Anekdote über eine immer müde Frau

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Anekdote über eine immer müde Frau – Die Frau, die immer müde war

Es lebte einst eine glückliche kleine Frau am Rande eines kleinen Waldes, in ihrem hübschen Häuschen. Jeden Tag ging sie in die weit entfernte Stadt und verkaufte dort auf dem Markt, ihre selbstgemachten Dinge. Sie mischte herrlich duftende Bade- Öle, strickte die buntesten Socken und verkaufte auch selbst gemachte Marmelade und weitere gute Sachen. Neben all dem, hielt sie ihr Häuschen immer ordentlich und kümmerte sich liebevoll um den Wald und seine Tiere. So lebte sie zufrieden und glücklich.

Wann immer sich Wanderer in ihre Gegend verirrten, hieß sie diese herzlichst willkommen und versorgte sie mit frischem Tee und Brot. Alle fühlten sich so wohl, bei der bezaubernden kleinen Frau, dass diese bald schon regelmäßig Besuch bekam, denn die Menschen genossen ihre Nähe sehr.

Eines Tages, die kleine Frau stand gerade am Herd und kochte Suppe,

klopfte es wieder einmal an die Türe. Die kleine Frau rief, dass der Gast nur eintreten solle -die Türe sei offen. Herein kam ein sehr kleiner, sehr stiller Mann, der arg zerlumpt war und auch nicht besonders gut roch. Die kleine Frau brachte ihm sofort einen großen Teller heiße Suppe und ein Stück frisches Brot, das der seltsame Mann gierig verschlang. Dann ging der Mann und die kleine Frau kümmerte sich weiter um ihre Dinge.

Am nächsten Tag stand das Männchen wieder vor ihrer Türe und auch am übernächsten Tag. Jedesmal versorgte die kleine Frau das Männchen und jedesmal blieb es ein wenig länger. Es redete kein einziges Wort, schaute die kleine Frau aber immer sehr lange an.

Das Männchen kam nun jeden Tag und die kleine Frau kümmerte sich darum, dass es immer genug zu essen bekam. Anfangs freute sich die kleine Frau über den täglichen Besuch und bereitete ganze Menüs vor, auch wenn ihr dadurch die Zeit für ihre anderen Aufgaben fehlte. Sie bemerkte nicht, dass sie auf dem Markt immer weniger Waren zu verkaufen hatte, da ihre Gedanken nur noch bei dem kleinen Männchen waren. Wohl fiel ihr auf, dass der Weg in die Stadt, immer beschwerlicher wurde. Auch schliefen ihr die Finger immer öfters ein, wenn sie stricken wollte.

Dann schaffte sie es auch nicht mehr in den Wald, um dort nach dem Rechten zu sehen und in die Stadt zum Markt, kam sie überhaupt nicht mehr, da ihr dauernd die Augen zufielen.

Nach einer Weile war die kleine Frau so müde,

dass sie nur noch das Essen für das Männchen zubereiten konnte und danach sofort wieder einschlief.
Inzwischen schien das kleine Männchen irgendwie immer da zu sein und gar nicht mehr weg zu gehen. Und die kleine Frau wurde immer müder und müder. Oft saß sie einfach nur vor dem Männchen und starrte in dessen merkwürdig leere Augen. Auch sah das Männchen auf einmal gar nicht mehr so zottelig aus und schien sogar gewachsen zu sein.

Da stand die kleine Frau mit einem Male auf und legte sich ins Bett. „Ich kann dir nichts mehr kochen“, sagte sie. „Ich bin einfach zu müde. Nimm dir, was du brauchst.“

Da rauschte das Männchen durch die gesamte Hütte, fraß alles auf, was es zu fassen bekam und setzte sich dick und rund wie es war, auf die kleine Frau. Sie riss die Augen auf, war aber schon viel zu schwach geworden, als dass sie sich noch hätte wehren können. Langsam röchelnd verschied sie unter der schweren Last. Das Männchen aber lachte zufrieden und machte sich auf den Weg zum nächsten Haus und ging weiter und weiter, bis die ganze Welt in Müdigkeit ertrank.

Einzig ein kleines Mädchen, das allein umher lief, bekam das hutzelige Männchen nicht zu fassen. Immer, wenn es sich dem Mädchen nähern wollte, war es entweder schon weiter gezogen oder aber das Männchen fand keine Türe, an die es klopfen konnte, da sich das Mädchen einen Schlafplatz zwischen moosbewachsenen Baumwurzeln gesucht hatte.

Die Jahre vergingen und aus dem Mädchen wurde eine schöne junge Frau.

Auf ihren Reisen hatte sie Vieles erlebt und gelernt. Da wurde es Zeit für sie, sich einen festen Ort zu suchen. Zufällig fand sie das Häuschen der kleinen Frau. Und weil es ihr dort gut gefiel, blieb die junge Frau einfach da. Das freute das kleine Männchen ganz gewaltig und schon nach kurzer Zeit, klopfte es an die Türe und bat um Einlass.

Die junge Frau, die gerade ihr Jagdmesser schärfte, trat an die Türe und betrachtete das hutzelige kleine Männchen, das sie mit seinen starren Augen in seinen Bann zu ziehen versuchte.

Die junge Frau atmete tief, sehr tief ein und aus. Dann schaute sie hinüber zum nahen Tannenwald, der seinen harzigen Duft zu ihr herüber wehte. Sie schloss die Augen, besann sich auf ihre innerste Mitte und sprach, während sie die Augen wieder öffnete: „Guten Tag, kleine Müdigkeit. Ich habe schon viel von dir gehört. So einen hässlichen Gesellen wir dich, brauche ich nicht. Geh und troll dich!“

Das Männchen war für einen kurzen Augenblick erschrocken, verstärkte dann aber seinen starren Blick und veränderte unmerklich seine Gestalt zu etwas gefährlich Grollendem.

Da zückte die junge Frau ihr frisch geschärftes Jagdmesser und stach es der Müdigkeit mitten in ihr böses, durchtriebenes Herz. Augenblicklich zerplatzte diese und löste sich auf, in tausende und abertausende winzig kleine Sandkörner. Solche, die der Sandmann abends, zur rechten Zeit, liebevoll verteilt.
Die junge Frau atmete auf. Und mit ihr, der Rest der Welt.

Und die Moral von der Geschicht:
Wenn frische Luft und Innenschau nicht mehr ausreichen, dann schlag einmal beherzt zu und jag zum Teufel, was dir schaden will.
Und vergiss niemals: Betrachte gut, sehr sehr gut, was du in dein Haus einlädst!

09.07.2023
Namasté!
Heike Erbertz


Heike Erbertz
Anekdote über eine immer müde Frau Heike Erbertz
„Schon immer habe ich „um die Ecke“ gedacht und war sehr feinfühlig, konnte die inneren Themen der Menschen, ihre „inneren Kinder“ wahrnehmen.
Mein Weg führte von der Pädagogik zur Therapie und zur Gesundheit, weiter zur Spiritualität und wieder zurück.
Mich faszinieren Zusammenhänge, das große Ganze genauso, wie das kleinste Detail.
Zufriedenheit bedeutet für mich, Balance im sich immer wandelnden Rhythmus der Natur, im ewigen Werden.“

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