welchen Sinn die in Auschwitz verbrachten Jahre gehabt haben mochten, schminkt er sich alle Illusionen ab, die Welt nach Auschwitz ändern zu können durch seine Erlebnis.berichterstattung, und sagt:

„Erst viel später habe ich wirklich verstanden, was der Sinn des Leides ist.
Das Leiden hat einen Sinn,
wenn du selbst ein anderer wirst.“

Man kann keine all.umfassende Zauberformel der Lebens.bewältigung oder Leid.bewältigung abliefern, auch nicht sagen: DAS ist der Sinn des Lebens und Deines Leidens, schaut her, so sieht er aus.

Leid als eine Art Bewährungs.probe, Leid als Heraus.forderung und An.frage des Lebens an uns, eine optimale Ant.wort darauf finden zu müssen, etwa die: zu zeigen, wessen der Mensch fähig ist im Sich.Ändern und Über.sich.selbst.Hinauswachsen, das könnte eine Lösung sein und sie trifft sich mit einer Aussage des Hirnchirurgen CUSHING:

„Die einzige Möglich.keit,
das Leben auszuhalten,
besteht darin,
immer eine Aufgabe vor sich zu haben.“

Ein solches Ja zum Leben verrät, dass es weniger (und vor allem nicht vorrangig) darauf ankommt, wie lust.voll oder leid.voll unser Leben ist, sondern darauf, ob es SINN.VOLL ist.

Dass wir mehr und mehr fähig werden, immer wieder neu Sinn.funken aus und in jeder Situation zu schlagen, um leben, über.leben und weiter.leben zu können, das ist mein Wunsch für jede Stunde, für jeden Tag und insgesamt für jedermanns Leben.“

21. Februar 2013
(c) Dr. Bernhard A. Grimm
Autor

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188_Grimm Dr. phil. Bernhard A. Grimm

ist Philosoph, Theologe und Althistoriker und beschäftigt sich – nach seiner Tätigkeit in Lehre und Forschung an der Universität München und im Management eines mittelständischen Unternehmens – seit 25 Jahren als selbständiger Dozent in Seminaren, Kolloquien, Vorträgen und Publikationen mit Fragen der Persönlichkeitsbildung, Führungsethik, Sinnfindung, Wertorientierung (Logotheorie) und Spiritualität. Er ist Autor von sieben Sachbüchern (so z.B. „Ethik des Führens“, „Macht und Verantwortung“, „Die Frau – der bessere Mensch“, „Lust auf Leben – Leben braucht Sinn“, „Älter wird man in jedem Alter“).

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