Der Michelangelo – Effekt,
oder wie unsere Partner uns ganz nebenbei zu einem besseren Menschen werden lassen
„Das Michelangelo Phänomen beschreibt Paare, in denen sich die Partner wie Bildhauer verhalten und dem anderen dabei helfen, seine wahre Schönheit zu entfalten“
Hand aufs Herz neigst du dazu in deinem Gegenüber erst das Beste zu sehen oder fällt dir eher auf was dich nervt und abschreckt?
Solltest du erst das Gute sehen, dann kann dein*e Partner*in sich glücklich schätzen, denn jeder von ist dafür mitverantwortlich das volle Potential des Partners auszuschöpfen.
Die Psychologie beobachtet diesen Effekt schon seit langem und es gibt diverse Forschungsarbeiten dazu.
So nahm z.B. die Northwestern Universität eine Zeit lang die Einstellung von Paaren innerhalb der Beziehungen ins Visier.
Die Partner wurden zu ihrem allgemeinen Befinden in der Partnerschaft befragt und ob sie sich wie ihr „echtes – oder ideales Selbst“ fühlen.
Das Ergebnis war, dass die Partner, die sich nach ihrem Gefühl in einer glücklichen Beziehung befanden, auch in Form ihres „idealen Selbst“ einstuften.
Warum gaben sie ihm den Namen „Michealangelo“? Vermutlich weil dieser gleichnamige Bildhauer aus der Renaissancezeit vor Arbeitsbeginn in jedem Marmorblock schon das fertige Kunstwerk sah.
Michealangelo Partnerschaften sind somit das genaue Gegenteil von toxischen Beziehungen, über die gefühlt deutlich mehr berichtet wird.
Hier ist das Grundgefühl: „ich bin ein besserer Mensch, wenn ich mit ihr/ihm zusammen bin“.
Doch was passiert beim Michelangeloeffekt jetzt genau?
Dieses Phänomen beruht auf dem simplen Prinzip der Verhaltensbestätigung. Sprich wenn mein Gegenüber mich z.B. für warmherzig, liebevoll, großzügig, witzig, spontan etc. hält, dann weil ich diese Qualitäten an den Tag lege und Dank ihrer/seiner Wahrnehmung weiter ausprägen werde. Denn ich möchte ja weiter so gesehen werden und fühle mich wohl mit dieser Sichtweise. Der liebende Blick setzt quasi das Gute in mir frei.
Erinnert mich sehr an das Verhalten in unserer Kindheit, wo die Brille, durch die uns unsere Eltern sehen, sehr entscheidend ist. Wenn meine Eltern mich als mutiges, schlaues, freundliches, talentiertes Kind sehen werde ich mich genau dahingehend weiter entwickeln, um ihre Erwartungen zu erfüllen.
Zeigen sie mir allerdings auf, dass sie mich für dumm, feige, weinerlich oder sonst wie ungut empfinden, werde ich leider versuchen weiter so zu sein, um ihre Erwartungen nicht zu enttäuschen.
Als Kind halte ich meine Eltern für Götter und sie haben natürlich die ersten Jahre immer Recht.
Ich wünschte alle Eltern würden von Geburt an ihre Kinder als die Wunderwerke betrachten und entsprechend behandeln. Dann müssten diese sich als Erwachsene ganz sicher nicht mit mangelnder Selbstliebe beschäftigen.
Die „soziale Ansteckung“ ist ein weiteres Merkmal des Michelangeloeffektes.
Wir lieben es gemeinsam mit unserem Partner förderliche Gewohnheiten zu entwickeln. Und wenn diese Gewohnheiten auch dem Wohle anderer Menschen dienen, ist es noch befriedigender.
In unserer Nachbarschaft gibt es z.B. ein Paar, die lieben es zu Weihnachten das ganze Haus besonders fantasievoll zu schmücken, innen wie außen. Sie sitzen dann gerne auf ihrer Bank vorm Haus und genießen die Zusprüche der umliegenden Familien und Kinder. Sie bringen definitiv Weihnachtsfeeling in unser Veddel und so habe ich sie auch in mir abgespeichert. Ah, dass ist doch das Paar das…Und alle anderen versuchen auf ihre Art und Weise ebenfalls was zur Atmosphäre beizusteuern.
Guck dich doch mal in deinem Freundes/Bekanntenkreis um, wie nimmst du die Paare wahr, für was stehen sie bei dir und womit kannst du / könnt ihr andere positiv anstecken?
Mein Liebster und ich lieben es z.B. zu diskutieren und haben selber unfassbar viel Freude daran uns in unseren Argumentationsketten zu puschen und weiter und größer zu denken. Dabei geht es nie um Recht haben wollen, sondern zu entdecken was wir denken und was in uns steckt. Das inspiriert oftmals unsere Freunde so sehr, dass wir den Raum bieten für echten Austausch und egal welches Thema auf den Tisch kommt einen konstruktiven Umgang damit finden. Gerade in den letzten Monaten hat das sehr geholfen beieinander bleiben zu können, auch wenn die Meinungen manchmal sehr auseinander gingen.
In guten Beziehungen „entschärfen“ die Partner die vielleicht manchmal etwas schrulligen Persönlichkeitszüge des anderen auf eine charmante Art und Weise. Außerdem beobachten sich die Partner gegenseitig im Alltag und imitieren die jeweilige Erfolgsstrategie des anderen.
Was bedeutet der Michelangeloeffekt noch für unsere Beziehungen?
Er gibt der Entfaltung der Liebe einen ganz besonderen Flair und lädt die Partner ein sich gegenseitig zu formen und die schönsten Seiten zum Vorschein zu bringen.
Diese 4 Aspekte zeigen auf, wie diese gegenseitige Unterstützung aussehen kann:
Sich selbst nicht so wichtig nehmen und dem*r Partner*in nichts aufdrängen, was nicht gewünscht ist. Es dürfen hier die Eigenschaften ins Licht gesetzt werden die der/diejenige auch in sich selbst sehen möchte.
Mach mehr von dem was gut ist und ermögliche so dem Gegenüber diese Eigenschaften noch weiter auszubauen. Im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung ist es ein riesiges Geschenk wenn dich deine Umgebung unterstützt, nährt, sieht und zum weiteren Wachstum inspiriert.
Reden ist einfach alles, denn durch positive Rückmeldungen, aber auch eine konstruktive Kritik trägt dieser Effekt Früchte für alle und lädt ein immer wieder über sich selbst hinaus zuwachsen.
Hab Vertrauen in den Prozess und alle Zeit der Welt. Es geht hier nicht darum das der*die Partner*in in möglichst kurzer Zeit zur besten Version seiner/ihrer Selbst werden soll. (ich weiß auch gar nicht ob das erstrebenswert ist, denn das würde ja bedeuten dass es ein Limit gäbe) Im Focus liegen das schrittweise Erblühen der eigenen Person und sich immer wieder neu definieren zu dürfen.
Vielleicht denkst du jetzt beim lesen dass sich das eher nach einem personal Coach als nach einer*m Partner*in anhört?
Hey, warum denn eigentlich nicht?
Willst du mein Coach sein, Schatz?
Wir geben oft so viel Geld für Weiterbildungen aus, machen einen Workshop nach dem nächsten und hoffen auf gute Erkenntnisse, die uns weiterbringen. Dabei kann die Person, die das Leben mit uns teilt, doch das hilfreichste Feedback überhaupt geben.
Denn wenn es um uns selbst geht, haben wir alle unsere blinden Flecken und da können unsere Partner helfen mehr zu sehen.
Doch diese Sichtweise scheint noch etwas ungewöhnlich zu sein. In meiner Arbeit mit Paaren und auch aus eigener Erfahrung ist es nicht naheliegend den/die Partner*in als qualifizierte*n Problemlöser*in zu betrachten. Da wird eher miteinander konkurriert oder die Beziehung als Problemfeld deklariert.
Dabei ist sie genau das Gegenteil, auch wenn nicht immer alles rund läuft. Sie ist eine Quelle der Freude und des gemeinsamen Wachstums. Sie bietet Raum durch den gemeinsamen Austausch ein klügerer, reiferer und ja, vielleicht auch besserer Mensch zu werden.
Edward Orehek, Psychologe an der Uni in Pittsburgh hat erforscht, auf welch vielfältige Weise Paare einander unterstützen. Eine seiner Empfehlungen ist die Achtsamkeit und Wertschätzung gegenüber den Alltagshandlungen, die ein*e Partner*in ausführt, ohne darum gebeten worden zu sein.
Dazu gehören z.B. zusammenlegen der Wäsche, einkaufen nach Feierabend, regelmäßiges beziehen der Betten, Rasen mähen, Technik updaten, Rechnungen begleichen usw. Vieles verliert so schnell an Bedeutung, wenn es als gewohnt wahrgenommen wird.
Warum sich der/die Partner*in als bester Coach eignet
Na weil er/sie uns einfach am besten kennt. Jedenfalls sollte es in einer guten Beziehung so sein.
Mein Partner kennt meine Stärken und Schwächen am besten und weiß schon wie es mir geht bevor ich mir manchmal im Klaren darüber bin. Er kennt mich in allen Lebenslagen, weiß wie ich ticke, wovon ich träume und wovor ich Angst habe. Immer wieder studiert er meine Blicke, meine Aussagen, meine Haltung, mein Verhalten, gleicht es mit seinen vorherigen Erfahrungen ab und stellt mir diese Wahrnehmung zur Verfügung.
Früher hätte ich mich kritisiert gefühlt, mich vermutlich direkt verteidigt oder schmollend zurückgezogen. Da habe ich auch keine guten Beziehungen geführt und war vom Michelangeloeffekt weit entfernt.
Doch je mehr ich mir auf die Spur kam, anfing mich zu lieben und wert zu schätzen, um so mehr konnte ich meinem Gegenüber das auch zurück geben. Dadurch haben sich meine Beziehungen zum positiven verändert und heute ist mein Liebster definitiv mein treuster Fan und bester Coach.
Das Feedback eines anderen als echte Ressource verstehen
„Beim Blick auf das eigene Ich geht es weniger um Wahrheit als vielmehr darum frohgemut und handlungsfähig zu bleiben“ erklärt der Psychologe Steve Ayan eine Strategie mit der wir unser Selbstwertgefühl stärken können.
Wenn wir die Worte unserer Liebsten nicht als Vorwurf oder als Belehrung hören, sondern als hilfreiche Informationen, können wir viel leichter neue Perspektiven für uns entwickeln.
Wir teilen das Sofa mit ihnen, haben Sex zusammen und schmieden Zukunftspläne, also ist es doch nur legitim ihren Aussagen auch uns selbst gegenüber zu vertrauen und uns durch sie gesehen und gestärkt zu fühlen.
Wenn es doch nur so einfach wäre…
Ist es nur leider nicht, da wir aufgrund unserer Prägungen meist was anders erlebt haben und den Aussagen anderer bzw. uns selbst nicht vertrauen.
Oft fällt es uns gerade schwer von den nahestehenden Personen liebevolles Feedback anzunehmen, wir sind misstrauisch.
Unsere größte Sehnsucht ist es geliebt, gesehen und gemocht zu werden. Sobald uns jemand ein Feedback gibt, taucht in uns die Angst auf doch nicht gut genug sein zu können. Diese Annahme kehrt sich gerne sogar auch ins Gegenteil und wir werfen unserem Gegenüber vor dass wir so bleiben wollen wie wir sind und uns für niemanden verändern werden.
Deshalb gefällt mir dieser Michealangeloeffekt so sehr, er inspiriert uns immer erst mal das Gute in einem Menschen zu sehen und nicht aufzuhören immer wieder danach zu suchen.
Wenn wir alle im Zusammenleben und vor allem in unseren Beziehungen hauptsächlich den Focus auf unsere Stärken und was wir gut können legen, uns immer wieder darin unterstützen und mit Wertschätzung begegnen, sähe die Welt glaube ich schon deutlich liebevoller und zugewandter aus.
Besonders in der Erziehung und im Bildungswesen wünschte ich mir dieses Verständnis vom Rohmarmorblock aus dem immer nur einzigartige Wunderwerke entstehen können. Denn letztlich sind wir ALLE genau das, echte Wunder.
14.09.2021
Andrea Holthaus
Botschafterin für die Liebe, Gründerin der LiveCoaching Plattform „VOLLTREFFER HERZ“, Autorin und Entertainerin
www.Volltreffer-Herz.de
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Dankeschön für den Artikel zu diesem wichtigen Thema. Mich hat insbesondere angesprochen: “Mich selbst nicht so wichtig nehmen und dem*r Partner*in nichts aufdrängen, was nicht gewünscht ist. Es dürfen hier die Eigenschaften ins Licht gesetzt werden die der/diejenige auch in sich selbst sehen möchte.” Dem möchte ich hinzufügen: Und es dürfen auch die Eigenschaften mit Nachsicht “in den Arm genommen werden”, die weder ich an dem anderen noch der anderer selbst an sich mag (die aber einfach eben da sind). Und das wünsche ich mir für mich selber auch.