
Frei geboren – Freiheit und spirituelles Leben
Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie falsch dargestellt wird, aber in vielen Fällen bedingt sie eine einseitige Sichtweise. Sieger in unserem System sind Menschen, die dank der Arbeits- und Kaufkraft anderer nicht nur ihr Auskommen finden, sondern ein immenses Vermögen anhäufen, das ihnen weitreichende Macht und Einfluss auch in Bereichen ermöglicht, die eigentlich uns alle angehen.
Wie es dazu kam, ist natürlich vielschichtig und nicht schnell erzählt, aber ein Aspekt unter anderen ist unsere kollektive Vorstellung, dass die Menschen in die Zentren der frühen Industrialisierung, also die Städte, zogen, um die harten Lebensbedingungen in der bäuerlichen Landwirtschaft gegen das freie Leben und das gute Geld in den Fabriken und Manufakturen zu tauschen. Landflucht ist also die Geschichte, die uns erzählen soll, dass städtisches Leben und damit das moderne Leben per se erstrebenswert ist und dies schon zu Beginn von den Menschen erkannt wurde, sie daher also richtig sein muss.
Dass es ein wenig anders war, ist in unserer Erinnerung nicht ganz so präsent. Die ersten Lohnarbeiter, die zu Beginn der Industrialisierung von kleinen Höfen oder aus dem familieren Handwerk kamen, um die Fabriken am Laufen zu halten, waren ganz und gar nicht willig, stundenlang im Gleichtakt zu arbeiten. Sozusagen “frei geboren” zogen viele das Vagabundieren oder Betteln dem Eingesperrtsein in den Fabriken vor.
Und wenn sie die Arbeit doch durchhielten, dann war das zumeist kein freiwilliger Akt sondern aus der Not geboren: Politisch gewollt, dass die Menschen sich der Wirtschaft zur Verfügung stellten, hatte man sie der Allmende beraubt, die Armenfürsorge gestrichen, das Betteln verboten. Arbeitshäuser und Schulen wurden eingerichtet, die die Menschen zur Unterwerfung unter das Diktat der Maschinen erziehen sollte. Und es dauerte lange, sie ihres Wunsches nach Selbstbestimmung, nach Pausen, nach Abwechselung, frischer Luft und Sonne, träumen und bummeln zu entwöhnen.
Schon damals gab es Protest und Auflehnung, die Arbeiter waren stolz und wehrhaft und nicht leicht unterzukriegen. Bessere Bedingungen wurden ausgehandelt, Kompromisse geschlossen, aber die einfachen Leute sind trotzdem nicht Sieger geblieben, denn sie tragen auch heute noch ihre Haut als Lohnabhängige zu Markte.
Landflucht und Industrialisierung beraubte die Menschen ihrer Heimat, entwurzelte sie nicht nur ökonomisch sondern auch seelisch. Das wurde schmerzlich empfunden und brachte als kulturelle Gegenbewegung die Romantik hervor. Die Sehnsucht nach der verlorengehenden Beziehung zur Natur, die Betonung des individuellen Empfindens, die schöngeistige Betrachtung waren Versuche, eine Arbeits- und Lebenswelt, die einen auf das Funktionieren im Getriebe reduziert, abzuwehren.
Wie damals die Romantik, gibt es auch heute eine Gegenbewegung, die sich der Vereinnahmung des Menschen als Arbeits- und Konsumobjekt in einer versachlichten Umgebung, entgegenstellt: die im weiten Sinne spirituelle Bewegung. Sie holt Zauber, Poesie und Schönheit in unsere Welt zurück, sie verwurzelt uns neu in unserer geistigen Heimat, ermächtigt den Einzelnen Gestalter seines Lebens zu werden und gibt der Sehnsucht nach gerechterem und empathischerem Miteinander Raum. Sie zeigt Wege auf, aus ihr erwächst Hoffnung und Kraft. Und die brauchen wir dringend, um eine bessere Welt zu bauen.
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Anja Mertens
zog 2015 in ein kleines Blockhaus im Wald in der Lüneburger Heide, wo sie mit Mann und Hund lebt. Dort entstand ihr Buch “Waldwandel”, das den dort gelebten Alltag beschreibt und versucht, eine ganz persönliche Antwort auf existentielle Lebensfragen des Menschen in der modernen Gesellschaft zu finden.
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